Donnerstag, 23. Juli 2009

Wandern

Ich glaube, wie waren im Harz. In unserer Jugendherberge hingen überall Brockenhexen herum. In den Zimmern musste man zu sechst schlafen, und mir gegenüber schlief ausgerechnet die D., die ich nicht leiden konnte, weil sie strohdumm war und trotzdem beliebt. Morgens musste man früh aufstehen, ich glaube, um sieben, und im Speisesaal, der natürlich auch voller Brockenhexen hing, an langen Tischen Früchtetee und schlechtes Brot frühstücken, zu dem es Margarine und Marmelade gab und Teewurst, vor der es mir grauste.

Jeden Tag mussten zwei andere Schüler Küchendienst leisten und abends die große Spülmaschine ausräumen. Immerhin entging man so der Deutschlehrerin Frau Dr. F., die nach dem Abendessen eine halbe Stunde vorlas, und zwar mit großer Treffsicherheit etwas komplett Ödes. Frau Dr. F. besaß das absolute Gehör für miese Bücher.

Nachts versuchten (wir waren dreizehn oder so) immer irgendwelche Jungen, ins Mädchenzimmer zu kommen, aber weil ohnehin alle Besucher für dieselben Mädchen kamen, zu denen ich nicht gehörte, stellte ich mich schlafend, wenn es nachts gewaltig gegen die Tür donnerte. Eins der begehrten Mädchen machte dann meistens auf. Irgendwie hatten sich ein paar der Besucher Obstwein verschafft, der ging dann herum. Neben uns schlief Frau Dr. F. und tat so, als würde sie das alles gar nicht mitbekommen. Wahrscheinlich las sie in ihren unverdaulichen Büchern, während meine Freundin S. das erste Mal geküsst wurde, um mir später zu erzählen, Jungen würden sich kalt und feucht anfühlen, nicht unähnlich kleinen Hunden.

Den ganzen Tag mussten wir wandern. Jeder sollte jeden Morgen einen Rucksack mit Brot und Wasser füllen, und dann liefen wir den ganzen Tag hinter Frau Dr. F. und dem Wanderführer her. Rechts waren Bäume, links waren Bäume, in der Mitte war ein relativ breiter, festgetretener Sandweg, und den liefen wir auf und ab. Landschaft sah man eigentlich keine. Ab und zu war irgendwo ein See. Zum Baden allerdings war es zu kalt. Nach fünf Tagen fuhr die ganze Klasse, nicht zuletzt Frau Dr. F., aufatmend wieder nach Hause, aß, was ihr schmeckte, schlief allein (auch Frau Dr. F.), und wanderte nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Ungefähr zwanzig Jahre lang bin ich nie länger als vielleicht so zwei Stunden am Stück zu Fuß gegangen.

Am Samstag aber wird sich das ändern. Die C. hat mich überredet. Wir fahren mit der J. und einem Drei-Personen-Gruppenticket nach Pirna, wandern zwei Tage durch die sächsische Schweiz und übernachten in einem Hotel an der Elbe, das zwar nicht nach Margarine aussieht, auch nicht nach Brockenhexen und Spülmaschinenausräumpflicht für Gäste, aber geküsst wird wohl keiner, nicht einmal von kleinen Hunden, und erst recht nicht .... aber lassen wir das.

Mittwoch, 22. Juli 2009

Friteuse

Als der C., den ich ab und zu treffe, von dem Restaurant nebenan erzählt, wo es immer so stinkt, fällt mir der R. wieder ein. Der R., seine Diss und seine Friteuse.

Der R. ernährte sich ohnehin wie das Letzte. Schon als er in die WG einer Freundin einzog, lebte er eigentlich nur von Tiefkühlpizza (1,59 Edelsalami von Aldi), Backofenfritten, Bratwurst und Remoulade. Man sah es ihm nicht an, aber der R. bestand eigentlich nur aus minderwertigem Fett. Vermutlich verschlang die Diss irgendwie die Fettmengen, die der R. aß. Der R. selber war rötlich, hager, mit hervortretenden Adern und einem Adamsapfel, vor dem ich mich ein bißchen ekelte. Andere Frauen ekelten sich offenbar auch, denn der R. hatte keine Freundin, und auch sonst war beim R. diesbezüglich nie etwas los. Vielleicht kompensierte der R. das irgendwie, aber auf keinen Fall durch gutes Essen.

