Samstag, 23. Mai 2009

Journal :: 22.05.

Der Duschschlauch ist gerissen. Der Duschkopf selbst ist zwar intakt, allerdings geht das obere Ende des Duschschlauchgewindes nicht mehr aus dem Kopf heraus, und außerdem hat der Duschkopf von Anfang an nicht so funktioniert, wie ich mir das vorgestellt hatte. Weil es sich aber ohne Dusche schlecht leben lässt, fahre ich gegen Mittag zum Baumarkt. Aus irgendwelchen Gründen gibt es allerdings im ganzen Prenzlberg keinen Baumarkt, man muss also die Greifswalder Straße ziemlich weit Richtung Norden fahren, am S-Bahnhof vorbei, und dort, wo die Leute schon ganz schön - nun: anders - aussehen, als zwischen Kollwitz- und Helmholtzplatz ist dann der Obi.

Wie alle Baumärkte ist der Obi extrem sachlich gestaltet. Vielleicht hat das Klientel des Obi keinen Sinn für die Bedeutung schön eingerichteter Geschäfte. Vielleicht betrachtet der Kundenkreis eine ansprechende Darbietung der Waren - Werkzeug etwa, Farben, Parkett, Leisten oder Waschbecken - als pekuniäre Verschwendung, aber im bleichen Licht des Baumarkts in einer sehr hohen, an ein Lager erinnernden Halle sehen die angebotenen Duschköpfe und Duschschläuche alle irgendwie dubios und ein bißchen billig aus. Durchaus unschlüssig stehe ich vor dem Regal und kann mir nicht vorstellen, dass irgendetwas hier wirklich funktioniert und sich gut anfühlt. Zudem überfordert mich die Produktpalette. Zwischen € 9,95 und € 99,79 ist hier alles zu haben. Die Duschköpfe sind alle verstellbar, sie tragen alle Namen, die den naturhaften Charakter des durch ihren Einsatz erreichbaren Duscherlebnisses andeuten, wie etwa "Saar", "Isar" oder - ganz international - "Amazonas". Die anderen Namen habe ich vergessen.

Nach fünf Minuten kommt ein Verkäufer zu mir. Er ist vielleicht fünfzig, trägt einen Bart und ist klein und quadratisch. Er rät mir zu "Amazonas", denn da (junge Frau) hätte ich was Ordentliches und det billije Zeuch sei allet Nippes. Ziemlich teuer ist Amazonas, aber gut, ich habe schließlich keine Vorstellung von den angemessenen Kosten einer Duschvorrichtung, und so schicke ich mich an, mit "Amazonas" und einem passenden Schlauch zur Kasse zu gehen. In diesem Moment allerdings taucht ein anderer Mann auf, den ich erst für einen Verkäufer ohne Schild und in Zivil halte, dann aber als Kunden identifiziere. "Amazonas", erfahre ich, sei schlecht. Die Schwägerin des anderen Kunden habe nämlich "Amazonas" gekauft (nein: sei zu Amazonas überredet worden), und dann habe "Amazonas" nach nur vier Monaten zudem nicht überzeugender Performance die Funktion eingestellt. Ein längeres Gespräch entspinnt sich über nicht geltend gemachte Garantien und Montagsmodelle. Ansonsten funktioniert "Amazonas", wie ich vom Verkäufer höre, nämlich sehr gut.

Nach Ansicht eines weiteren, allerdings sofort weiterschlendernden Herrn mit zwei Farbeimern in der Hand sollte ich auf den ganzen Tinnef verzichten. Was er damit meint, bleibt leider offen, weil der unbekannte farbenkaufende Kunde die Kritik nicht mit konstruktiven Vorschlägen verbindet, zu welchem Modell ansonsten zu greifen sei. Mit "Amazonas" in der einen und einem anderen Modell in der anderen Hand stehe ich, unschlüssiger denn je, vor dem Regal mit dem Sanitärbedarf und schaue mich hilfesuchend um.

