Samstag, 31. März 2012

30.03.2012

Ich bin ja so schlecht im Zuhausebleiben. Ich langweile mich irrsinnig schnell. Ich habe auch gern Leute um mich. Mit denen muss ich nicht immerzu sprechen, aber einfach anwesend sein sollen sie doch, und so habe ich nicht nur meine Diss zu ganz erheblichen Teilen im LassunsFreundebleiben in der Choriner Straße geschrieben. Ich habe auch meine Berufswahl danach getroffen, dass da möglichst ein Haufen Leute sind. Arbeiten ohne Kollegen kann ich mir nämlich nicht vorstellen, und wenn ich frei habe, gehe ich gern weg.

Nun ist das Ausgehen mit einem kleinen Kind nicht ganz einfach. Entweder ist der J. zu Hause und passt auf das Kind auf, aber dann schafft man es ja gar nicht mehr gemeinsam vor die Tür. Oder man geht zu zweit weg, aber dann muss das Kind mit. Bars scheiden damit praktisch aus, denn da wird fast durchweg geraucht. Ich meine mich an eine Berliner Rauchergesetzgebung zu erinnern, indes wird diese - wie man so sagt - ganz offensichtlich nicht gelebt. Also keine Bars, zumindest nicht zu zweit.

Bleiben also Restaurants. Der Kleine kennt inzwischen (lassen Sie mich rechnen) alle vier Stammitaliener. Die Ming Dynastie an der Jannowitzbrücke. Die Kimchi Princess in Kreuzberg. Das Mao Thai. Das Filetstück, aber bisher nur mittags. Irgendwann waren wir auch Chez Maurice und mehrfach im Alt Wien. Ausgespart allerdings bisher und damit auch von J. und mir seit Januar nicht mehr frequentiert ist die Spitze der Berliner Gastronomie, dort, wo die Hauben wachsen und Sommeliers durch die Speisesäle eilen.

"Ich möchte schon mal wieder richtig gut essen gehen.", beklage ich mich also beim J. am Freitag abend in der - sehr netten - Pizzeria Mami Camilla. Ich will ins Reinstoff. Ich will zu Tim Raue und ins Rutz. Ich möchte zumindest einmal wieder ins Paris Moskau. Und sobald ich deutlich abgespeckt wieder halbwegs normal aussehe, soll es auch der Grill Royal wieder sein. Im neuen Restaurant in der Jüdischen Mädchenschule in Mitte war ich auch noch nicht.

"Dann lass uns das doch einfach machen.", meint der J. und schaukelt Kind F. sanft an der Schulter hin und her. Mit weit geöffneten Augen schaut der F. sich die anderen Gäste und die Raumgestaltung an. "Die werden uns hassen.", meine ich und erinnere mich an ein paar böse Artikel über Eltern, die ihre Kinder überall hin mitschleppen, wo andere Leute störungsfrei vor sich hin existieren möchten. Vermutlich werden gleichzeitig Anwesende sich in Zeitungen darüber beschweren, dass man nicht einmal mehr oberhalb der Sommeliergrenze von minderjährigem Gesocks verschont bleibt, und im schlimmsten Fall werden wir photographiert und als ganz besonders abschreckendes Beispiel für öffentliche Belästigungen ausgestellt.

"Ich habe da noch nie Säuglinge gesehen.", gebe ich zu bedenken und male mir aus, wie unser Baby im Margaux kräftig rülpst oder durch den Raum getragen werden will. Zum Brüllen neigt der Kleine zum Glück nicht, aber was, wenn er unverhofft Hunger bekommt? Ist es also nicht besser, Besuche der Hochgastronomie auf die zweite Jahreshälfte zu verschieben, wenn er etwas größer ist und Babysitter beschäftigt werden können? Sollte ich meine Mutter einladen, die dann den Abend über den Kleinen hütet, während der J. und ich essen gehen? Oder ist hier Dickfelligkeit gefragt, und ich sollte einfach reservieren: Ein Tisch für zwei mit genug Platz für den Kinderwagen. Ja, um acht. Und dann in aller Seelenruhe drei Stunden lang essen.

Freitag, 30. März 2012

29.03.2012

Still ist es im Bode-Museum, denn die Berliner gehen nur noch zu Ausstellungen, zu denen alle anderen Berliner und möglichst viele Auswärtige auch gehen. Langsam, das Kind auf dem Bauch, schlendere ich von byzantinischen Schreinen aus Elfenbein zu fein behauenen Sarkophagen und Ikonen. Byzanz, denke ich. Da müsste man auch mal hinfahren.

