Dienstag, 20. März 2012

20.03.2012

Oh nein, ächzt der Nörgler hinter meinem linken Ohr. Dein Tagebuchblogen war immer schon sehr, sehr öde, weil dein Leben seit Jahren bar jeder Übertreibung zu den langweiligsten Leben der Welt gehört.

Mit dem neulich frisch geborenen Kinde F. hat sich der Langweiligkeitsfaktor noch einmal deutlich gesteigert. Du selbst, behauptet der Nörgler, langweilst dich zwar nicht. Dass liegt an den Hormonen. Für den Rest der Welt gilt das aber nicht, und so werden auch deine letzten Leser dein Blog verlassen, wenn du nichts weiter mitzuteilen hast als den ungewöhnlichen Appetit deines Knaben, der - vermutlich dank einer vom Vater ererbten Fressgier - eigentlich den ganzen Tag isst.

Immerhin aber, redet der Optimist hinterm rechten Ohr mir gut zu, ist es Frühling, und du bist den ganzen Tag unterwegs. Du könntest von der alten Russin erzählen, die dir heute in Mitte an einer Ampel eine abscheuliche Babymütze in schreiend grellen Farben verkaufen wollte, und dich als Dankeschön für ein paar Euro ohne Mütze so fest umarmt hat, dass dir fast die Rippen gebrochen wären. Auch der Kerl bei dm am Alex bedarf der entrüsteten Mitteilung, der ungefragt behauptet hat, dein Kleiner sei aber ganz schön fett. Beschwiegen werden sollte allerdings - hier sind sich Nörgler und Optimist ausnahmsweise einig - das Resultat einer ersten Gewichtsbestimmung nach der Geburt. Laut Nörgler bleibt das jetzt so, und auch der Optimist schließt schnelle Erfolge bedauernd aus. Vor lauter Schreck hast du heute abend nur ein paar Nudeln in Tomatensauce gegessen.

Ein paar längere Telefonate machen die Sache laut Nörgler auch nicht besser. Über den "Hasen mit den Bernsteinaugen" könntest du schreiben, aber dafür müsstest du das Buch erst einmal fertig lesen. Alles, schließt der Nörgler damit, spreche also gegen eine neue Runde Tagebuchblogen, und doch siegt am Abend irgendwann der Optimist.

Seien Sie also eingeladen: Langweilen Sie sich auf ein Neues chez Madame Modeste.

Samstag, 10. März 2012

Die Zahnbürste

Okay, haben Sie gedacht und missbilligend die weißen Sprenkel auf meinem Oberteil betrachtet. Kaum ist das Kind da, wird Madame also nachlässig, denn der evolutionäre Auftrag ist ja sozusagen erfüllt. Ganz sicher wird Madame schon Weihnachten die Achtzig-Kilo-Grenze sprengen und sich spätestens nächstes Jahr so eine formlose North-Face-Jacke kaufen, mit denen die ortsansässigen Muttis signalisieren, dass ihre s*exuell aktiven Zeiten der Vergangenheit angehören, und ihr Aussehen ihnen nun fortan egal ist. Es ist also aus mit Madame, haben Sie meine Telephonnummer schon einmal in Gedanken aus ihrem Handyadressbuch gelöscht. Madame gibt es nicht mehr, denn Mutti hat sie gefressen.

Doch so, dies anzumerken ist mir wichtig, verhält es sich nicht. Die weißen Sprenkel stehen in keinerlei Zusammenhang mit dem jüngst angeschafften Kinde F. Die weißen Sprenkel auf meinem Oberteil resultieren vielmehr aus meinem technischen Unvermögen; diesmal zutage getreten anlässlich eines neuen elektrischen Geräts: Einer neuen, weißen, erstmals elektrischen Zahnbürste. Letzte Woche online erworben, heute erstmals benutzt.

Der Hintergrund der Zahnbürstenanschaffung ist ein ernster: Vor drei Wochen bekomme ich ernsthafte Zahnschmerzen. Also so richtig, so schädelzermalmend unangenehm, und gehe am nächsten Tag zum Arzt. Der Arzt - in diesem Fall eine Ärztin - schaut mir in den Mund, macht irgendwelche Untersuchungen, entfernt eine schadhafte Füllung, und dann folgen grauenhafte Stunden, in denen die Ärztin Nerven entfernt, Karies wegbohrt, Wurzelkanäle mit einer Feile reinigt, und das alles entzündungsbedingt mit einer nicht so richtig gut funktionierenden Narkose. Ich habe gelitten.

