Sonntag, 4. Februar 2007

Lob der Maßlosigkeit

Viel hilft viel
(Volksmund)

Nicht den Löffel Sahne, sondern den ganzen Becher – nicht die hastige Stunde zu zweit, den Blick auf die Uhr, sondern tage-, ach wochenlang nebeneinander liegen, den Geliebten ganz durchtränken, bis die Grenze unscharf wird zwischen dem eigenen Fleisch und dem fremden. Nicht das Glas Rotwein, nicht den vorsichtigen Zug an der einen Zigarette nach dem Essen, sondern solange rauchen, bis man ganz aus blauem Rauch besteht, und trinken, bis man sich auflöst in der scharfen, wasserklaren Kälte, die Straßen der Stadt pulsieren, rot und warm werden, und der Herzschlag Berlins einen weitertreibt, irgendwohin, und vielleicht am anderen Morgen zurück.

Nach jedem Moment, nach jeder Erfahrung greifen, weil man morgen tot sein kann, und nichts einen entschädigen wird für all das, was man gelassen hat, weil man zu feige war, zu träge, zu langsam für den goldenen Moment, für dieses gesteigerte Gefühl der einzigartigen Minuten irgendwo, jenseits der Grenzen. Den Triumph, sich selbst und sein eigenes Leben ausgebreitet zu haben wie einen Mantel, ein Tuch, in das man alles, alles, alles einschlägt, um es mit sich zu nehmen.

Nichts wird dir so leid tun, wie das Ungelebte, flüstert die Gier und zieht dich zu sich in den Schatten. Nichts wirst du mit dir nehmen, sagst du dir vor. Nichts wirst du nachholen können, und wenn es vorbei ist, wird nichts dir geblieben sein als die Summe deiner Momente, die Höhe deiner Sprünge und Stürze, und die Befriedigung, all das gehabt zu haben, was für dich erreichbar war, hier und heute.

Hier illustriert durch den großartigen Herrn SvenK.

Freitag, 2. Februar 2007

Guten Tag, Frau Modeste

Gibt nichts zu erzählen, rechtfertige ich mein Schweigen und schiebe mein Glas unruhig hin und her. Will doch keiner wissen, was ich tue, jeden Tag zwischen neun und elf Uhr abends, bis alles Rot verschrieben ist, und nur noch eine helle, trübe Brühe in meinen Adern zirkuliert.

Soll ich denn, trinke ich der Wand zu und den dunklen Scheiben, von den Morgen erzählen, in der Dusche, umflossen von Wasser und künstlichem Duft, wenn ich meine Hände betrachte wie Kinder es tun, und mir vorstelle, wie sie aussehen würden, wäre ich tot. Die blauen Adern, die hellgrauen Fingernägel, und wer mich alles anfassen könnte, den ich lebendig niemals berühren würde, und würde mir spaßeshalber die Hand schütteln.

"Guten Tag, Madame!", hieße es dann, und würde nach Chlorophorm und Kälte riechen, und die Studenten rundherum würden lachen, wie man nur über den Tod lachen kann, aber ich bliebe stumm.

Gibt nichts zu erzählen, schüttele ich den Kopf, und körnig-naß schimmern die Straßen, als führten sie irgendwohin. Soll doch keiner wissen, was von mir übrig bleibt, nachts, wenn ich nicht schlafen kann, aber das kommt zum Glück selten vor, seltener jedenfalls, fast, würde ich sagen: so gut wie nie.