Zurück nach Hause gehe ich zu Fuß. Auf der Karl-Liebknecht-Straße laufen spanische Studenten und Schulklassen mit irgendeinem bizarren Alpendialekt (Schweizer? Aber von wo?) wild durcheinander. Der F. ist wach und schaut aufmerksam seinen schaukelnden Holzfrosch an.

Abends bin ich dann zum Telefonieren verabredet. Byzanz, sage ich, und höre mir tolle Geschichten über Wochenenden am Bosporus an. Ich auch, sage ich und schaue mir im Internet Bilder an, ganz viele Bilder, Filme auch, und plane eine Reise nach Istanbul, irgendwann Ende des Jahres vielleicht, vielleicht nächstes Jahr, und male mir alles aus, spät nachts im Bett.

Donnerstag, 29. März 2012

28.03.2012

Früh aufgestanden bin ich noch nie besonders gern, und der F. hat meine Vorliebe für eine Nachtruhe von drei bis zehn offenbar übernommen. Heute müssen wir aber zum Arzt. Der erste Impftermin steht an, und das sehr, sehr früh.

Ich quäle mich also sozusagen mitten in der Nacht aus dem Bett. In der Dusche schlfe ich fast wieder ein. Läge ich in der Wanne, wäre ich vermutlich ertrunken, aber so trockne ich mich sorgfältig ab, setze nach nur zwei Fehlversuchen meine Kontaktlinsen richtig rum ein und föhne mein Haar. Ich sehe irgendwie tot aus, fällt mir auf, als ich in den Spiegel schaue.

Der F. ist vom frühen Aufstehen auch nicht begeistert. Wie ein Sack lässt er sich wickeln und anziehen, trinkt in eher homöopathischen Dosen Milch und fällt dann an der Brust wieder in seligen Tiefschlaf. "So geht das nicht, mein Lieber.", sage ich energisch und stecke ihn in die Manduca, das ist so ein Teil zum Babytragen.

Nach dem Arztbesuch werden wir beide wieder ganz, ganz müde. Der F. gähnt auf dem Weg die Marienburger Straße hoch, und auch ich würde jetzt sehr gern noch ein paar Stunden schlafen. Das geht aber leider nicht. Die B. ist da und macht sauber, und außerdem sind wir verabredet.

Wieder zu Hause ist es zum Schlafen zu spät. Zwar schläft der F., aber ich sitze schlaflos, aber müde, auf dem Sofa, lese Peter Gays Geschichte der Liebe im bürgerlichen Zeitalter, und krame ein bißchen in den Regalen. Peter Weiß könnte ich bei Gelegenheit zuende lesen, fällt mir ein. Oder die Tagebücher der Brüder Goncourt.

Im Laufe des Abends komme ich dann immer weiter in Fahrt. Ich telefoniere und mache mich über die absurden Gender-Statements der Piraten lustig, bei denen ich nicht verstehe, wer sie und wieso eigentlich wählt. Dass eine Partei "nicht etabliert" ist, reicht doch für einen normalen Menschen keineswegs aus, um eine postive Wahlentscheidung zu treffen. Man zieht doch auch nichts an, nur weil es ganz neu und bisher noch nicht weit verbreitet ist. Und wie habe ich mir jemanden vorzustellen, der Netzpolitik allen Ernstes für ein Thema hält, das so wichtig ist, dass es Ökologie, Wirtschaft und die meisten gesellschaftlichen Themen so überlagert, dass die Unschärfe der Partei hinsichtlich dieser Themen ihm nichts mehr ausmacht?

Um zwölf knicke ich ab. Wie schrecklich wird das werden, wenn der F. erst eine Kita und dann eine Schule besucht, schwant mir, und ich überlege, ob es eigentlich in Berlin private Institute gibt, die den Unterricht erst um 9.30 beginnen. Mir persönlich wäre das einiges wert. Hier existiert vielleicht eine Marktlücke, male ich mir ein großartiges Geschäftsmodell aus, und schlafe dann Schlag Mitternacht ein. Neben mir schnarcht der F., auch dieser völlig erschossen.

