Freitag, 12. Juni 2009

Journal :: 11.06.

"Kannst du nicht anrufen?", fragt der J., als ich heimkomme, und es ist fast halb elf. Zum Kochen ist es eindeutig zu spät. Zwanzig Minuten später sitzen wir dann im Pappa e Ciccia, die anderen Gäste löffeln die letzten Reste des Desserts von ihren Tellern, und allmählich wird die Musik immer lauter.

Es gebe noch etwas zu essen, sagt die Kellnerin, und wir bestellen Ombrino, einen Spinatsalat mit Kalbssteak und Parmesan für mich und eine Portion Tagliatelle mit Dorade und Pfifferlingen für den J. Langsam leert sich der Raum, am langen Tisch in der Mitte sitzt niemand mehr, und der Duft der Lilien zieht in Schwaden durchs Lokal, ungestört durch Parfum und Gelächter. Der Abend legt sich zur Ruhe, die Kellner trocknen hinter der Theke Untertassen ab, so langsam, als gelte es, keinen einzigen Tropfen zu hinterlassen.

Als das Essen kommt, laufen die C. und der M.2 am Fenster vorbei. "Hey!", winke ich nach draußen zur Straße, die Tür öffnet sich, wir machen Platz, Stühle werden geschoben und Karten gebracht, Speisen gegeneinander abgewogen und mehr Wein bestellt. Ich beneide die C. um ihre Gambas. Die Musik ist noch etwas lauter geworden in den letzten zwanzig Minuten, verwehte Discomusik von vor zwanzig Jahren, und ich sehe mich sitzen, mit einer Freundin am Sonntag vor dem Radio, 1989, das Kassettengerät aufnahmebereit in der Hand, lachend wie heute. Da sitzen wir, raten die Titel (M.2 gewinnt), essen Pasta und Brot, trinken viel zu viel Wein für einen Donnerstag abend, lachen, als hätten wir noch viel mehr Wein getrunken, und als die Kellnerin kommt, ob wir noch etwas möchten, schüttele ich den Kopf.

Nein, sage ich. Es ist alles bestens.

Donnerstag, 11. Juni 2009

Journal :: 10.06.

Meine Kalbsmaultaschen, sagt man mir, seien geplatzt. Zumindest zwei von fünf Maultaschen hat dieses für die schwäbische Spezialität eher ungewöhnliche Schicksal ereilt, und rund um den Tisch wird ein bißchen spekuliert, wie man sich die Maultaschenexplosion wohl vorzustellen hat. Die drei gelieferten Maultaschen liegen jedenfalls sehr zahm auf einem etwas öligen Salat und wirken nicht so, als könnten sich jeden Moment Sprengkräfte entfalten.

Weil heute Sommer ist, sitzen wir an der Schröderstraße und nicht an unserem reservierten Tisch im Lokal. Ruhig ist es hier, kaum ein Passant auf der Straße, und gegenüber ist sogar noch ein ganzes Haus nicht einmal saniert. Hinter uns schimmert der kühle, weiße Innenraum mit der Holzwand und ein paar Geweihen, von dem ich nie weiß, ob ich ihn nun gut finde, oder nicht doch auf so eine seltsam feige Weise kitschig. Es gibt einen sehr, sehr leichten Grauburgunder, ein knuspriges Brot mit Rahm statt Butter, und meine Dessertvariation sieht zwar etwas lieblos aus, schmeckt aber gut. Ein Stück Ofenschlupfer liegt neben einer kleinen Nocke Mousse au Chocolat und einer undefinierbaren weißen Creme. Vielleicht ist es eine etwas weiche Panna Cotta oder ein Stück Flammeri. Genau weiß das keiner. Wegen des Maultaschendefizits bekomme ich das Dessert immerhin gratis.

Wir reden ein bißchen über Mitte und alles außer Mitte, über Wohnungen und Makler, Freunde, Bekannte und Feinde, und kurz bevor uns der Gesprächsstoff ausgeht, klingelt das Telefon. Die C. ist dran und kommt wenig später vorbei. Erst als es kühl wird, brechen wir auf.