Donnerstag, 1. Februar 2007

Die toten Augen des Kühlschranks

Ah, Madame, Monsieur - Sie können sich glücklich schätzen: In Ihrer Wohnung schnurrt ein zur Kühlung von Lebensmitteln bestimmtes Gerät, eine Tiefkühltruhe sogar konserviert Speisen, die Sie später vielleicht einmal verzehren werden, Gelegenheiten zur zukünftigen Nahrungsaufnahme, die Sie nicht stehen lassen konnten im Geschäft oder an den Ständen des Wochenmarktes erworben haben, wo Sie, wie auch ich, wöchentlich fast mit der Tasche fest in der Hand sich zwischen den Verkaufgelegenheiten hindurchdrängen, um hier eine Handvoll Trauben, dort ein Törtchen von Lautz, eine Seezunge, eine Entenbrust, oder ein besonders wohlschmeckendes Öl, wie es die Verkäufer zungenfertig anpreisen, erwerben, nur um zu Hause feststellen zu müssen, dass Ihre Käufe das Ausmaß dessen, was Sie auch tatsächlich in sich aufzunehmen imstande sind, sogar unter Einbeziehung aller Menschen, die Sie kennen, und bei sich zu sehen und zu bewirten wünschen, übersteigt.

Ich aber, ich Arme, misera me, wie es mir lateinisch dem Sprachklange nach richtig scheint, auch wenn die Grammatik ganz streng gennommen etwas anderes vorschreibt, so ich mich recht erinnere des lang vergangenen Unterrichts, ich Arme jedenfalls stehe seit letzter Woche ohne künstlich fein verfertigte Kühlgelegenheit da, und nur mein Balkon sorgt für die Frische der Speisen, die ich bei den zugegeben seltenen Aufenthalten daheim verzehre, und die Sonne, sonst ein so beliebter Himmelskörper, wird von mir zunehmend sorgenvoll betrachtet, ob es nicht gar zu warm werde, und die Speisen verderben.

Von der Hand in den Mund, heißt es nun also, vom Geschäft in den Topf, und nachdem noch im Laufe des Sonntag diejenigen Gerichte, um die es am ehesten schade gewesen wäre, ein ganzer Hummer gar, Geschenk eines ausgezogenen, wenn auch wiederkehrenden Nachbarn, mussten nächtlicherweise verspeist werden, und die Freunde des Hauses eilig herbeigerufen am Montag das Werk zu vollenden gehalten waren an einer Wildschweinkeule, der ungeschlachten, gehe ich nun zu Bett, bar der Milch, entbehrend der gelblich-duftenden, bald zerfließenden Butter, und lese ein bißchen im Doderer, welchen ich letzthin nicht erstanden, so doch geschenkt erhalten habe, und der mich, verehrtes Publikum, wenn man denn Sie als huschende, gleichsam nur vorbeifliegende Passanten mit derlei Attributen zu belegen die Ehre haben darf, höchstlichst erheitert, um nicht zu sagen: Ganz und gar durchtränkt.

Sonntag, 28. Januar 2007

Fütterung

Wer könnte schweigen, wenn Frau Engl fragt:

1) Kannst du kochen? Wenn ja, kochst Du gerne?
Ich bewundere Leute ganz außerordentlich, bei denen das gekochte Essen so modern aussieht und schmeckt. Mariniertes Thunfischcarpaccio auf Wasabischaum mit Couscoussalat oder so, alles auf riesigen weißen Tellern, der exorbitante Wein vom demnächst preisgekrönten Winzer – so etwas habe ich nie hinbekommen. Ich habe mir ziemlich viele Kochbücher gekauft, um auch mal elegant und modern einzuladen, aber wenn ich dann Leute an meinen Esstisch setze, gibt es jedesmal Hirschrücken mit Rotkohl und Kroketten oder Karpfen blau oder ähnlich altmodische Gerichte. Meine Fertigkeiten enden also ungefähr im kulinarischen Jahr 1960.

2) Wann ißt bei Euch die ganze Familie gemeinsam?
Wenn ich weder arbeite noch verabredet bin.

3) Was ißt Du zum Frühstück?
Nichts.

4) Wann, wo und wie eßt ihr in der Woche?
Leider hat sich herausgestellt, dass meine Gewohnheit, mittags essen zu gehen und abends meistens nochmal etwas zu essen, in Kombination mit einem Stück Nachmittagstorte den Rahmen meines Kalorienbedarfs sprengt. Zukünftig also entweder mittags eine Hauptmahlzeit oder abends, aber nicht zweimal täglich, und zwischen den Mahlzeiten höchstens ein sehr kleines Stück Torte.