Irgendwann kam ich in die Küche der WG, und auf der Arbeitsfläche stand eine Friteuse. Die Friteuse hatte der R. von zu Hause mitgebracht. Von Stund an ernährte er sich nur von Gebackenem. Er fritierte Hähnchennuggets aus Separatorenfleisch in Form kleiner Saurier. Er fritierte in Scheiben geschnittene Äpfel (ansonsten aß er kein Obst). Er fritierte tiefgefrorene, panierte Schweineschnitzel und er fritierte - das habe ich selbst gesehen - einmal ein ganzes Huhn. Einmal die Woche brachte er das Fritierfett in alten Flaschen nach unten.

Nach und nach wurde die Friteuse den anderen Bewohnern erst lästig, dann unerträglich. Man verdeutlichte dem R., dass man an sich nichts gegen unkonventionelle Ernährungsgewohnheiten habe, aber nicht nur der R. und seine Friteuse, sondern die Küchenvorhänge, die Küche selbst, alles, was sich in der Küche befand und auch die anderen Bewohner der WG rochen immerzu nach altem Fett. Entweder (so hieß es einige Wochen später) komme die Friteuse weg, oder man müsse dem R. kündigen.

Der R. wehrte sich. Er stehe kurz vorm Abschluss seiner Diss, und da sei es schlecht mit einem Umzug. Zudem rieche die Friteuse kaum, und außerdem sei es wenig tolerant und deswegen gar nicht schön von den anderen, ihn und seine Friteuse zu diskriminieren. Als aber auch die Nachbarn begannen, auffallend oft von den Gerüchen zu sprechen, die vom Küchenbalkon der WG das ganze Haus infizierten, warf der damalige Freund einer Mitbewohnerin eines Nachts die Friteuse in einer betrunkenen Laune einfach weg. Am nächsten Morgen kam der R. in die Küche und stand sprachlos vor der leeren Arbeitsfläche. Als er seine Sprache wiederfand, war der Teufel los. "Diebe" war noch der schlichteste Ausdruck, mit dem er die Mitbewohner belegte.

Dass man mit Leuten, die einen bestehlen, nicht zusammenleben kann, versteht sich von selbst. Der R. zog also aus. Als er alle seine Sachen in einen Vito verstaute und davon zog, lief meine Freundin getrieben von schlechtem Gewissen ihm die Treppe hinab hinterher. In der Hand hatte sie das Glas, in dem das Telephon- und Haushaltsgeld der WG für die laufende Woche lag, und das gab sie dem R. Er möge sich eine neue Friteuse kaufen. Er nahm das Geld und fuhr davon.

Irgendwann trafen meine Freundin und ich den R. in der Uni. Wie es ihm gehe, fragten wir ihn, und er winkte lässig mit der Hand ab. Seine Diss sei eingereicht, erfuhren wir. Er habe auch schon einen Job. Nur mit dem Wohnen sei es eine schwierige Sache. Schon wieder suche er ein Zimmer, nirgendwo komme man zur Ruhe. Das sei schlimm. Wie es denn mit seinem früheren Zimmer stehe, fragte er meine Freundin. Diese schüttelte bedauernd den Kopf. Das Zimmer werde bereits seit Wochen wieder genutzt, teilte sie dem R. mit, und verschwieg, dass die Nutzung des Zimmers vorwiegend in der Tischtennisplatte bestand, die man neu angeschafft hatte und die weder roch noch fritierte.

Sonntag, 19. Juli 2009

Wo die Welse wohnen

Klar und grün funkelt der See zwischen den Bäumen, und mit den Wolken zieht ein kühler Hauch von der Stadt Richtung Süden. Mit den Füßen im Wasser sitze ich hinten im Boot, lasse mir Sekt von Frau Casino reichen, packe Sandwiches aus, greife in Frau Wortschnittchens Chipstüte und stoße mit Herrn Lucky im Nachbarboot an. Gut sieht er aus, frisch erblondet, schmaler im Gesicht als noch vor Monaten, und mir gegenüber, im dritten Boot, sitzt Herr Glam, schön wie immer, isst Obst und trinkt Wein.

Es gebe hier Welse, höre ich und blinzele in die seltene Sonne. Riesige Fische stelle ich mir vor, bemoost und alt, dicklippig, mächtig und böse, und sehe die Welse am Grunde des Sees zwischen Steinen und Schlick sich finster verschwören. Ganz genau kann ich mir die Welsworte vorstellen, kehlig und tief und mehr ein Knurren als das gläserne, silbrige Glucksen anderer Fische.

