Sonntag, 17. Mai 2009

Journal :: 16.05.

Die Entscheidung fällt schwer. Rechts von mir steht auf dem Schreibtisch eine Blaubeertarte, die sehr gelungen wirkt, wie ein Kuchen aus Kochbüchern. Die Urheberin, wie ich ein wenig später vernehme, ist Köchin. Hinter der Blaubeertarte steht ein Rhabarberkuchen mit Baiser obendrauf, der auch großartig aussieht, zudem liebe ich Rhabarber, aber Rührkuchen (und so scheint mir der Teig) ist bekanntlich der ärgste Feind der Taille, gleich nach Buttersaucen und Mascarpone, und so lasse ich das am Besten sein. Ansonsten passe ich irgendwann (und der Tag kann nicht mehr weit sein) nicht mehr in die Sitze im Flugzeug.

Direkt vor mir befindet sich eine Tarte Tatin. Ich liebe diese Königin der Apfelkuchen, habe aber gehört, diese Speise sei fett, und überhaupt sei Obstkuchen nicht so harmlos, wie man gern annimmt, wenn man Kuchen essen will, aber sich vor den Folgen fürchtet.

Um den Kuchen zu vermeiden, rauche ich extra viel. Das ist zwar nicht gesund, aber macht wenigstens nicht dick. Auch Sekt geht bekanntlich immer, und so stehe ich auf meinen bequemsten hochhackigen Schuhen vor dem Buffet, bemühe mich, an den Kuchen vorbeizuschauen, und rauche, rauche, rauche. Zwischendurch trinke ich Sekt.

Eine Ecke des Rhabarberkuchens esse ich dann doch, weil der J. ein Stück auf dem Teller hat. Er schmeckt großartig. Weil ein anderer Gast sich von der Blaubeertarte nimmt, stecke ich mir ein Stück, das beim Schneiden abgefallen ist, in den Mund, und ein kleines Stück Tarte Tatin (etwa 1,5 Zentimeter auf der Tortenrandseite) esse ich ganz. Es schmeckt toll. Verstohlen betaste ich meinen Bauch. Ja, sage ich mir: Du hast hinsichtlich deines Gewichts einen echten Schaden.

Ich will nach Hause, fällt es mir etwas später ein. Ich bin müde, so müde, so unendlich schläfrig, dass rein gar nichts mehr hilft, und so krieche ich noch vor dem Haus in ein Taxi. Noch schmecke ich die karamellisierten Äpfel der Tarte, bilde ich mir ein, lecke mir sorgfältig die Mundwinkel aus und bedaure, der Gastgeberin kein Stück für den Heimweg abgeschwatzt zu haben, nur ein kleines, nur ein halbes von mir aus, aber dann bin ich schon zu Hause.

Kuchen ist keiner im Haus.

Samstag, 16. Mai 2009

Journal :: 15.05.

Laut Dr. Freud, meine Damen und Herren, stellen Träume Botschaften unseres Unterbewusstseins dar, das uns etwas mitzuteilen habe, was wir tagsüber verdrängt haben und folglich nicht wissen. Wenn nun aber das Unterbewusstsein mancher Menschen schlechthin nichts mitzuteilen hat, weil untenrum ebenso wenig Mitteilenswertes passiert, wie im Dasein der Gesamtpersönlichkeit, dann, hochverehrtes Publikum, dann ist es nicht unwahrscheinlich, dass des Nachts das Unterbewusstsein beginnt, schieren Unsinn auszustrahlen, der sich zu echten Unterbewusstseinsbotschaftsträumen verhält wie die Darstellung der schönsten Bahnstrecken Deutschlands zu einer Wiedergabe des Faust.

Wenn eine Woche später immer noch nichts passiert, woran das Unterbewusstsein sich abarbeiten könnte, scheint der Programmdirektor dieses offenbar etwas materialarmen Senders zum Äußersten zu greifen, damit überhaupt noch etwas über den Bildschirm rauscht, und so träume ich vergangene Nacht zum dritten Mal in wenigen Wochen, man habe mein Badezimmer zugemauert.