Mittwoch, 28. März 2012

27.03.2012

Der Goosen ("Sommerfest") wird auf die letzten Meter nicht interessanter. Es handelt sich um eine Art Ruhrgebiets-Heimatroman rund um einen Heimkehrer mit emotionaler Altlast an eine Jugendliebe, und vielleicht gewinnt das Buch, wenn man die Schauplätze und Charaktere kennt. Ich kenne das Ruhrgebiet nur von gelegentlichen Auswärtsterminen, und mein Bild der Gegend ist nicht besonders positiv. Etwas derb stelle ich mir das Ruhrgebiet vor, naturfern wie eine Großstadt, aber ohne deren Vorzüge, und den Bewohnern des Ruhrgebiets, so mein ganz persönliches Vorurteil, fehlt es an einer gewissen Politesse. Dieses Bild bestätigt das Buch nun aufs Beste. Ganz erleichtert schlage ich den Roman nach der letzten Seite zu. Der Goosen hat mir nicht gefallen.

Im Tiergarten gefällt es mir dafür umso besser. Ich sitze in der Sonne, trinke Latte Macchiato entkoffeiniert, schaue Kind F. beim Wachsen zu und telefoniere. Als eine halbe Stunde später eine Bekannte auftaucht, schieben wir zu zweit langsam Richtung Zoo und lästern über den Berliner Betrieb, ziehen alle Parteien hintereinander durch den Kakao und geben Prognosen hinsichtlich der Bundestagswahl ab, dass es nur so kracht.

Im KaDeWe schauen wir uns einmal gründlich an, was man für Kinder so alles kaufen kann, wenn man gerade für sich nichts findet. Meine Bekannte hat eine kleine Tochter, das ist fürs Einkaufen natürlich dankbarer, und für einen Moment bedaure ich, dass man für kleine Buben wenig mehr bekommt als Miniaturausgaben dessen, was ihre Väter in deren Freizeit tragen. Ich kaufe also Chinos für den F., Bodies mit Polokragen und einen ganz, ganz kleinen Cardigan.

Nach Hause zurückgekehrt lege ich mich wieder aufs Sofa. Auf meinem Bauch liegt der F. und maunzt leise abwechselnd die Decke und mich an. In einem Sitz lese ich mich durch Christian Y. Schmidts amüsantes Chinabuch "Bliefe von dlüben", fange nun doch mit David Foster Wallace "Unendlichem Spaß" an, und telefoniere ein bißchen herum.

Nach China sollte man auch mal reisen, überlege ich mir beim Zubettgehen. Aber erst einmal reisen wir in die USA, erinnere ich mich, und blättere noch im Bett, den F. an der Brust, im Reiseführer. Kalifornien, denke ich, und dann schlafe ich ein.

Dienstag, 27. März 2012

26.03.2012

Die Photos vom Wochenende geben mir den Rest. Jeder, aber auch wirklich jeder, ist dünner als ich, und auch das Baby macht irgendwie den Eindruck, als fände es eine dünnere Mutter besser. Ich bin verzweifelt.

Auf Zeitablauf allein mag ich mich nicht verlassen. Ich bin bisher immer nur von selbst dicker, aber nie von selbst dünner geworden, und ob Stillen und Spazierengehen allein ausreichen, halte ich für eher unwahrscheinlich. Schließlich ist der Kleine schon zwei Monate alt, andere Frauen führen acht Wochen nach der Geburt öffentlich Bikinis vor, und nur ich sehe aus wie eine Seekuh. Das muss alles anders werden. Ich melde mich bei Weight Watchers an.

Nach der Anmeldung geht es mir schon besser. Das wird wieder, tröste ich mich, und mache einen mittellangen Spaziergang quer durch den Prenzlauer Berg. Außerdem kaufe ich ein. Heute abend gibt es Sellerie-Apfel-Gratin und Steaks, kündige ich dem J. an. Das passt gerade so in meinen Ernährungsplan, rechne ich mir aus, und bin im Großen und Ganzen mit mir ganz zufrieden.

Nachmittags dann ein Rückschlag: Der J. will Eis essen, ich begleite ihn, und irgendetwas in mir sagt - quasi an mir vorbei - laut und deutlich: Zwei Kugeln in der Waffel. Der Spaziergang morgen muss also sehr ausführlich ausfallen.

Nachts im Bett zähle ich Punkte. Ich wälze Ernährungspläne hin und her. Ich plane Sportkurse. Ich rätsele, wie viel man bei Pilates wohl verbrennt, und als ich einschlafe, träume ich tatsächlich von einem langen, langen Weg, matschig und steinig und zu Fuß durch den Regen. Wie viele Punkte das bringt, habe ich vergessen, als ich morgens erwache.



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