Dienstag, 28. April 2009

Die Sonne ohne mich

Vor dem Aufbruch nach Hause schnell die Strumpfhose ausziehen, um die warme Luft weich an den Beinen zu spüren. An der Metzer Straße nicht, wie sonst, nach links einbiegen, sondern weiter fahren, die Danziger überqueren, noch eine Querstraße, eine zweite, und dann erst fast an der S-Bahn umkehren, quer über den Helmholtzplatz. Langsam wird es dunkel.

An der Kreuzung anhalten, ein Stück schieben, erst wegen der Fußgänger, und dann, um noch ein bißchen unterwegs zu sein und einfach draußen. An der Ampel der starke Geruch der laufenden Motoren. Ein paar Mädchen, die hoch und gepresst lachen, eine Frau auf dem Rad, ein blondes Kind im Korb. Die Sonne gelb und satt und schwer über dem Mauerpark, und sich für ein paar hundert Meter im Abendlicht unsterblich fühlen, weil es nur eine Lüge sein kann, nur unwahr sein darf, dass es das alles gibt, die Welt in Licht und Farbe, die Geräusche, Benzin und den wirbelnden Staub, dass das alles einfach weiter existiert, wenn wir selbst verschwinden und sterben und einfach nicht mehr da sein werden, und der Sommer wird doch nicht weniger schön.

Sonntag, 26. April 2009

Chronik eines misslungenen Abends

Vor dem Rutz angekommen, haben die C. und der J. keine Lust mehr. Das Publikum des achten Geburtstags dieser in Ostberlin wohlbekannten Weinbar sei im Schnitt - geschätzt von der anderen Straßenseite - ungefähr hundert, wird sich beschwert, und so laufen wir weiter. Irgendwo ein paar Straßen entfernt schlägt es zwölf. Schade, bedaure ich, und denke ein bißchen wehmütig an den Wein, ein paar Häppchen und einen lässigen Tresenabend in Jeans und Shirt. Zum Umziehen nämlich war ich eine gute halbe Stunde zuvor zu faul, und laufe ungefähr in demselben Aufzug umher, in dem ich irgendwann morgens beim Bäcker war: Eine schwarze Jeans. Ein isabellafarbenes T-Shirt für € 4,90, weiße, billige Ballerinas und einen schwarzen Trenchcoat, dem ein Knopf fehlt. Schmuck trage ich keinen, geschminkt bin ich auch nicht, meine Haare stehen ab, und so kommt es mir ein bißchen ungelegen, als der J. und die C. so circa Höhe Reinhardstraße beschließen, es gehe nun ins Tausend. Ins Tausend also. Und das mir in diesem Aufzug.

Vor der Tür des Tausend stehen ein paar Frauen, die sämtlich besser angezogen sind als ich. Nicht, dass ich die Sachen geschenkt haben möchte, aber teuer waren sie ganz bestimmt, und dass die sichtbare Mühe beim Zurechtmachen nicht zum Erfolg führt, lässt mich das Schlimmste fürchten: Die Tür schickt die Frauen weg. Sie seien wohl ein bißchen zu alt und zu dick gewesen, spekuliert der J. etwas später. Männer lässt der Türsteher offenbar gerade gar nicht mehr rein.

Ein wenig Mühe kostet es also schon, auch den J. in die Bar zu bugsieren. Gut sieht er doch aus, mein geschätzter Gefährte, denke ich, und bin noch ein bißchen besorgter, und in der Tat erweise sich alle meine Sorgen als komplett berechtigt. Alle anwesenden Frauen sind auffälliger und ganz sicher kostenträchtiger gekleidet als ich, ganz überwiegend blond, im Schnitt etwa 22, und so fühle mich wie eine Hausfrau beim Staubsaugen bei einem Modelcontest, als ich schließlich neben der riesigen, spiegelnden Kugel an der Wand auf der Bank sitze und Sekt trinke. Es ist rappelvoll. Rechts, links, vor und neben mir schwenken sehr dünne, sehr junge Frauen ihre Handtaschen umher, fahren sich mit gespreizten Fingern durchs Haar und lächeln die durchschnittlich vierzigjährigen Männer auffordernd an. Die meisten Männer, fällt mir auf, sehen aus, als sei ihr modisches Ideal ein russischer Oligarch.