Nun strebt der Mensch danach, Leiden zu vermeiden. Ich will also nie wieder zum Zahnarzt. Der Weg zur Vermeidung künftiger Zahnarztbesuche aber führt (gerade wenn man so miese Zähne hat wie ich) wohl nur über eine drastisch verbesserte Mundhygiene. Ich habe also Geräte bestellt. Wenige Tage später war die neue Zahnbürste da.

Ich habe bisher keinerlei Erfahrung mit diesen Dingern. Ich habe immer manuell gebürstet. Ich habe mich also mit dem neuen Gerät neugierig und ein wenig unsicher ins Badezimmer gestellt. Ich habe Zahnpasta auf den Bürstenkopf gedrückt. Ich habe den Mund geöffnet. Ich habe die Zahnbürste an meine Vorderzähne gehalten und den "On"-Knopf gedrückt. Erwartungsgemäß begann die Bürste mächtig zu rotieren, und ich schob die Bürste Zahn für Zahn durch meinen Mund.

Gut, auch mir ist aufgefallen, dass der Spiegel immer weißer wurde, aber ich dachte, dass muss so. Ich bin mit der Zahnbürste sogar noch durch die Wohnung gelaufen, und es spritzte weiß aus meinem Mund eigentlich überall hin, wo ich mich gerade aufhielt. Auch dabei dachte ich mir eigentlich nichts. Millionen Menschen nutzen elektrische Zahnbürsten, die Bedienung - so nahm ich an - müsse also einfach und eigentlich selbsterklärend gestaltet sein, und so beendete ich, ohne Verdacht zu schöpfen, irgendwann den Prozess der Zahnreinigung und verließ das Haus. Dabei, sehr verehrter Leser, haben Sie mich vermutlich gesehen.

Ihnen sind die weißen Sprenkel natürlich sofort aufgefallen. Ich allerdings lief selbstvergessen einfach so ein wenig herum, war frühstücken, unterhielt mich ein bißchen, und die sozusagen explodierte Zahnpasta wäre mir nie im Leben aufgefallen, wenn nicht mein Begleiter, der liebenswürdige J., mich auf diese Verunzierung meiner Oberbekleidung aufmerksam gemacht hätte. Zu diesem Zeitpunkt allerdings saß ich in einem Café, wo man schlecht seine Kleidung wechslen kann, denn in aller Regel hat man sonst nichts dabei.

Ich blieb also gesprenkelt. Irgendwann später habe ich mich dann umgezogen. Gleich, wenn ich wiederum die neue Bürste benutze, werde ich, wie man mir empfohlen hat, diesmal den Mund schließen. Und was Ihre Vermutung angeht, ich würde nun binnen kürzester Zeit verkommen:

Ich hoffe nicht. Ich tue mein bestes.

Dienstag, 28. Februar 2012

Die dicke Frau aus der Tram

Es ist also Dienstag, kurz nach acht, und Sie sitzen in der M 4. Am Alex steht die Frau neben Ihnen auf und geht. Schade, denken Sie. Die war nämlich eigentlich ganz hübsch, die Frau, jung und blond und schlank, und mit der dicken Frau mit den schwarzen Haaren, die sich jetzt auf den Sitz neben Ihnen fallen lässt, haben Sie keinen guten Tausch gemacht.

Sie schätzen die dicke Frau auf mindestens Größe 42, wenn nicht noch mehr. So dick sollen Frauen nicht sein, Frauen sollten ein bisschen auf sich achten, und selbst, wenn Sie wüssten, dass die Frau vor vier Wochen ein Kind bekommen hat, würden Sie immer noch denken, dass andere Frauen jetzt schon wieder mit Größe 36 durch Berlin schweben würden, statt in einem schlabbrigen Jersey und Leggings unter der Barbour Jacke (überhaupt: Wer trägt noch Barbour Jacken?) in der Tram herumzusitzen.

Sie wundern sich ein bißchen, was die dicke Frau wohl in Ihrer riesigen H&M-Tüte herumträgt. Bekleiden die da seit neuestem auch Elefanten? Sie würden sich bestätigt fühlen, wüssten Sie, dass die Frau gerade alle Hosen anprobiert hat, die H&M führt, und die beiden größten gekauft hat, die der ganze Laden bereit hielt. Die fährt sie jetzt nach Hause. Einen Trenchcoat und zwei Oberteile hat sie auch noch gekauft.