Der Verkäufer nimmt einen anderen Duschkopf in die Hand und schüttelt ihn fachmännisch. Meiner Ansicht nach passiert da gar nichts, aber ich scheine mich zu täuschen, denn der Verkäufer und der andere Kunde sprechen über das Ergebnis dieses offenbar auf Qualitätskontrolle ausgelegten Verhaltens, als sei allgemein bekannt, dass man die Güte von Duschköpfen nicht anders prüfen kann als durch energisches Schütteln.

"Ich nehme den.", schüttele ich daher entschlossen auch "Amazonas". Nun scheint aber auch der Verkäufer von diesem Duschkopf nicht mehr überzeugt zu sein, denn einladend wird mir ein dritter Duschkopf präsentiert. Er ist gleich teuer und sieht eigentlich identisch aus. "Von mir aus.", reiße ich mich daher los und stürme zur Kasse. Der Verkäufer und der andere Kunde bleiben bei den Duschköpfen zurück.

(Ansonsten mit dem J. im Anna Blume gefrühstückt. In der Zeit gelesen, dass es tatsächlich - man denke - einen Briefwechsel zwischen Ernst Jünger und Gershon Scholem gab. Mit der C. und dem M. erst in der Oderquelle, dann im Liebling. Wie immer zu viel gegessen. Gelacht.)

Freitag, 22. Mai 2009

Journal :: 21.05.

Die C. geht nach Brüssel. Wenn man macht, was sie macht, sei das der logisch nächste Schritt, und zudem strenge es sie an, die ganze Zeit gefragt zu werden, wieso sie keine Kinder habe mit inzwischen 36, höre ich mit Bedauern. Rund um die C. herum wimmelt es gerade vor kleinen Kindern und schwangeren Frauen.

Im Fleury laufen gleichfalls Kinder en masse herum. Lauter lässige, gut gekleidete Mütter mit teuren Sonnenbrillen und den Tuniken, die im Lafayette kürzlich nicht gekauft habe, weil der J. sie nicht mag, schieben ihre Kinderwagen zwischen den engen Tischen hindurch. Hübsche Kinder haben die fremden Frauen, lockige, kleine Prinzessinnen im Mini-Trenchcoat und blonde Buben im Fischerhemd, die schon mit drei irgendwie pfiffig und sehr, sehr gut gewaschen aussehen, und einen Moment frage ich mich, was man wohl macht, wenn man einsehen muss, dass das eigene Kind optisch deutlich hinter den anderen zurückbleibt, aber wahrscheinlich ist das Quatsch.

Rechts und links kommen und gehen Leute. Die C. und ich sitze fünf Stunden am Fenster im Fleury, bestellen ab und zu etwas nach, ziehen uns die weiß-blauen Kissen so hin, dass wir auf der Bank mehr liegen als sitzen, und sprechen über unsere Jobs, die Männer unseres Lebens, gutes Essen und Reisen und unsere Mütter. Als es aufhört zu regnen, brechen wir auf.

Im Kauf Dich Glücklich essen wir Waffeln. In den letzten Jahren hat das provisorisch anmutende Interieur mancher Cafés etwas Steriles angenommen, fällt mir auf. Die Sperrmüllmöbel haben ihren unschuldigen Charme verloren und wirken nun, als handele es sich um Teile einer ganz besonders raffinierten Inszenierung, und vielleicht ist das auch wahr. Vor uns sitzt eine Handvoll Nachwuchspolitiker der FDP, junge Männer Mitte dreißig in den gekrempelten Hemden der Juristen außer Dienst. Das gut Gewaschene haben sie mit den kleinen Jungs aus dem Fleury gemeinsam, fällt mir auf, aber ich weiß nicht, wie ich das Verbindende benennen kann und lasse es deswegen bleiben. Die C. und ich verabreden uns auf morgen abend oder Sonntag und brechen auf, jeder nach Hause. Inzwischen ist es sieben.