Die C. und ich begutachten Handtaschen und Schuhe und fragen uns, ob es eine gute Idee war, die Energie zwischen zwanzig und dreißig in zwei Staatsexamina zu stecken. Hätte man die damals ja noch im Übermaß vorhandene Zeit in Schönheit investieren sollen? Hätte ich es weiter gebracht, wäre ich damals zur Maniküre und nicht zur Vorlesung Staatsrecht II gelaufen? Was machen die Mädchen hier eigentlich beruflich? Und wie sieht es bei diesen zum allergrößten Teil vermutlich nicht reich geborenen Mädchen in zehn Jahren aus? Wird sich der Aufwand auszahlen, und eines Tages laufen jene Personen behängt mit Einkaufstaschen auf der Friedrichstraße an mir vorbei und schauen mich noch viel abschätziger an, als heute nacht an der Bar?

Einer weiteren Konfrontation mit den "was macht denn die da hier"-Blicken enthebt mich dankenswerter Weise der nachkommende M.2. Genauer gesagt geht die Beendigung der etwas unwürdigen Situation auf die Interaktion zwischen dem Herrn der Pforte und dem M.2 zurück, denn dieser ist auch auf Zureden der C. nicht bereit, noch einmal die Tür zu öffnen. Um den M.2 nicht allein einer einsamen weiteren Abendgestaltung zu überlassen, ziehen auch wir ab. Vor der Tür, sehe ich im Gehen, steht ein weißer Porsche 911, offenbar eine Sonderanfertigung, hinten mit Rennsitzen und Spoiler obendrauf, und am Bug irgendwie dicker, als ich dieses Gefährt in Erinnerung habe. Der Wagen sieht unglaublich aus, und ich hätte ihn jedem zweiten Gast dieses Ladens zugetraut.

Wir gehen also langsam, zu viert nebeneinander, die stille Friedrichstraße hinab. Um nach Hause zu fahren ist es entschieden zu früh. Aufs Reingold habe ich keine Lust, eine Rückkehr zum Rutz passt der C. und dem J. immer noch nicht, und so stehen wir zwanzig Minuten später vorm Shochu. Es ist gold und schwarz hier drin, und die Kissen haben kleine, aufsässige Mähnen. Wie wohl mein Kater mit einem solchen Miniaturirokesen aussehen würde, frage ich mich, und streiche über das harte, dicke Fell.

Die Bar hat eigentlich keine Lust mehr auf uns. Es gebe nur noch eine Runde, stellt sich uns eine Frau in den Weg, als wir kommen. Das sei okay so, bescheiden wir die Dame und setzen uns hin. Eine halbe Stunde später kommen die (in meinem Fall hervorragenden) Getränke. Eine weitere halbe Stunde später dreht irgendjemand das Licht in unserer Ecke dermaßen auf, dass wir gehen. Die Rechnung haben wir schon vorher unaufgefordert in einer Dose auf den Tisch gestellt bekommen.

Einen letzten Wein trinke ich noch, es ist spät, im Visite ma tente in der Schwedter Straße. Die Kellnerin lächelt uns müde und freundlich an, wie immer. Auf der Galerie, hinten in der Bar, feiern ein paar Franzosen irgendetwas, lachen, Gläser klirren, und für einen Moment stelle ich mir vor, es sei elf und nicht drei, und der Abend läge noch vor uns. Hier. Oder anderswo.

Aber nicht da, wo wir waren.