Vor dem 103 halten wir an. Die C. und ich wollen noch nicht heim, denn heute ist Sommer und alle Tische sind voll. Zwar lässt der Kellner auf sich warten. Zwar verschüttet er, als er mit dem Ingwertee kommt, den Inhalt eines Hundenapfs auf der C. Am Ende aber sitzen wir da, und die Kastanienallee schimmert, und erzählen uns leise etwas über die Wirren des Lebens, die oft nicht aufzulösen sind, so sehr man sich auch wünscht, es wäre anders.

Dienstag, 9. Juni 2009

Journal :: 09.06.

Es ist wärmer geworden, und über der Spree spannt sich straff ein gläserner, hellblauer Himmel. Noch aber ist der Tag nicht vorbei, noch kannst du lange nicht heim, und was sollst du auch da, wo du es nicht aushältst, weil es so still ist, dass die Stille dich an den Wänden zerdrückt.

Auf den Brücken über der Spree gehen die Leute ganz langsam, sehen sich um, als sei der zaghafte Sommer nicht wahr, und lächeln so vorsichtig, als könne mit jeder heftigen Regung etwas zerbrechen und werde nie wieder heil. Auf den kalten Wassern fahren die Schiffe fast leer Richtung Westen, und für eine Sekunde wünschst du dir einen Knall, ein Krachen, dass der Himmel zerbirst, und die Brücken bluten und brechen.

Dann aber fährst du weiter. Der Tag ist noch lang.

Montag, 8. Juni 2009

Journal :: 08.06.

Liebe Sozialdemokraten,

im Netz gibt es ja alles. Hier findet man noch die abseitigste Information über verstorbene Pflanzenforscher, die abstrusesten Bilder von Familienfesten fremder Leute, und wessen Topf hier keinen Deckel findet, der sollte sich möglicherweise Gedanken über eine Anpassung der von ihm verwandten Suchkriterien machen. Insofern, sehr verehrte Sozialdemokraten: Auch Sie mögen das Netz bevölkern, vielleicht lesen Sie sogar hier mit, und möglicherweise bekennen Sie sich in den Kommentaren unter diesem Text zu Ihrer Wahlentscheidung.

Warum ich das wissen will? Nun, aus einer Reihe von Gesprächen gestern und heute habe ich den Eindruck mitgenommen, auch die freilich eher bescheidenen 20% von gestern seien eine Erfindung der Landeswahlleiter, denn tatsächlich hat sich mir gegenüber niemand (niemand) bekannt, sein Kreuzchen bei der SPD gemacht zu haben.

Im Freundeskreis mag das an der Homogenität liegen, die befreundeten Personen ja oft zu eigen ist. Die meisten Stimmen haben hier die Grünen abbekommen, drei Stimmen gehören der FDP, und eine Freundin, deren Namen hier verschwiegen werden soll, hat die LINKE gewählt, wie ich annehme. In dem Wahlllokal, in dem auch ich meine Stimme abgegeben habe, sind 50% den Grünen zugeflossen, 9% gehören der CDU, 15% der LINKEN, 6% hat die FDP abgegriffen, aber wer auch immer die 10% SPD-Stimmen abgegeben hat - ich kenne ihn nicht, oder er hat es mir nicht gesagt.

Auch beim Kaffeetrinken im Kollegenkreis heute morgen um elf war kein Sozialdemokrat am Tisch. Die Grünen haben auch hier eine solide Mehrheit von circa 2/3, in den Rest der Stimmen teilen sich CDU und FDP, und wenn es stimmt, dass große Städte die Labore der Zukunft sind, nun, dann hat die SPD ein Problem und wird demnächst aussterben, und das wäre - ob ich die SPD nun wähle oder doch weiterhin eher nicht - doch ein wenig bedauerlich für die große, alte Partei August Bebels, und ein bißchen schade wäre es vielleicht sogar für die Republik insgesamt.

Insofern: Bekennen Sie sich. Und schreiben Sie am besten dazu, was Ihnen an der SPD besser gefällt als an anderen Parteien. Aber bleiben Sie mir bloß mit Opel vom Hals.

