Montag, 26. März 2012

25.03.2012

Die ganze Welt riecht nach Milch. Nach saurer Milch, genauer gesagt, und in der Öffentlichkeit schnuppere ich ab und zu vorsichtig ein bisschen herum, ob es gerade sehr durchdringend riecht wie in einer Lagerhalle für Harzer Käse.

Dass Kind F. nach Milch riecht, finde ich dabei verzeihlich. Er ist acht Wochen alt, da kann man schon mal nachsichtig sein, aber für die Spuren der Milch auf mir bin ich natürlich voll und ganz selbst verantwortlich. Flecken auf T-Shirts beispielsweise. Reste von Milch, die mir aus dem F. irgendwie in den Ausschnitt getropft sind. Milch in den Haaren, alle diese Dinge, und so sitze ich also morgens um halb zwölf vorm Café Anna Blume und mustere verstohlen mein Oberteil. Da ist doch nicht etwa ... oder riecht hier Kind F. aus seinem Wagen?

Wenn Frau Wortschnittchen etwas riecht, dann überspielt sie das jedenfalls mit höflicher Perfektion. Hell, aber kälter als gestern scheint die Sonne, das Frühstück für zwei ist so groß, dass ich vermutlich nicht abnehmen, sondern weiter zunehmen werde, und Kind F. schläft wie erhofft so ausdauernd, dass er erst dann erwacht, als das Frühstück praktisch aufgegessen ist. Ich bin satt. Kind F. möchte erst noch satt werden.

Zu Hause angekommen, inspiziere ich meine Oberbekleidung und wechsele das Shirt. Später am Tag ziehe ich mich nochmal um. Jeder hatte mir schon im Vorfeld gesagt, dass ich nie so häufig waschen würde, wie im ersten Lebensjahr des F., aber dass dies nicht nur an den ständig vollgespuckten Kinderkleidungsstücken liegt, sondern auch an meinen vollgemilchten Sachen, war mir so nicht klar.

Irgendwann abends wird Kind F. gebadet. Frisch riecht er, gar nicht nach Milch, und ich schnuppere kritisch: Es muss an mir liegen. Ich sollte mich umziehen.

Sonntag, 25. März 2012

24.03.2012

Heute ist Sommer. Auf dem Weg vom Potsdamer Platz bis nach Kreuzberg, den Mauerwanderweg entlang, rötet sich meine Haut ein wenig, und auch auf der Stirn des M., auf den Wangen der I., kann man den Sommer sehen.

Sogar die Spree sieht aus, als sei sie sauber wie ein Gebirgssee und warm wie das Meer im August. Die Berliner sind die bestgelaunten Menschen der Welt und stehen glücklich auf den Brücken der Stadt, grillen im Park und blinzeln selig-benommen in den Tag. Vor Aldemir in Kreuzberg bilden sich lange Schlangen für das erste Eis des Jahres. Vor den Cafés ziehen Gäste ihre Jacken aus und halten die weißen Arme und Beine ins Licht.

Das sind die Flitterwochen des Frühlings, denke ich mir, und schaue den Kindern zu, die im T-Shirt über die Bürgersteige fahren. So schön wird der Sommer sein, bin ich mir sicher: Erdbeeren und Sahne. Eisbecher und nächtliche Bellini, überglänzt von einer weiß-goldenen Sonne am Tag und Lampions bei Nacht, die im Sommeriwnd schaukeln.

Freitag, 23. März 2012

23.03.2012

Irgendwann nachmittags aber sitze ich in der Sonne, lächele dem Sommer zu und freue mich, wie gut die Stadt aussieht, und wie viele Leute hier eigentlich hübsch sind und gut angezogen durch die Straßen laufen.