Ärgerlich mehr als wirklich betroffen stehe ich angesichts dieses Befunds in Wäsche vor der Türöffnung, die ungefähr bis zur Brusthöhe mit Ziegelsteinen und grobem, fleckigen Mörtel angefüllt ist. Aus der Öffnung zwischen Rahmen und der Mauer zwischen mir und meinem Bad dringen warme, nach Blüten duftende Schwaden, Kerzenschein, etwas plätschert, vielleicht die Wanne, und wenn ich mich umdrehe, um ungewaschen das Haus zu verlassen, wache ich auf.

"Stellen sie endlich diese Wiederholungen ein!", befehle ich der unterirdischen Sendeanstalt, welche indes - widerspenstig, wie es einem quasi unkündbaren Apparat zu eigen ist - fortfährt, in sinn- und bedeutungsfreier Weise des Nachts mein Bad zu verschließen. - "Sorg du doch für mehr Input.", höre ich es aus meinem Inneren schallen, und mir scheint, es werde höhnisch gelacht.

(Tags war das Bad natürlich wieder offen. Ebenso das Büro, und das auch gleich für elf geschlagene Stunden.)

Freitag, 15. Mai 2009

Journal :: 14.05.

Die Holzvertäfelung ist tatsächlich aus Kiefer. Auch die Möbel sehen aus, als hätten die Besitzer des Jessner-Eck sie in irgendeinem Möbelmarkt gekauft, und einen Moment bin ich ein bißchen enttäuscht. Eine Eckkneipe sieht in meiner Vorstellung anders aus, wie das Alt Berlin in der Münzstraße vielleicht.

Ein paar Minuten später aber steht die Wirtin vor dem Tisch, blond gefärbt, vielleicht fünfzig mit einer Tätowierung auf der Wade, schäkert mit meinem Begleiter, bringt mir einen warmen, süßen Piccolo, den man nur trinken kann, wenn man die Luft anhält, und im Hintergrund singen die ganze Zeit irgendwelche Sänger auf deutsch wirklich schlechte Lieder von Liebe, Sonnenuntergang und Delphinen. Vor dem Tresen hängen einige Wracks schwer abzuschätzenden Alters. Noch ein paar Minuten später kommt die Wirtin und ein Mann mit Schnäuzer und schlechten Zähnen und einem großen Kreuz mit Strasssteinen auf der Brust und wollen tanzen. Ich tanze also, bewundere den A. um seine rheinische Fähigkeit, mit nahezu jedermann Konversation zu betreiben, und dann trinke ich noch sehr schnell einen weiteren Sekt und einen Gin Tonic. Wodka trinke ich auch, das mache ich nur ganz selten. Ich vertrage eigentlich keinen Schnaps.

Kurz vor dem Aufbruch am Tresen trinke ich noch einen Likör, der Pfeffi heißt (oder so ähnlich), und schmeckt wie Mundwasser mit Alkohol drin. Den schmeckt man aber nicht, den Alkohol, und als wir gehen, sitzen immer noch ein paar der fertigsten Friedrichshainer der Welt vor dem Tresen, liegen sich in den Armen, und ihre gute Laune wirkt nicht einmal gekünstelt.

(Am Prenzlauer Berg dagegen ist es kalt, und zu essen gibt es nichts mehr außer Falafel.)

Donnerstag, 14. Mai 2009

Journal :: 13.05.

John Gabriel Borkmann, Schaubühne

Etwas hakt. Nicht ganz klar ist, ob es an Bierbichler liegt, der zu erdhaft, zu bäuerlich, zu verwachsen mit den Elementen scheint, als dass man ihm den betrügerischen, inhaftierten und entlassenen Bankier John Gabriel Borkmann abnehmen würde. Die Illusionen über sich, über die eigene Bedeutung und die eigene Zukunft - das ja. Nicht aber das geisterhaft verstiegene, das ganz und gar unsinnliche Hingegebensein an die abstrakte Macht des Geldes, das in diesem Stück von Ibsen etwas Dämonisches ausstrahlt, ohne doch die Sinnlichkeit zu gewinnen, die Bierbichler verkörpert.