Ihre Modeste

Journal :: 07.06.

"Ein Baguette Dindon und ein Joghurt mit Obst, bitte", schiebe ich mich an zwei Mädchen vorbei, die vor der Kuchenvitrine im Fleury kichernd auf die Tarte zeigen. Es ist wahnsinnig voll. Sogar auf der Terrasse sitzen Leute in der Kälte und frühstücken.

Die C. und der M.2 sind seit zwei Stunden hier, weil die Mutter der C. heute morgen um sieben abgereist ist. Der M.2 blättert in ein bißchen in der Zeitung, wir sprechen über die Wahl und über die letzte Woche, und als alles erzählt und alles aufgegessen ist, brechen wir auf. Vor der Tür steht ein Krankenwagen und zwei Sanitäter legen ein Unfallopfer auf die Bahre. Von hinten sehe ich nur die Absätze der verunglückten Frau. Hinter dem Krankenwagen stehen mehrere Straßenbahnen und warten.

In der Schule an der Schönhauser Allee gehen der J. und ich wählen. Der Nachmittag verplätschert vor dem Rechner. Ich arbeite ein bißchen, und der J. liegt auf dem Sofa. Abends brate ich Schnitzel, telefoniere eine Stunde mit der J. und zwei mit der C., spreche über die Wahl und die nächste Woche und gehe zu Bett. "Was schreibst du ins Internet?", fragt mich der J. auf dem Weg ins Bad.

"Nichts.", sage ich. War ja nichts los.

Sonntag, 7. Juni 2009

Journal :: 06.06.

Es gibt einen Haufen Ratgeber über die Frage, wie man erreicht, was man sich vorgenommen hat. Wenn man beispielsweise Karriere machen will, hat man die Auswahl zwischen Hunderten von Ratgebern, denen man entnehmen kann, wo man studieren, wie man sich anziehen, was man beim Wein erzählen und worüber man promovieren soll. Sucht man statt - oder zusätzlich zu - einer Karriere einen Mann, so gibt es wiederum Bücher über Bücher. Wo man einen Mann kennenlernt. Wie man sich am besten präsentiert (Doktortitel verschweigen, lächeln, keine langen Fingernägel, solcherlei Informationen). Findet man keinen Mann, so kann man andere Bücher kaufen, in denen drinsteht, woran das liegt, und wer heiratet oder Kinder bekommt, kann sich Bibliotheken zulegen, wie man das am besten macht.

Weiß man aber gar nicht, was man will, so steht man dumm da. Bücher über die Frage, wie man sich ein vernünftiges Lebensziel zulegt, gibt es ganz bestimmt, aber wenn man alle Lebensziele, die andere Leute morgens dazu motivieren, aufzustehen, nicht teilt, dann wird es schwierig, und so überlege ich durchaus vergeblich, was man der M. erzählen sollte, die ihr Dasein, hört man, gerade etwas satt hat. Ihren Job beispielsweise. Den Prenzlauer Berg. Ausgehen. Und überhaupt alles. Es sei alles da, aber sie fühle sich so Sartre, sagt die M., und das ist natürlich schlimm.

Andere Leute ergeben sich in einer solchen Situation dem Suff, aber auch nach vier Cocktails wirkt die M. irgendwie nicht lustiger. Rund um uns herum kommen und gehen größtenteils recht hübsche Leute und trinken auf den schwarzen Ledersesseln der fluido Bar mehr oder weniger bunte Getränke. Der J. erzählt von seiner jüngst entdeckten Liebe zum Fußball und unserer Wohnungsbesichtigung am Samstag früh. Der M. schwenkt seinen Lagavulin und versteht auf seinem Sessel schräg gegenüber nur die Hälfte von dem, was alle anderen sagen, und mir fällt so rein gar nichts ein, was als Sinn des Lebens auf den ersten Blick überzeugend präsentiert werden könnte.

Der Unterschied ist nur: Mir ist das egal. Mir reicht das.



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