Dass die dicke Frau überhaupt vor allem deswegen bei H&M eingekauft hat, um angesichts der Kostengünstigkeit des dortigen Angebots das Provisorische ihrer derzeitigen Konfektionsgröße zu betonen, und so schnell wie möglich ihre Einkäufe von heute wegwerfen zu können, wissen Sie natürlich nicht. Auch ist Ihnen unbekannt, dass die dicke Frau sich geschworen hat, dass Sie am 01. Juni dieses Jahres die 60 kg wieder unterschreitet. Doch selbst wenn Sie das alles wüssten, selbst wenn Sie wüssten, dass die dicke Frau heute abend zu Hause ziemlich belämmert die neuen, total unförmigen Sachen in ihren Schrank hängen wird, fänden Sie die dicke Frau immer noch zu dick, denn Frauen sollen nicht so dick sein, ganz gleich, wie dieses unfassbare Übergewicht zustande kommt.

(Und selbst, wenn Sie das alles nicht gedacht haben sollten: Dass die Frau denkt, dass Sie genau das denken, reicht eigentlich aus, die dicke Frau zu deprimieren.)

Donnerstag, 23. Februar 2012

Vom Paradies

Christian Kracht, Imperium

Es ist doch alles da, wenn Sie des Nachts erwachen. Was Sie im satten Schein der Nachttischlampe vom Bett aus sehen, zeugt von Ihrem Geschmack und (wozu dies beschweigen) von Ihrem Geld. Sie sind gesund und haben keine Schmerzen. Der Mensch, der neben Ihnen schläft, liebt Sie und sieht - bei aller Intelligenz - auch noch gut aus.

Wenn Sie an den nächsten Tag denken, spüren Sie weder Furcht noch Ärger. Doch denken Sie an das nächste Jahr, ach: an das nächste Jahrzehnt, so spüren Sie eine leichte, eine kaum wahrnehmbare Beklemmung, der Schatten eines Gefühls mehr als ein Gefühl selbst, und Sie schelten sich für dieses Missbehagen, für das es keinen Anlass gibt, denn voraussichtlich geht es Ihnen auch in zehn Jahren blendend.

Das Gefühl aber - das wissen Sie - wird nicht weichen. Sie werden erwachen, morgen früh, übermorgen, irgendwann in Ihrem Leben, und wissen, dass irgendwo in der Mitte Ihrer Welt ein schwarzes Loch klafft, der Eingang zu einem dunklen Kanal in die Mitte des Nichts, und alles, was Sie ausmacht, nur Girlande ist und sinnlose Verzierung, denn das Loch ist das Eigentliche und alles andere ist nichts.

Ein Geringerer als Sie würde nun verzweifeln und Erlösung suchen in Schönheit oder Kunst, würde sehr religiös oder ginge zumindest viermal die Woche zum Yoga und würde Anhänger der Eigenurintherapie. Sie aber sind klug. Sie wissen, dass nichts auf Erden uns rettet, und alles Streben nach Unsterblichkeit, nach Glück und Auflösung in einem höheren Sein scheitern wird, nur scheitern kann, und das Schicksal dem Scheiternden meistens nicht einmal Tragik und Würde bereitstellt, weil es kaum etwas gibt, was lustiger ist als jemand, der auf den Bananenschalen ausrutscht, die auf dem Weg ins Paradies auf den Wanderer warten.

Abgeklärt, wie Sie sind, lehnen Sie sich zurück in Ihre ganz sicher sehr bequemen Kissen und belächeln gern die Irrläufer der Suche nach dem Heiligen Gral. Herrn August Engelhardt etwa – dessen wohl teilweise wahre Geschichte Christian Kracht uns in seinem vierten Roman erzählt – erfreut Sie deshalb ganz und gar mit seinem Plan, ein Reich der Glückseligkeit auf einer Südseeinsel zu errichten, auf der seine Jünger und er nackt und friedlich sich ausschließlich von Kokosnüssen ernähren sollten, um so unsterblich zu werden.