Im fluido drei Stunden später gibt es keine Kinder. Überhaupt hat von meinen engen Freunden niemand ein Kind, aber die M., wie ich höre, überlegt das zu ändern. Ihr Job sei langweilig und ein Jahr Auszeit gar nicht schlecht. "Nicht gerade der beste Grund für Nachwuchs.", höre ich mich sagen, und der J. und der M. nicken energisch. Der M. habe zudem kein Interesse an dem zusätzlichen zeitlichen Aufwandsposten, fügt er hinzu.

Vielleicht ist es gar nicht das Kind, überlege ich mir und trinke hintereinander einen Tijuana Sling und einen Jaffa Smash Royale und einen Sekt auf Eis. Vielleicht ist es der Neuanfang, den die Leute suchen, die Kinder haben. Vielleicht ist es auch die Pause, das Sabbatical, und die M. ist nur ein bißchen ehrlicher als andere. Vielleicht haben auch andere Leute ihr Leben satt, vielleicht langweilen sich alle Leute über 30 in ihren festgefügten, ordentlichen Existenzen. Vielleicht wachen alle Leute morgens auf wie ich nach manchen Nächten, und fühlen sich leer, weil alle Anfänge längst verbraucht sind, und nichts Neues mehr kommt, was sich nicht anfühlt wie etwas längst Bekanntes. Vielleicht bekommen die Anderen vor lauter Angst vor den ewigen Wiederholungen und der Langeweile Kinder, und dann sehen die Kinder doch nur wieder aus wie die jungen Männer von der FDP.

Donnerstag, 21. Mai 2009

Journal :: 20.05.

Durch den Abend streifen, im Liebling ein Glas Sekt trinken, im Lass uns Freunde bleiben ein Glas Weißwein, kreuz und quer die Straßen entlang zu laufen, die alle voll sind, so voll, als sei in den Häusern niemand, und die hellen Fenster nichts als Lüge.

Niemals nach Hause zu gehen, stelle ich mir vor, immer weiter zu spazieren durch die Nacht, und dann doch - auf einmal müde von den vielen Stunden am Schreibtisch - aufstehen, heim, im Bett zu liegen, noch ein bißchen zu tippen, und zu spüren, wie die Welt sich verlangsamt, die Fäuste sich öffnen, und die Welt für einen Moment, einen Abend vielleicht, stehen bleibt wie ein Läufer irgendwo entlang des Weges.

Dienstag, 19. Mai 2009

Journal :: 19.05.

Die rechte Fahrbahn ist gesperrt, und das Gate schließt in zehn Minuten. Nervös kralle ich meine Fingernägel in die Nackenstütze vor mir. Fahren sie schneller, denke ich erst, dann sage ich es auch, und weil ich wirklich sehr verzweifelt bin, gibt der Taxifahrer tatsächlich Gas. Erst über einen Supermarktplatz, dann über eine Tankstelle. Schließlich über ein Stück Baustelle, ein paar Meter Fahrradweg, und dann geht es wieder voran. Zwanzig Euro werfe ich nach vorn, hasche nach der Quittung und checke in letzter, wirklich allerletzter Minute ein. Es ist morgens, kurz vor zehn. Noch einmal gut gegangen.

Auf dem Rückweg abends um acht ist es dann gemütlich. Langsam schaukelt der Wagen von Tegel in den Prenzlberg, ab und zu fallen mir die Augen vor, und als ich vorm Pappa e Ciccia stehe, zähle ich in aller Ruhe Geld ab, wünsche noch einen schönen Abend und lasse mich auf die Holzbank des Restaurants fallen. Spaghetti Vongole, bestelle ich. Einen Wein. Zur Feier des Tages gibt es eine Crème Caramel.

Um halb elf sitze ich wieder am Schreibtisch.

Journal :: 18.05.

Neun Kilo habe ich seit Weihnachten abgenommen, behauptet die Waage. Leider sieht man nichts. Oder nur ganz wenig. Frisch geduscht stehe ich vor dem Spiegel, kneife mir in die Seiten, beuge mich vor und zurück und frage mich, was man eigentlich machen muss, um so auszusehen, wie man aussehen will, oder ob das gar nicht geht. Irgendwie habe ich am Bauch immer noch mehr Speck als Muskeln.

