Samstag, 6. Oktober 2012

Oktober, 5

Um 18:30 k0mmt die K. Die K. ist Ende 40, weder besonders hübsch noch besonders klug, wie mir scheint, aber liebevoll und erfahren mit kleinen Kindern, vielfach empfohlen im Freundeskreis, und immer, wenn ich in der Zeitung lese, dass es Leute gibt, die für Kleinkindbetreuerinnen Hochschulabschlüsse fordern, denke ich an die K., die keinen Hochschulabschluss hat, aber etwas besitzt, was man nicht studieren kann: Herzenswärme. Kinderliebe. Und einen nie versiegenden Vorrat an Spielchen, Liedern, Reimen und Geschichten.

Als ich die Tür hinter mir zuziehe, steht die K. im Flur. Auf ihrem Arm lacht der F. Den ganzen Abend wird er nicht weinen, erfahre ich, als wir wieder da sind, und der F. selig schlummernd in seinem Bettchen liegt und träumt.

Der J. und ich laufen die Straße herunter. Wir sind um die Ecke verabredet, im Alt Wien, wo es nach Ansicht des J. die besten Schnitzel der Stadt geben soll. Heute gibt es aber keine Schnitzel, zumindest nicht für den J., heute gibt es Reh für ihn und Rostbraten für mich, eine Frittatensuppe vorab, danach Marillenknödel, und mit uns essen Frau Wortschnittchen samt Gemahl und erzählen von Krakau. Und von der kleinen Stadt. Und ich erzähle vermutlich doch viel mehr vom Baby, als ich das irgendwann mal so vorhatte, bevor es da war, das Kind, und außerdem sprechen wir irgendwann über die kleinen Bühnen, die Konzerthäuser in der Provinz, die Zahnarztgattinnen in ihren Pelzen und die gedeckten Tischchen in der Pause mit Piccolo und Schnittchen.

Ein bißchen Heimweh nach besseren Zeiten weckt dieses Gespräch, bemerke ich erstaunt, obwohl ich die Zahnarztgattinen nie mochte und sie und ihre Freundinnen immer verachtet habe für ihre Borniertheit und ihren eklektischen Geschmack. Dass es trotzdem besser ist, es gibt das alles, weiß ich inzwischen, denn wenn die Zahnarztgattinnen fehlen, reicht es nicht mehr in den kleinen Städten für die Kulturvereine, die Lesungen in der Buchhandlung am Marktplatz und die Haumusik für gute Zwecke. Dann gibt es nur noch die Solarien und das Multiplexkino und die Leute, die man sehen kann, wenn man im Alexa etwas kauft.

Gar nicht so spät brechen wir auf. Ich bin müde. Zwanzig Minuten lese ich noch den Bolaño, den mir Mek zum Geburtstag geschenkt hat, und verliere mich dann in Träumen, die ich mir nur angenehm vorstellen kann.

Donnerstag, 4. Oktober 2012

Oktober, 4

Morgens auf dem Weg zur Arbeit fast in eine Gruppe Schüler hineingefahren, die schwatzend auf der Straße standen und mich unbewegt auf sich zurollen sahen. Ich werfe einen Blick auf das Schild an der Schule, vor der die Dreizehn- oder Vierzehnjährigen warten. Es ist eine Stadtteilschule. So heißen hier die Gesamtschulen. Fühle mich bestätigt. Vor einem altsprachlichen Gymnasium sähe das anders aus, bin ich überzeugt.

Mittagspause entfällt. Hastig esse ich am Schreibtisch, tippe nebenbei zwei SMS, und bevor ich mich umdrehe, muss ich heim. Keine Ahnung, wie Leute in Teilzeit ihre Tage strukturieren, sinniere ich auf dem Weg nach unten und bestelle mir ein Taxi. Es regnet noch immer.

Dem J. ist die Kürbissuppe missraten. Ich bin enttäuscht. Der F. spuckt unglaublich viel Milch auf meine Hose. Die Katze wetzt ihre Krallen an meinem Mantel, lässt sich widerwillig wegjagen, lugt schon wieder halb um die Ecke: Da! Da sitzt sie und macht sich, kaum schaue ich weg, schon wieder über meinen Mantel her. Immerhin lacht und brabbelt der F. Der hat's gut, denke ich mir. Der kann bei schlechter Laune einfach motzen und wenn's nicht schmeckt, wirft er den Brei halt in der Gegend herum.