In unserem Boot aber sind die Welse weit weg. Ich esse ein bißchen mehr, als ich eigentlich wollte, trinke über den Nachmittag verteilt bestimmt eine ganze Flasche Sekt, lache, erzähle Dummheiten, wie es sich für eine angetrunkene Frau gehört, und bedaure ein wenig, dass gestern meine Pediküre keine Zeit für mich hatte, und nun sehen meine Fußnägel aus, nun ja, eben wie selbst lackiert. Ich kann das nicht so richtig gut.

Unter uns aber haben die Welse ihre Verschwörung besiegelt. Bestimmt opfern die Welse nun wehrlose, kleinere Fische, Krebstiere vielleicht, vielleicht auch (oh, Agamemnon) der Welse jüngere Töchter, und verteilen vorm Raubzug Blut und schleimige Därme auf gutes Gelingen im See. Mag sein, dass die Welse nun rüsten, Schlachtpläne hecken, und die Beute verteilen, die erlegt werden soll, und noch nichts davon weiß.

Auf dem Boot, hoch über den Welsen, ziehe ich derweil meine Jeans aus. Aus verschiedenen Gründen trage ich bekanntlich keine Bikinis, sondern einen körperverhüllenden schwarzen Badeanzug, und fühle mich wie immer, wenn es zum Baden geht, einen Moment lang sehr nackt und sehr fett und irgendwie quallig. Dann geht es wieder mit mir und ich springe ins Wasser. Der See ist recht kalt.

Unter mir strömen die Welse zusammen. Die ersten fletschen freudig die schleimigen Kiefer. Der Feldherr regiert mit den Flossen die Truppen. Barteln zittern auf den Kiefern der Streiter, Schlachtrufe werden geknarzt, und die Kompanie steigt nach oben. Mit geschlossenen Augen spüre ich die Welse sich nähern. Mit ausgestreckten Füßen, das weiß ich, könnte ich die Welse berühren, und lege mich flach auf das Wasser, damit das nicht passiert.

Auch die anderen schwimmen rund um die Boote. Rechts von mir zieht Frau Casino weitere Kreise. Frau Wortschnittchen und die Herren Lucky und Glam schwimmen direkt über den Welsen, zum Greifen nah über den Rücken der Fische, und doch ein Stück, ein Hauch, eine Handbreit zu hoch. Die Welse schnappen und toben.

Nicht lange jedoch währt der Kampfgeist der Welse. Nach und nach sinken die Streiter ermattet nach unten, knurren vor Ärger, graben sich ein in den Schlamm und geben einander die Schuld. Der Feldherr, hört man, habe sein Amt aufgeben müssen. Die Opfer waren umsonst. Ohnmächtig sehen die Welse nun zu, wie der See sich leert von Armen, Körpern und Beinen, und nur der Schatten der Boote sich langsam, im Zickzack, nach Westen entfernt.

Samstag, 18. Juli 2009

Aus dem Leben einer Katastrophe

Mein Leben ist ja so ungefähr so unterhaltsam wie das eines Bundes Möhren, und es gibt ernsthafte Anzeichen dafür, dass mein Cousin L. die Ursache dieser kaum normal zu nennenden Ereignislosigkeit ist, da dieser die gesamten vom Schicksal für meine ganze Familie vorgesehenen Kapriolen ganz allein aufgebraucht hat. Natürlich streitet der L. alles ab. Die Fakten aber sprechen für sich: Mein Cousin ist eine Katastrophe.

Dabei sei er diesmal, so der L., eigentlich einfach nur so mit einer Bekannten verreist. Nicht einmal besonders unterhaltsam sei das gewesen, weil die Bekannte zu Problemen neige, über die sie die ganze Zeit spreche. Nun ist mein Cousin L. kein Freund von nicht amüsanten Damen. Zwei Tage oder so machte der L. daher mühsam freundliche Miene zum langweiligen Spiel, dann fuhr er wieder heim und beschloss, die Dame künftig zu meiden.

Die Dame aber musste das gemeinsame Wochenende deutlich anders eingeordnet haben als der L., denn mehrfach, ständig sogar, rief sie an, schickte eine E-Mail nach der anderen, und schließlich stand sie sogar vor seiner Bürotür, als der L. Sprechstunde abhielt. Der L. versteckte sich mittelmäßig heldenhaft in seinem Büro. Die Dame erwies sich indes als außerordentlich hartnäckig.