"Findet ihr, ich mache mir zu viel Gedanken um mein Aussehen?", frage ich die Lieblingskollegen mittags beim Sushi. Aber nein, sagen beide brav im Chor. Es hört sich irgendwie verdächtig an. Ob eine weitere Gewichtsabnahme empfehlenswert sei, frage ich daher nicht. Als ich nach Hause komme, schaue ich bei Google nach, was man eigentlich idealerweise wiegt, wenn man so groß ist wie ich. Leider ist das Internet bei den wirklich ernsthaften Fragen des Lebens auch diesmal keine große Hilfe.

Nach sechs soll man nichts mehr essen, habe ich gehört. Andere Stimmen dagegen behaupten, die Uhrzeit sei egal. Weil ich eh nie vor neun zu Hause bin, beschließe ich, die zweite Ansicht sei zutreffend, richte Salat mit Huhn an, backe eine Brezel auf, und sollte zu Bett gehen, als ich doch noch - nur für eine halbe Stunde, sage ich mir - ins Lass uns Freunde bleiben gehe, mit dem J. und dem M.2 erst eine Weinschorle und dann einen Sekt trinke, über Politik und Cabrios lache und schließlich zu spät zu Hause bin, wie immer.

Es ist zwanzig nach eins. Der Tag wird lang.

Montag, 18. Mai 2009

Journal :: 17.05.

Zwischen des Fresken der Casa Bartholdy bleibe ich stehen. Schön ist es hier, denke ich, und bis der R. und die I. erscheinen, habe ich noch eine Menge Zeit. Genug für ein paar Stunden Augenlust und ein bißchen Spargelschälen und Erdbeerputzen dazu. Ruhig bin ich trotzdem nicht.

Irgendwo knapp unterhalb des Zwerchfells schlägt ein kleiner Hammer, schätzungsweise Metall, die ganze Zeit gegen die Rippen, etwas schneller als mein Herz und sehr irritierend. Wie immer, wenn ich angespannt bin, reibe ich Daumen und Zeigefinger der linken Hand gegeneinander, unwillkürlich, nichts dagegen zu unternehmen, und beschleunige und verlangsame meinen Schritt ohne rechten Anlass. Nach oben zu Liebermann, nach hinten zur Düsseldorfer Schule, zurück, und dann wieder nach unten. Sehr ruhig, gelöst und gelassen sitzt der J. im zweiten Stock auf einer steinernen Bank, wartet auf mich und lächelt mich an, als ich abwärts steige. Als wir die Alte Nationalgalerie verlassen, hört das Hämmern und Klopfen nicht auf.

Auch auf dem Heimweg höre ich die raschen, dröhnenden Schläge. Verschwinde, fahre ich den lumpigen Tambour an, der auf meinen Rippen reitet, aber der grinst nur und schüttelt den Kopf. Du bist mein, sagt er und fletscht die gelben, entblößten Zähne, dass es mich schaudert. Lass mich in Ruhe, bitte und bettele ich vergebens, noch Stunden später daheim, den Sparschäler in der Hand.

Irgendwann abends, zwischen Hauptgang und Dessert, geht der Hammerschlag schlafen, viel zu spät. Lachend und essend, trinkend und debattierend sitze ich am Tisch. Die britischen Abgeordneten. Das deutsche Umweltrecht. Italo Calvino und Christoph Ransmayr, meine Mutter und R.'s Tante, und die Fahrstuhlmusik, die der Vater vom J. macht, seit er Rentner ist und den ganzen Tag daheim.

So könnte es immer sein, halte ich mir vor, lausche in eine Gesprächspause dem eigenen Herzschlag nach, und höre mit leichtem Frösteln - weit entfernt, aber gut vernehmbar - den Tambour leise höhnisch lachen.



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