Als ein Realist durch und durch wundern Sie sich nicht, dass aus dem Plan nichts wird. Engelhardt wird (natürlich, denken Sie und verziehen mokant das Gesicht) nicht glücklich und gesund, sondern verwandelt sich durch die jahrelange Mangelernährung in einen paranoiden, antisemitischen, leprakranken, regredierten Kannibalen. Auch aus der Schar von Jüngern, die Engelhardt sich vorstellt, wird nichts, denn die wenigen Anhänger, die es bis zu seiner Insel Kabakon schaffen, enttäuschen Engelhardt, und die Anhänger, die in der Kolonialhauptstadt hängen bleiben, führen schließlich dazu, dass der Gouverneur der Kolonie Engelhardt loswerden will und – wenn auch erfolglos – seine Ermordung beauftragt.

Auch der Erzähler selbst, so erscheint es Ihnen, teilt Ihre Ansicht über diejenigen, die wie Engelhardt versuchen, der Unerlösbarkeit der Welt mit ungeeigneten Mitteln zu entkommen. Elegant zurückgelehnt, gelassen plaudernd mit allen Mitteln des großen Romans des letzten Jahrhunderts, erzählt Kracht von diesem Kammerspiel des deutschen Welttheaters, als habe es die stilistischen Aufgeregtheiten des letzten halben Jahrhunderts nie gegeben. Heiter erscheint Ihnen dieser Erzähler, von einer sonnig-entspannten Ironie, die Sie sanft durch die rund 250 Seiten trägt, freundlich und bar jener Verzweiflung über die Unheilbarkeit der Welt, die die ersten Romane des Autors grundierte, und so ziehen Sie sich die Decke noch etwas höher in der besten aller Welten.

Später aber, ganz spät, schon haben Sie das Licht gelöscht und die Augen geschlossen, erschrecken Sie doch. Der Autor hat Sie verraten, erkennen Sie, auf dem trockenen Pfad Ihres Realismus. Nicht vorgeführt, so scheint es Ihnen nun, hat Kracht Ihnen den Irrweg aller Utopisten, die Vergeblichkeit der Erlösung und die Verzweiflung derer, die danach suchen, denn (anders als es in Wikipedia steht), stirbt Engelhardt bei Kracht gerade nicht 1919 vereinsamt und abgemagert an seiner Kokosnussdiät. Noch nach 1945 taucht Engelhardt auf, geheilt von der Lepra, abgemagert, aber lebendig, und auch wenn die Erlösung, auch wenn das Paradies, nicht unaussprechlich dionysische Genüsse bereithält, sondern nur Cola und Hot Dogs und sehr gesunde GI’s: Die Pforten dieses Paradieses immerhin öffnet Kracht seinem traurigen Helden, und mehr Erlösung von Übel und Tod, als Sie sie finden werden, bei Nacht, in Ihrem Bett, in Ihrem soliden Leben und mit Ihren beiden Beinen fest auf dem Boden.

Doch nächtliche Verzweiflung, auch das ist Ihnen klar, haben Sie morgen vergessen.

Sonntag, 19. Februar 2012

Unfassbare Langeweile

Nie - ich wiederhole: nie - habe ich mich so unsagbar gelangweilt wie gestern abend im Friedrichstadtpalast während der rund 60 Minuten, in denen ich Robert Pattinson bei dem in jeder Hinsicht misslungenen Versuch zugesehen habe, Guy de Maupassants Bel Ami darzustellen.

Mit einem Wort: Es ging nicht. Aber beginnen wir von vorn:

Sicher ist die Verfilmung des Bel Ami nicht leicht. Romane der Belle Epoque verführen - dem widersteht auch diese Verfilmung nicht - dazu, sich sehr in den Ausstattungen zu verlieren und zwischen Plüsch, Spiegeln, Spitzen, Silber und Orchideen zu vergessen, dass wir über Vorgänge in einer überaus komplexen Gesellschaft sprechen, deren Mitglieder ebenso nüchtern wie wir ihre Interessen verfolgten, gute Rechner, vital und ausgebuffter als wir Kinder eines gezähmten und saturierten Zeitalters, das das Frankreich des dritten Napoleon nicht war, diese Gesellschaft von Aufsteigern mit einem guten Appetit und ohne die Müdigkeiten, die erst eine Generation später die Kinder dieser Gründerzeit befallen werden wie eine seltene und erlesene Krankheit.