Ich ordere noch einen Latte Macchiato, entkoffeiniert, und lästere mit einer Bekannten über den Natürlichkeitswahn der Hebammen, die oft so tun, als habe es vor Erfindung der Schulmedizin ein goldenes Zeitalter der Geburtshilfe gegeben, in dem die Menschheit dank Hausgeburt und Ganztagsstillen glücklich, ausgeglichen, gesund und frei von Traumata jedweder Art einhergewandelt sei. Wir lachen ein bisschen über den Homoöpathietick der Geburtshelferinnen, der vermutlich darauf zurückzuführen ist, dass Hebammen keine richtigen Medikamente verschreiben dürfen, und machen uns über den Muttermilchkult lustig, der bei manchen Hebammen geradezu religiöse Züge annimmt. Später erzählen wir uns noch, was wir uns für Schuhe und Taschen gekauft haben, wenn man schon keine schönen Kleider kaufen kann, und zählen Musik auf, die wir richtig gut finden.

Der Sommer braucht Musik, sage ich mir, heimgekehrt nach Hause, und tanze durchs Wohnzimmer, Kind F. auf dem Arm, drehe Tocotronic ziemlich laut und frage mich, was für den F. die Musik seiner Jugend gewesen sein wird, wenn er einmal 35 ist, im Jahre 2047.

(Abends dann mit dem J. im femmina morta. Antipasti und Spaghetti Carbonara.)

Donnerstag, 22. März 2012

22.03.2012

Heute mache ich nichts. Als Kind F. nach dem Frühstück um acht wieder einschläft, schlafe auch ich einfach weiter, hypnotisiert von den ruhigen Atemzügen des Säuglings. Draußen ist es hell, registriere ich noch durch den schmalen, leuchtenden Spalt zwischen Fenster und Vorhang. Und wenn schon.

Als ich um elf wieder erwache, trinke ich erst ganz, ganz langsam einen Malzkaffee. Dann trinkt Kind F. Milch. Zäh wie Akazienhonig fließt die Zeit an mir vorbei, stockt nur kurz, als das Telephon klingelt und verrinnt dann schläfrig glucksend irgendwo zwischen Schlafzimmer und Küche. Ich könnte ein bißchen lesen, fält mir ein, und hole mir Frank Goosens "Sommerfest". Den "Hasen mit den Bernsteinaugen" habe ich durch.

Erst gegen zwei gehe ich erstmals auf die Straße. Ich muss mehr spazieren gehen, habe ich mir vorgenommen, denn das Spazierengehen verbrennt Fett, und davon habe ich gerade zuviel. Ich schiebe meine Gewichtsentwicklung immer auf das Kind, aber in Wirklichkeit habe ich die gesamte Schwangerschaft über gegessen wie drei normale schwangere Frauen. Aus den Augenwinkeln beobachte ich mein Spiegelbild in den Fensterscheiben. Ich sehe aus wie ein Sack.

Auf dem Rückweg setze ich mich dann in die Sonne. Ich habe meine Sonnenbrille wiedergefunden und blinzele dem Frühling entgegen. Die ganze Stadt hat die Wintersachen ausgezogen und zeigt die noch etwas blassen Beine. Gut siehst du aus, Berlin, denke ich mir, und bestelle einen Saft namens Spreegold Spezial und einen Cappucino und erzähle Kind F., was alles in der Süddeutschen steht. Derzeit ist Kind F. noch schlankweg egal, was man ihm mitteilt, Hauptsache, man spricht mit ihm und lächelt ihn an, und erst, als ich ziemlich lange telephoniere, fällt ihm ein, dass jetzt Essenszeit ist. Ich zahle und gehe nach Hause.

Irgendwann sitze ich auf dem Sofa, und Kind F. liegt neben mir und schläft. Auf der Rückenlehne hinter mir döst meine schöne, blaue Katze, und ich blättere ein bisschen in der Zeit und in der neuen Nido, fange zweimal Goosens "Sommerfest" an, und frage mich dann doch, warum ich das gekauft habe. Es handelt sich, will mir scheinen, um ein möglicherweise ganz nettes, aber ungewöhnlich unbedeutendes Buch. Statt weiterzulesen schleppe ich also Kind F. ein paar Runden durch die Wohnung und singe ihm etwas vor.

Als meine Mutter anruft, ist der F. schon wieder eingeschlafen. Gut geht es mir, teile ich ihr mit, höre mir ein bisschen Tratsch an, lache über die Irrfahrten einer lieben, ziemlich törichten Tante, und sage, als sie fragt, sehr zufrieden: Nichts.