Vielleicht ist es auch der Sohn, den Sebastian Schwarz mit angemessener Erbärmlichkeit darstellt, denn wie soll auch jemand beschaffen sein, an dem jedes Familienmitgliedes Wünsche hängen wie schwere Steine. Den Freiheitsdrang jedoch, der ihn am Ende das Gespinst fremder Erwartungen zerreißen lässt, ist in der Darstellung der ersten 45 Minuten kaum angelegt. Ein wenig kretinhaft wirkt er, und nicht ganz überzeugend ist, dass Mutter und Tante ihre Erwartungen an jemanden heften, der so ist, wie er scheint. Die Macht der Illusionen, die Kraft unserer Wünsche, die Welt so anmuten zu lassen, wie wir sie gern hätten: Ein wenig Nahrung braucht sie halt doch, und so hätte ein wenig mehr Elastizität diesem Erhard Borkmann gut getan.

Immerhin: Es wird nicht langweilig. Der Abend rauscht mit Tempo und schnellen Wechseln durch nicht ganz zwei Stunden. Auf der karg ausgestatteten Bühne strahlen wenige Möbel der schon leicht museal wirkenden letzten Moderne eine Lebensfeindlichkeit aus, die diesem Stück des endgültigen Ruins nicht nur der Existenz, sondern auch aller Chancen, einen Rahmen bietet, auf dem ich fast mit ein wenig Rührung Kirsten Dene und Angela Winkler als feindlichen Schwestern zusehe, wie sie scheinbar um den Sohn und wirklich um das eigene scheiternde und vergehende Leben kämpfen, um am Ende beide zu verlieren.

"Nett war's.", sage ich schließlich, eine Stunde später in der Bahn, den Hörer am Ohr. Viel zu viel habe ich heute gesprochen, fällt mir auf. Ein Vortrag, vier Telefonate, ein bißchen Geplänkel. Ein Empfang. Ich bin so müde.

"Ich schreibe später auf wie's war.", sage ich und lege auf.

Dienstag, 12. Mai 2009

Journal :: 12.05

Mir ist kalt. Die beiden Herren an meinem Tisch zeigen keinerlei Anzeichen von Unbehagen an den rapide sinkenden Temperaturen, aber ich friere wie der sprichwörtliche Schneider.

Die anderen Tische auf dem breiten Bürgersteig vor der Bar haben sich geleert. Nur auf unserem Tisch brennt ein Windlicht. Auch gegenüber sind die Tische leer. Nur der Kellner kommt ab und zu vor die Tür, um zu rauchen, und trotz Mantel, trotz Pashmina dringt mir die kühle Luft bis an die Knochen. Ich möchte rein. Noch besser: Nach Hause.

Die letzten Nächte, fällt mir ein, habe ich erbärmlich geschlafen. Gestern nacht habe ich Magenschmerzen bekommen, Schüttelfrost, eine Wärmflasche habe ich mir geholt gegen zwei, und morgens um neun im Büro gesessen und sehr, sehr viel Energie aufwenden müssen, um Dinge zu tun, die getan werden müssen. Dass ich hier sitze, Wein trinke und Tapas esse, ist der schiere Leichtsinn.

Immerhin. Der Wein schmeckt. Der Abend mäandert durch die Gespräche leicht, ohne zu stocken. Man erzählt dies, man erzählt das. Urlaub. Wohnungen und Theater. Bücher und der Job, und wäre es nicht so kalt, nicht so elendig kalt in diesem kühlen Mai, ich würde noch lange sitzen und dem Abend zuschauen, wie er träg und zufrieden durch die Straßen vom Prenzlberg fließt.

So aber gehe ich heim und bade. Ich bin müde, aber schlafen kann ich noch nicht.



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