Diese Raffinesse zeigt die aktuelle Verfilmung uns nicht. Es geht in Maupassants Roman nicht um Sex, erst recht nicht um Liebe. Es geht um Politik als Vehikel von Gier und Ehrgeiz. Es geht um Intrigen, es geht um die Frage, wie weit die Skupellosigkeit uns trägt, wenn wir ganz nach oben wollen in einer überaus dynamischen Gesellschaft, die Maupassant uns entkleidet aller moralischen und religiösen Bindungen beschreibt. Es geht um Winkelzüge, es geht um sehr kluge und sehr kalte Leute, die miteinander und gegeneinander spielen, nicht viel anders als ein Jahrhundert vor ihnen die Aristokraten der Liaisons Dangereuses. In dieser Verfilmung sehen wir von der Kälte und der Bösartigkeit der Pariser Gesellschaft in Politik und Presse aber nichts. Wir sehen keine Reptilien. Wir sehen nur ein paar Frauen, die sich von einem Vorstadtbeau beeindrucken lassen und dabei zwangsläufig enttäuscht werden. So simpel sind Maupassants Geschöpfe aber nicht. Der Film erzählt eine andere, eine einfachere und weniger interessante Geschichte als der Roman.

Das Drehbuch wird auch den Dialogen des Romans nicht gerecht. Alles, was die Protagonisten sagen, hat bei Maupassant einen doppelten Boden, denn jeder (und eben nicht nur Georges Duroy) instrumentalisiert und betrügt hier alle anderen, Liebhaber und Gatten ebenso wie Freunde, Freundinnen und Geschäftspartner. Dies aber sehen wir nicht, wir empfangen nicht einmal Andeutungen. Wir sollen dem Drehbuch die Wendungen glauben, die die Geschichte nimmt, aber nichts in dem, was wir sehen, motiviert das Wechselspiel der Personen untereinander.

Absurd auch und nicht zuletzt ist Besetzung. Robert Pattinson soll derzeit ein Star vorwiegend der minderjährigen Mädchen sein. Ich kenne keinen anderen Film, in dem er eine tragende Rolle spielt. Für den Bel Ami aber fehlt ihm alles, was diese gar nicht so komplizierte, aber eben nicht alltägliche Person auszeichnet: Pattinson fehlt der infame Charme, das Ruchlose an Duroy. Keinen Moment glaubt man diesem etwas simpel wirkenden Mann die Skrupellosigkeit, sich über Glück und Gefühl der Frauen auf seinem Weg gedankenlos hinwegzusetzen, die Gleichgültigkeit gegenüber dem öffentlichen wie innerlichen Urteil und insbesondere - hier aber wird es wirklich prekär - die Kraft für eine schmutzige Karriere, das Tierhafte, die guten Zähne und den guten Schlaf.

Ungefähr alle 20 Minuten zieht Pattinson sich aus. Die kleinen Mädchen wird das voraussichtlich freuen, die großen Mädchen und erst recht wohl die großen Jungs lassen diese Szenen vermutlich eher etwas ratlos zurück, denn für die Handlung sind sie nicht erforderlich, und für ein optisches Vergnügen reicht Pattinsons erotische Ausstrahlung schlicht nicht aus. Es hat sich mir keinen Moment lang erschlossen, warum eine erwachsene Frau - und sowohl Madeleine Forestier (Uma Thurman) als auch Mme de Marelle (Christina Ricci) und Mme Walters (Kristin Scott Thomas) sind erwachsene Frauen - sich auf Pattinson einlassen sollte. An Charisma, Optik und Charme kann es jedenfalls nicht liegen, zumal Pattinson als einziges Mittel der Verführung einen langen, direkten Blick einsetzt, der vermutlich nicht einmal dann zum Erfolg führen dürfte, wenn das Gegenüber deutlich schlichter wäre als alle weiblichen Hauptpersonen. Dass einige der anderen Schauspieler die Kunst der Darstellung fremder Leute wirklich beherrrschen macht es übrigens nicht besser, sondern stellt die Schwächen der Verfilmung eher noch deutlicher aus.

Am Ende bin ich also gegangen. Das Kino war voll. Neben mir saßen ein paar sehr junge Mädchen. Im Foyer tranken ein paar Leute Bier und lachten laut und fettig über irgendetwas, das ich nicht verstanden habe, und im Taxi nach Hause (es war noch nicht einmal eins) fielen mir die Augen kurz zu. Die Berlinale ist vorbei.

Bel Ami
UK, Italien, Frankreich 2012



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