5) Wie oft geht ihr ins Restaurant?
Meistens mittags, dann so zwei, bis dreimal die Woche abends und oft am Wochenende. Ich würde gern mehr kochen.

6) Wie oft bestellt ihr Euch was?
So gut wie nie.

7) Zu 5 und 6: Wenn es keine finanziellen Hindernisse gäbe, würdet ihr das gerne öfters tun?
Nein.

8) Gibt es bei Euch so was wie “Standardgerichte”, die regelmäßig auf den Tisch kommen?
Nudeln mit Sauce, Reispfannen, Eintöpfe, Gulasch, Schmorbraten und alles Mögliche mit Hackfleisch.

9) Hast Du schon mal für mehr als 6 Personen gekocht?
Eintöpfe.

10) Kochst du jeden Tag?
Nein.

11) Hast Du schon mal ein Rezept aus dem Kochblog ausprobiert?
Nein.

12) Wer kocht bei Euch häufiger?
Ich.

13) Und wer kann besser kochen?
Ich.

14) Gibt es schon mal Streit ums Essen?
Ab und zu verfallen der J. und ich auf die Idee, wir sollten weniger Fleisch essen, oder überhaupt weniger essen, weil wir leider immer dicker werden. Dann sitzen wir uns gegenüber, stochern traurig in einer vegetarischen Kartoffelpfanne mit ziemlich viel Gemüse und sonst nichts, und fangen irgendwann an, uns anzukeifen, wer auf diese idiotische Idee gekommen ist. Dann gehen wir doch irgendwohin und essen da.

15) Kochst du heute völlig anders, als Deine Mutter/Deine Eltern?
Meine Mutter kocht nicht gern.

16) Wenn ja, ißt Du trotzdem gerne bei Deinen Eltern?
Ja, mein Vater kocht ziemlich gut.

17) Bist Du Vegetarier oder könntest Du Dir vorstellen vegetarisch zu leben?
Nein, von fleischlosem Essen werde ich traurig und aggressiv.

18) Was würdest Du gerne mal ausprobieren, an was Du Dich bisher nicht rangewagt hast?
Ich würde gern einmal einen Kochkurs bei einem Mordsrestaurant machen. In der Zeit war vor ein paar Wochen oder Monaten mal ein Test verschiedener Kochkurse, aber den habe ich leider nicht aufbewahrt. Ich glaube, das mache ich mal und werde sehr modern.

19) Kochst Du lieber oder findest Du Backen spannender?
Das ist mir egal. Ich backe auch gern, allerdings kann da natürlich mehr schiefgehen.

20) Was war die größte Misere, die Du in der Küche angerichtet hast?
Ab und zu versalze ich mal irgendetwas.

21) Was essen Deine Kinder am liebsten?
Wenn ich Kinder hätte, würden sie den ganzen Tag Schokolade essen und wären kugelrund.

22) Was mögen Deine Kinder überhaupt nicht?
Weil meine Kinder mir ja sehr ähnlich wären, würde sie Innereien hassen und ab und zu gebratene Leber aus dem Fenster werfen, um ihren Abscheu öffentlichkeitswirksam zum Ausdruck zu bringen.

23) Was magst Du überhaupt nicht?
Die gefüllte Milz meiner Tante M., den gebratenen Schweinebauch meines ehemaligen Mitbewohners H., der sich zu allem Überfluss das ausgebratene Fett am Ende auch noch über ein Stück Graubrot gekippt hat. Ansonsten Blutwurst und gebratene Nieren.

24) Zusatzfrage: Wofür darf man dich nachts wecken?
Foie Gras. Diese kleinen, dunkelrosa Nordseekrabben. Und Crème brûlée. Ich stelle mir das übrigens großartig vor: Ich liege im Bett, schlafe, man klopft mir zart auf die Schulter, ich öffne kaum die Augen, und bekomme Löffel für Löffel in den halbgeöffneten Mund geschoben.

Dann schlafe ich weiter.

Antworten soll jeder, der mag, und insbesondere Herr Lucky.

Samstag, 27. Januar 2007

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