Samstag, 25. April 2009

In kalten Träumen

Manchmal bei Nacht gerät man in solche Welten. Es ist immer dunkel, fahl, die Sonne nicht sichtbar, und die Menschen scheinen - wie soll man es ausdrücken - durchtränkt von einer schwärzlichen Flüssigkeit. Die Welt überhaupt ist seltsam entfärbt. Der Traum hat Zeit und Raum die Richtung gestohlen; alles passiert gleichzeitig, und so verwundert es nicht, wenn in diesem düsteren, machtvollen Roman gleichzeitig der Römer Cotta nach Tomi reist, die eiserne Stadt am Schwarzen Meer, den verbannten Dichter Ovid zu suchen, und ein Filmvorführer dort eintrifft, in Mikrophone gesprochen wird, und ein Deutscher von den friesischen Inseln hängengeblieben ist hier am äußersten Rand des römischen Imperiums in einem großen Krieg.

Verformt, nein: sich verformend, scheinen die Bewohner Tomis. Was mit ihnen geschieht, geschieht vielleicht aufgrund oder aber vielleicht auch so wie es der verschollene Ovid aufgeschrieben hat, auf lauter kleine, wehende Fahnen, denn alles verwandelt sich hier, alles wird etwas anderes, Menschen versteinern, werden überlebensgroß und mythisch, das Stumme ist beredt, die Literatur webt die Wirklichkeit, und die Wirklichkeit atmet die scharfe Luft jener Träume, in denen ein Mensch ein Wolf sein kann mit Haaren und Klauen, ein Dorfbewohner ein trauriger König, und jeder eines anderen Haut tragen kann, weil es in dieser Welt keine Unterschiede gibt, die nicht beizeiten verschwimmen.

En passant erzählt Christoph Ransmayr eine kleine Liebesgeschichte, sehr am Rande, zwischen Cotta und der stummen Echo. Eine Menge Geschichten werden so referiert, verwandelt nicht nur gegenüber den wehenden, verlassenen Skripten von Tomi, sondern auch (denn wir alle sind Teil der Handlung durch unser Wissen) gegenüber den Metamorphosen, dieser großartigen, unbescheidenen Dichtung, die wirklich und mehr als andere aere perennius aufgeschrieben und behalten worden ist bis in unsere spätesten Tage.

Ein postmoderner Roman sei Die letzte Welt, entnehme ich den Quellen im Netz. Was auch immer das bedeuten mag, diese Leerformel von der Postmoderne, die nicht mehr besagt, als das etwas vorbei ist, und etwas Neues noch nicht begonnen hat: Zu lesen lohnt es sich sehr, dieser Roman über die Wandlungsfähigkeit aller Verhältnisse, erst recht und in erster Linie sogar derjenigen, die wir für unabänderlich halten, weil der Verlust unserer selbst uns ängstigt und schreckt, mag auch die Erde beben.

Christop Ransmayr
Die letzte Welt
1988

Donnerstag, 23. April 2009

Frauenkraulen, Kaninchenreiten

Für Frau Engl

Mit dem Sport ist es ja so eine Sache. Irgendwo habe ich gelesen, man müsse fast eine Stunde laufen, um ein Stück Schwarzwälder Kirsch zu verbrennen. Muskelaufbau mag stattfinden, aber wer sieht denn das unter dem Speck? Und während des Sports sieht - seien wir ehrlich - doch jeder ein bißchen komisch aus. Verpackt in bunte, enganliegende Plastikschläuche, schwitzend, mehr oder weniger rot. Überhaupt Schweiß, diese immer etwas entwürdigend wirkende Flüssigkeit.