Mittwoch, 21. März 2012

21.03.2012

Langsam wird die B. mir unheimlich, die jeden Mittwoch meine Wohnung reinigt: Letzte Woche, da war ich nicht da, hat sie eine Schale Pistazien sortiert, die der J. halb gegessen und mit den Schalen stehen gelassen hatte. Diese Woche hat die B. dagegen nicht nur die Wohnung aufgeräumt und geputzt, sondern auch die Katzen gründlich gereinigt und gebürstet. Ich will nicht ausschließen, dass sie auch Kind F. und mich einmal so richtig porentief grundreinigen würde, bekäme sie dazu Gelegenheit. Heute aber bestand die Gelegenheit nicht: Mittwoch morgen ist Pilates, und der F. kommt mit.

Im Prenzlauer Berg gibt es bekanntlich mehr Pilates-Studios als Nagelstudios im Wedding, und sie sind alle, alle voll. Besonders voll wirkt so ein Pilates-Studio natürlich, wenn nicht nur ungefähr zehn schwangerschaftsbedingt leicht verschwabbelte Frauen mittleren Alters (alle außer mir blond) auf Matten liegen, sondern neben jeder Frau auch noch ein Kind liegt und je nach Alter und Temperament entweder an die Decke starrt oder teilweise geräuschvoll auf sich aufmerksam macht. Ich liege also auf einer grünen Matte und verspüre ein deutliches Zucken in den Nerven, die für Gereiztheit zuständig sind. Mich stört zwar mein eigenes Kind nicht. Für andere Kinder gilt das aber noch lange nicht. Da hilft auch der kleine lächelnde Buddha aus Stein in der Fensternische nicht weiter: Es soll ruhig sein. Gerade noch rechtzeitig endet die Kurseinheit. Im kurzen Gespräch mit einer anderen Kundin simuliere ich Verständnis und Interesse an ihrem störenden Kind und bin ein bisschen peinlich berührt: Die Frau erinnert sich von der letzten Pilates-Stunde noch genau an meinen Namen und den meines Babys. Ich hätte geschworen, weder sie noch ihre Tochter jemals gesehen zu haben. Leicht verschämt ziehe ich ab.

Als ich zu Hause wieder auftauche, ist die B. gerade weg. Die Wohnung ist unglaublich sauber und aufgeräumt, unfassbar insbesondere wenn man den Vorzustand kennt, und so lege ich mich erst einmal aufs Sofa, lese, telefoniere und genieße den Zustand. Schon, genau kann ich das sehen, lauert in den Ecken erneut die Entropie: Auf dem Tisch liegen mein Portemonnaie und die Post. Auf der Arbeitsfläche habe ich mit einem Tee gekleckert, und auf dem Couchtisch liegt ein Stillhütchen. Bis heute abend, das ist leider klar, wird es aussehen wie immer.

Immerhin, so tröste ich mich, wird der aufgeräumte Zustand dauern, bis Frau Engl mich besucht. Vorher schaue ich mir eine weitere Kita ein, denn irgendwer soll Kind F. betreuen, wenn der J. und ich wieder arbeiten gehen, und dann setze ich mich wieder aufs Sofa, kraule Kind F. den Bauch und warte, bis es klingelt. Leider sagt Frau Engl gar nichts zu meiner mordsaufgeräumten Wohnung, aber vermutlich steht dafür schon wieder viel zu viel herum. Selbst das Kuchenessen (drei fabelhafte Stück Kuchen vom Franz Karl in der Bötzowstraße) hinterlässt Spuren, die vorher nicht da waren.

Am Ende, irgendwann abends, sitze ich wieder auf dem Sofa. Neben mir schnarchen leise das Kind und die Katze. Zerstreut blättere ich in der ganz guten neuen Dummy zum Thema "Geheimnisse". Dann greife ich noch einmal zum Notebook. Die Wohnung, so scheint es mir, sieht wieder aus wie immer.



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