Abends muss ich arbeiten und bin noch schlechter gelaunt. Wein ist auch nicht mehr da. Wer was will, muss sich etwas holen, sage ich mir, ziehe mir Stiefel an und laufe los. Côtes du Rhône und Rauchmandeln und noch einmal schnell zur Bank.

Schön ist es, schaue ich auf. Mild noch die Luft. Lautlos sinkt das rotgoldene Laub durch den schwarz-stumpfen Himmel.

Mittwoch, 3. Oktober 2012

Oktober, 3

Weil M. und M. irgendwo in Biesdorf grillen, gehen wir allein zum Frühstück. Warm ist es, nutzlos hängen die Jacken über dem Kinderwagen des F., und vor den Cafés sitzen die Nachbarn noch ganz ohne Decken über den Knien und lesen Zeitung. Schwer schon vor Spätsommer und vom Tod schon ganz benommen taumeln die Wespen über den Tischen.

Im Tous le jours frühstücken wir zwei Stunden lang. Der F. isst ein Gläschen leer, verlangt mehr und bekommt eine halbe Semmel in Stücken. "Schreib doch der I.", schlägt der J. vor, und dann brechen wir auf.

Quer durch den Prenzlberg laufen wir durch die Sonne. Am Kollwitzplatz vorbei, wo Leute noch Buffets essen, die ich für Touristen halte, aber man weiß ja nie. Früher haben wir immer Buffet gefrühstückt, erinnere ich den J., und dann zählen wir uns die Lieblingsbuffets auf aus den letzten zehn Jahren. Anastasia, sagt der J. Nolas, sage ich. Pappa e Ciccia sagen wir beide. Früher konnten wir mehr essen als heute, stellen wir fest, und dann laufen wir die Schönhauser herab.

Bei Zeit für Brot isst der J. eine Zimtschnecke. Das geht gerade, weil der F. nämlich schläft, und dann laufen wir so quer durch Mitte, vorbei am scheußlichen Dos Palillos, dann durch die Gipsstraße, so quer durch die Augusstraße und dann bis zum Pauly Saal. Hier waren wir noch nicht, bedauern wir, also mal abgesehen von einem Drink im Winter mit dem F. in der Manduca nach einer Vernissage.

So Höhe Weinbergspark antwortet dann die I. und wird in der Rykestraße getroffen. Ihr Kind schläft im Buggy. Vor Albrecht sitzen wir schließlich, es gibt Törtchen und Rhabarbersaftschorle, auch der R. ist eingetroffen und noch ein Paar mit zwei Kindern, und überglänzt von Sonne, umhüllt vom Air der letzten schönen Tage reden wir so dies und das, vom Urlaub vielleicht, von irgendwelchen Käufen, von unseren Eltern, von Kitas, und, ja, von Weihnachten reden wir auch.

Zu Hause gibt es irgendwann Gulasch. Ich koche nie weniger als drei Kilo Rindfleisch und friere dann ein. Zuzubereiten gibt es also eigentlich nichts. Im Bett liege ich deswegen, neben mir liegt der F. und spielt mit seiner Giraffe, und ich lese Bolaño.

Draußen ist es schon dunkel.

Sonntag, 23. September 2012

Menschenfeindschaft auf Reisen

Menschen, die mich oberflächlich kennen, halten mich manchmal für freundlich und gesellig. Menschen, die mich etwas besser kennen, wissen: Das ist alles Fassade. In Wirklichkeit bin ich misanthrop. Das merkt man mal mehr und mal weniger. Wenn es um Urlaub geht: Eher mehr.

Dass ich keine Animation mag und keine Musik am Strand gehört da noch eher zu den unauffälligen Zügen meiner Menschenfeindlichkeit. Das geht den meisten Leuten so, die ich kenne. Wie ich im Laufe der Jahre festgestellt habe, gehöre ich aber auch unter gesitteten Menschen zu einer Minderheit, weil ich Urlaubsbekanntschaften grundsätzlich ablehne. Der J. und ich möchten auf Reisen wenig sprechen, es sei denn, miteinander. Unsere gemeinschaftliche Abneigung gegen andere Leute erstreckt sich dabei sowohl auf Einheimische als auch auf andere Touristen.