Schwimmen dagegen ist schon eine andere Sache. Im Wasser fühlt man sich gleich ein bißchen leichter. Wenn man schwitzt, verteilt sich das irgendwie in dem ganzen Wasser. Schwimmen ist in Ordnung. Gut aussehen im Schwimmbad allerdings kann nur derjenige, der krault, denn elegant und pfeilschnell wirken die Krauler. Schnurgerade und schwerelos ziehen die Krauler an mir vorbei. Schwertern gleich ziehen die Krauler ihre muskulösen Arme durchs Wasser. Kraulen möchte ich können, denke ich dann und sehe den Kraulern nach. Sich drehen, wenden, als sei das Wasser nichts, so schnell schwimmen wie ein silbrig glänzender Fisch. Behäbig indes dem gegenüber wie ein sehr, sehr altes Walross ziehe ich langsam einer Wasserschnecke gleich meine Bahnen im Stadtbad Mitte. Eine Bahn Rücken, eine Brust.

Wo die anderen Leute das Kraulen erlernt haben, frage ich mich. Zeigt einem das einer, wenn man klein ist? Wieso hat mein des Kraulens durchaus mächtiger Vater mir diese Kunst vorenthalten? War Kraulen irgendwann einmal in der Schule dran, aber ich war krank? Wieso eigentlich können mehr Männer kraulen als Frauen? Ist das ein Fall für die doch sicherlich bestallten Frauenbeauftragten des Landes Berlin? Wo lernt man Kraulen, wenn man erwachsen ist, und ansonsten schwimmen kann? Kann man irgendwelche Leute fragen, oder wirkt das möglicherweise übertrieben kontaktfreudig? Merkwürdig? Gar irgendwie komisch?

***

Auch meine liebe Frau Engl hat ihre Last mit dem Sport. Zwar fährt diese Dame mit großen, gefährlich aussehenden Motorrädern durch Berlin. Das Reiten auf Pferden indes, höre ich, gehöre nicht zu den Künsten, welche sie beherrsche. Die Pferde, diese doch an sich sehr angenehmen Tiere, seien der Frau Engl viel zu groß.

Einen Reitkurs werde sie daher auch nicht besuchen. Schließlich werden bedrohlich gigantische Pferde nicht kleiner, besucht man Kurse, in denen man die Besteigung dieser Tiere erlernt. Auch Ponies scheinen den Bedürfnissen der Frau Engl hinsichtlich einer ausreichend niedrigen Höhe nicht zu genügen.

Ein Kaninchen entspreche Frau Engls Wünschen an die Größe von sie umgebenden Tieren eher, wie ich höre. Diese Tiere allerdings werfen andere Probleme auf, wenn man sie zur Fortbewegung nutzen will, so dass ich annehme, dass Frau Engl in nächster Zeit nicht reiten, und ich nicht kraulen werde.

So ist das mit dem Sport.

Mittwoch, 22. April 2009

Spaß mit Strindberg

Ein Traumspiel, Deutsches Theater im Berghain

Heute abend, meine Damen und Herren, habe ich eine wirklich amüsante Revue besucht. Grell geschminkte Menschen in Tutus tanzten über die Bühne und zogen sich immerzu um. Es wurden eine Menge unterschiedlicher Musikstücke gesungen, welche - wie ich dem Programmheft entnehme - u. a. von John Dowland, Gesualdo und Mozart stammen, aber auch ein Musical war dabei und ein bißchen Operette.

Wenn aus dem Land des Lächelns gesungen wurde, trug man dazu passend monströse Geisha-Kostüme, einmal erschien der (fabelhafte) Chor mit Anubis-Masken, die reichlich blasse Schauspielerin Stephanie Eidt wurde geheiratet, beschmiert und geschlagen, und gesprochen wurde eher etwas weniger: Barrie Kosky hat den Text ganz offensichtlich erheblich gekürzt, ohne dass dies direkt stören würde.

Wie es sich für eine Revue gehört, war die Beleuchtung mehr als ordentlich. Schwarze Luftballons flogen, Wunderkerzen wurden abgebrannt, der Abend hatte Tempo, und es wurde deutlich mehr gelacht, als es im Berghain, vor dessen strenger Tür es schon Tränen gegeben haben soll, ansonsten der Fall ist.

Wenn Sie Strindberg nicht mögen, sind Sie hier richtig.



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