Dem L. wurde das alles zuviel. Nun ist der L., als Cousine darf ich das sagen, kein so besonders direkten Konfrontationen zugewandter Mensch. Eine direkte Ansage dergestalt, dass er die Bekanntschaft künftig nicht weiter pflegen wolle, wollte der L. daher vermeiden und verfiel auf die Idee, statt seiner könnte die K. seiner Bekannten vermitteln, es sei vorbei. Die K., dies sei hinzugefügt, ist eine Art Dauerverhältnis oder auch Immer-Mal-Wieder-Verhältnis, ganz wie man es nimmt, jedenfalls treffen sich die K. und der L. immer dann, wenn die K. sich gerade nicht so gut mit ihrem Mann versteht. Läuft es gut bei der K. daheim, sind die K. und der L. einfach nur so recht gut befreundet.

Die K. rief also die Bekannte an. Über den Inhalt dieses Telephonats weiß ich an sich eher wenig, aber die Bekannte muss sich dermaßen geärgert haben, dass sie beschloss, sich zu revanchieren. Sie rief also wiederum an, allerdings nicht die K., sondern deren Mann. Dieser wiederum fühlte sich von dem Anruf gestört. Ich kenne den Mann der K. nicht, aber übermäßig eifersüchtig scheint er mir nicht zu sein. Übermäßig friedliebend dafür vielleicht schon eher, und so ließ der Mann der K. am Montag nach dem Telephonat gegenüber der Exfrau des L. (beide sind Kollegen) fallen, dies alles missfalle ihm in hohem Grade. Der L. möge sein Liebesleben doch mit etwas weniger hysterischen Leuten verbringen.

Der Exfrau des L. (die mit dem Kind) missfällt das Privatleben meines Cousin nun schon etwas länger. Zwar habe sie, sagt sie, hier keine Beteiligungsrechte mehr, auch fühle sie sich nicht im engeren Sinne gestört. Indes geschmacklos, unreif und des Vaters der gemeinsamen Tochter unwürdig sei das alles, erzählte sie kopfschüttelnd ihrer ehemaligen Schwiegermutter, der Mutter des L., bei der Übergabe meiner kleinen Nichte.

Meine Tante hatte noch nie viel über für die Umtriebe ihres einzigen Sohnes. Nun ist es nicht einfach, einen Vierzigjährigen noch auf seine alten Tage umzuerziehen, daher beließ sie es bei ein paar missbilligenden Worten, die allerdings meinen Cousin unverhältnismäßig verärgerten. Es müssen in der Folge ein paar böse Worte gefallen sein im Laufe der letzten Wochen, alle Beteiligten beschwerten sich bei ihnen nahestehenden Personen, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass schon morgen, auf dem 70. Geburtstag der Tante des L. (von der mir nicht verwandten Seite) die Irritationen zu öffentlichkeitswirksamen Szenen führen werden, von denen ich sicherlich erfahren werde, wenn der L. sie mir erzählt, um mich - gelangweilt, wie gesagt, wie ein Bund Möhren - ein wenig zu erheitern.

Donnerstag, 16. Juli 2009

Lorelei und Friedrichshain

Die kleine Schwester der H. sieht richtig gut aus. Wie die H. ist sie bestimmt 1,80 groß, sehr, sehr schlank, aber anders als die H. investiert sie dermaßen viel Zeit in ihr Aussehen, dass sie nicht nur ganz gut, sondern so phantastisch schön aussieht, dass allein ihr Herumgehen in Friedrichshain letzte Woche ausgereicht haben soll, einen jungen Mann ins Verderben zu reißen.

Man muss sich also die kleine Schwester vorstellen, wie sie irgendwo am Boxhagener Platz von der Bahn zu einer Verabredung geht. Rundherum ist alles so ein bißchen räudig, lauter Bars mit billigen, bunten Getränken zu Absturzpreisen, und die Jugend aller fünf Kontinente feiert den Sommer, die Ferien und die Sorglosigkeit vor dem 20. Geburtstag mit viel, viel Alkohol und noch mehr Lärm. Die meisten jungen Mädchen dort rund um die Simon-Dach-Straße herum kommen aus England oder Australien und sind ein bißchen zu dick und ein wenig zu ausgezogen, als dass man diesen Umstand übersehen könnte, und es mag sein, dass es der Kontrast zwischen jenen und der kleinen Schwester war, der das gute Aussehen der Schwester noch ein wenig vorteilhafter herausgestellt hat. Vielleicht war es auch die einbrechende Dunkelheit, die sinnenverwirrende Hitze zwischen den Häusern, mag auch sein, es habe der junge Mann auch schon ein wenig getrunken, jedenfalls kam er auf dem Fahrrad angefahren, starrte die kleine Schwester an und verlangsamte sogar ein bißchen. Ein wenig geniert (sagt sie) sah die kleine Schwester weg.

