Dienstag, 2. November 2010

Journal :: 31.10.2010

Damals, mein Kind, als die Kalorien noch gar nicht erfunden waren, tat man an Krautfleckerl nicht nur mageren Schinken ganz ohne Fett wie ich gestern. Meine Großmutter - Du hast sie nicht mehr kennengelernt - kaufte beim Metzger statt dessen durchwachsenen Speck und der Metzger schnitt ein sieben oder acht Zentimeter breites Stück von einer ganzen Speckseite. Das würde gewürfelt.

Meine Großmutter hatte Messer, so große Messer kann man heute kaum mehr kaufen. Überhaupt war alles in ihrer Küche etwas größer. Ihr größter Topf ging mir bis zum Bauch. Die Familien waren größer als heute, es aß aber auch jeder für sich viel mehr. Der Speck war deswegen gerade richtig portioniert für vier: Mein Cousin, meine Schwester, meine Großmutter selbst und ich.

Während meine Großmutter den Speck mit dem großen Messer in Würfel schnitt, schnitt ich mit einem kleinen Messer Zwiebeln. Für Krautfleckerl muss man die Zwiebeln nicht so fein schneiden. Am besten ist es, die Zwiebelstückchen sind so groß wie das gehobelte Kraut. Man braucht mindestens zwei große gelbe Zwiebeln und einen kleinen Kohlkopf dazu.

Für Krautfleckerl nahm meine Großmutter eine ganz große, weiße Pfanne mit einem hohen Rand. Keiner weiß, wo diese Pfanne geblieben ist. Vielleicht ist sie weggeworfen worden. Mir tut das leid. Ich habe keine solche Pfanne, ich nehme eine runde Pfanne von Le Creuset, aber da passt nur ein Essen für zwei hinein wie am Sonntag. Meine Großmutter kochte nie für weniger als eine Großfamilie und eventuell überraschenden Besuch und hatte aus Prinzip nur riesige Töpfe und gigantische Auflaufformen und hätte über weniger als drei Kilo Gulasch wahrscheinlich nur gelacht.

In der riesigen Pfanne ließ meine Großmutter den Speck aus. Das sah gut aus. Das Fett floss auf dem Herd aus allen Seiten aus dem Speck. Wenn es anfing zu brutzeln, schüttete die Großmutter Zucker dazu. Den Zucker verwahrte sie in der linken Schütte im weißen Schrank. Dann wurde gerührt. Meine Großmutter trug eine Schürze, wenn sie rührte. Wenn es spritzen konnte, trug sie ein Kopftuch, und auch ich hatte eine kleine Schürze um, rot mit weißen Tupfen.

Wenn der Zucker braun war, kamen die Zwiebeln dazu. Später das Kraut und der Kümmel. Kümmel hatte meine Großmutter in einem ziemlich fleckigen Ubena-Döschen, das ab und zu nachgefüllt wurde. Die Fleckerl waren schon fertig, die kamen erst ziemlich zum Schluss und warteten in einer weiß emaillierten Schale mit blauem Rand auf ihre Verwendung. Bis dahin musste es die ganze Zeit ziemlich laut brutzeln und duften. Ohne duftende Dampfwolken ist so ein Essen nicht richtig, und deswegen stand das Fenster die ganze Zeit weit offen. Aus dem Küchenfenster konnte man in den Garten schauen, über die Teppichstange in den Hof und dann über die Beete. Der schöne Garten mit den Blumen war zur anderen Seite hinaus.

Wenn die Fleckerl auch schon bräunten, deckte ich den Tisch. Meine Großmutter hatte für Alltags ein geblümtes Service, mehr so Sechziger, und ein einfaches, elfenbeinfarbenes mit Goldrand. Jeder bekam eine Serviette in einem Strohring. Außer Sonntags gab es kein Silber, sondern nur WMF. Auf dem Tisch standen immer ein paar Blumen, die pflückte meine Großmutter im Garten und nahm jeden Morgen die verblühten Blumen aus dem Strauß und steckte neue dazwischen.

Wenn ich mit dem Eindecken fertig war, schlug ich den Gong. Nur auf den Gongschlag kamen alle zum Essen, denn nur der Gong war wirklich überall zu hören. Wer den Gong nicht hörte, war taub oder tot. Meine Großmutter schmeckte derweil die Krautfleckerl mit Essig ab und verrührte saure Sahne mit Schnittlauch. Meistens dekorierte sie noch den Nachtisch (Flammeri, Gelee, vielleicht auch Grieß) mit ein paar frischen Früchten. Manchmal schlug sie noch ein bißchen Sahne dazu, denn die Kalorien, mein Kind, waren ja noch gar nicht erfunden.



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