Für einen Moment verdeckte die Straßenbahn die kleine Schwester der H. Möglicherweise hielt der junge Mann in diesem Moment an, das weiß man nicht genau. Jedenfalls war er, dabei ist die Berliner Tram nicht schnell, noch auf gleicher Höhe, als die Straßenbahn vorüberfuhr und den Blick wieder freigab auf die andere Seite der Straße, die kleine Schwester und ihr gutes Aussehen. Noch immer, oder vielmehr erneut, starrte der junge Mann sie an. Immerhin kam er der kleinen Schwester nicht hinterher, sondern fuhr weiter, weiter, und schließlich vorbei.

Die kleine Schwester verlangsamte. Es ist nicht lustig auf zehn Zentimetern Absatz herumzugehen, nach einigen Minuten schmerzen die Ballen, die Riemchen schneiden ins Fleisch, und dann muss man sehr zurückhaltend auftreten, sonst tut man sich weh. Die kleine Schwester schlich also ein paar Meter vorsichtig die Straße entlang. Mit der einen Hand grub sie in ihrer Tasche nach ihrem Telephon, mit der anderen hielt sie die Tasche geöffnet, und weil sie auch in die Tasche schaute, denn vielleicht war das Telephon ja besser zu sehen als zu ertasten, sah sie nicht hin, als es plötzlich knallte. Der junge Mann war in die Straßenbahnschienen gefahren. Dann war er umgekippt.

Die kleine Schwester zögerte nur ganz kurz, bevor sie loslief. Zum einen kann man auf Sandaletten nicht richtig laufen, zum anderen meidet man möglicherweise Irrsinnige selbst dann lieber, wenn sie Unfälle haben und auf der Straße herumliegen. Die kleine Schwester aber ist gutmütig, überquerte die Straße und half erst dem jungen Mann und dann seinem Rad auf. Der junge Mann stand also neben ihr, klopfte seine Jeans ab, griff nach seinem leicht lädierten Rad, bedankte sich, stotterte ein bißchen und fuhr wieder los. Einige Meter später jedoch wurde er langsamer, kehrte um und hielt erst vor der kleinen Schwester wieder an. Ob sie ...?, fragte er. Ob nicht. Oder ob? - Denn ein wenig peinlich war ihm das Ganze wohl schon.

Außerordentlich schön sei die kleine Schwester, erläuterte er seinen Vorstoß. Umgedreht habe er sich nach ihr, denn so schön seien regelmäßig keine Leute, die öffentlich auf Straßen herumgehen, und so sei er, das habe sie ja gesehen, beim Schauen des Weges verlustig gegangen, denn auf eins nur könne man achten, auf die Straße oder eine schöne Frau, und so hätten nun er und sein Rad jeder einen kleinen Schaden davongetragen. Kleine Schäden aber ziehe man sich nicht umsonst zu, mit kleinen Schäden bezwecke das Universum meist etwas, und in diesem konkreten Fall sei der kleine Schaden doch in offensichtlicher Weise zur Kontakaufnahme bestimmt gewesen, denn andernfalls wäre er längst jenseits der Frankfurter Allee und die schöne Schwester an einem ebenfalls anderen Ort. Dem Universum aber dürfe man sich nicht widersetzen, und so sei die Bekanntschaft fortzusetzen. Da aber schöne Frauen sich nicht auf der Straße mit wildfremden Leuten zu verabreden pflegen, sondern ein wenig Bedenkzeit benötigten, schreibe er seine Telephonnummer auf. Dann werde er warten.

"Und?", frage ich die H. und bestelle noch ein Glas Ombrino. - Sie habe ihn wirklich angerufen, erfahre ich. Man sei verabredet auf Dienstag in der Mensa. "Dann hat er ja Glück gehabt.", kommentiert der Dritte am Tisch den Bericht. "Kommt ganz darauf an.", schüttelt die H. den Kopf und lacht. Ihre Schwester sei - mehr wolle sie dazu nicht sagen - ein wenig schwierig.



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