Am besten schweigt es sich eigentlich in Ferienwohnungen, aber da müsste ich selbst aufräumen. Das mache ich nicht mal zu Hause. Insofern: Hotels. Gern auch einmal landestypisch pittoresk, aber am liebsten ein altes Schloss, ein Grandhotel, so etwas mit respektvoll schweigende Lakaien. Spiegelnde Böden, polierte Möbel, Fünf-Uhr-Tee und Bodenvasen. Schwer fallender Chintz vor den Fenstern.

Nun aber gibt es ein Problem: Ich möchte nicht erleben, wie mein Sohn F. einerseits eine Meissner Porzellanfigur zerstört, andererseits aber selbst beim Robben auf den Marmorböden von einer umgekippten Amphore zerstört wird. Außerdem schreiben manche der schönen, alten Hotels schon auf ihrer Homepage, dass sie Kinder aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnen. Andere machen es sich einfach und räumen einfach keine Kinderermäßigung ein. Ich bin nicht geizig, aber ein vierstelliger Betrag dafür, dass der F. in einem mitgebrachten Bettchen neben unserem Bett schläft: Nein.

Scheiden damit schöne, alte Hotels aus, weil der F. da unerwünscht ist, und kleine, niedliche, moderne Hotels, weil man da mit den Leuten sprechen muss, so bleiben - soll es warm sein und am Meer - eigentlich nur Strandhotels. Also so große. Da gibt es natürlich auch solche und solche, wie der Volksmund so sagt. All inclusive mit dem damit verbundenen schrecklichen Publikum überlebe ich nicht. Leider fallen da ziemlich viele Hotels gleich weg. Andere sind perfekt, aber schwer erträglich. Es stand also eine längere Suche an nach Hotels, die gut aussehen, einen umfassenden Service bieten, Kinder mögen, aber ansonsten keine Konversationsbereitschaft voraussetzen, und - trotz ihrer Kinderfreundlichkeit - alles für eine ruhige, wenn möglich eher kontemplative Atmosphäre tun. Außerdem soll es Berge und Meer, eine Stadt und Ausgrabungen und nicht zuletzt fabelhaftes Essen geben.

Ich habe gesucht. Die Suche hat sich als schwierig erwiesen. Ich habe trotzdem gebucht. Ich bin gespannt, aber skeptisch.

Ich werde berichten.

Donnerstag, 20. September 2012

Weg, aber

In die Türkei wollen wir nicht, beschließen der J. und ich und starren schockiert auf die Bilder riesengroßer Hotels mit 4 Buffets, 12 Wasserrutschen, 20 Tennisplätzen und 600 Zimmern, die man im Internet sehen kann: Es sieht scheußlich aus. Und laut. Und nach schrecklichen Leuten. Da will ich nicht hin.

"Eilat!", schlage ich vor, aber der J. will mit dem F. in kein Land fliegen, das möglicherweise morgen dem Iran den Krieg erklärt, denn dieser ist sehr, sehr gefährlich, und vielleicht haben die ja doch schon die Bombe, von der alle sprechen, und wir sehen alt aus. Beziehungsweise tot. "Ach, was!", beschwichtige ich den J., aber der bleibt fest. Israel scheide aus. Moslemische Länder, in denen gerade Massen von Leuten auf die Straße gehen, weil sie nicht kapieren, dass der liebe Gott sich nicht für Blasphemie interessiert, suchen wir gleichfalls nicht auf. Außerdem nerven mich Leute, die mir laut und aufdringlich Dinge verkaufen wollen, die ich nicht will.

Asien wäre gut, aber leider haben wir nur eine Woche. In dieser Woche dann zwei Tage komplett im Flugzeug zu sitzen, ist eigentlich blöd. Für vier Tage Ko Chang oder so lohnt sich das nicht. Außerdem passt der F. nicht mehr ins Flugzeugbettchen, und Lust, lange stillzusitzen hat er vermutlich auch nicht. Der F. ist sehr, sehr brav, aber alles hat seine Grenzen.

Kurzzeitig schauen wir uns Bilder von Sansibar an. Sansibar hört sich gut an und sieht auch gut aus. Vielleicht ein bißchen langweilig, aber nicht zu öde für eine Woche. Dann aber lese ich irgendwo, wie weit Sansibar weg ist, und klicke Sanisbar weg. Das also auch nicht. Also Afrika überhaupt. Entweder zu islamisch oder mit allzu langem Flug verbunden. Außerdem habe ich spießigerweise ein bißchen Angst, der F. könnte krank werden, und der lokale Medizinmann ihn nicht wirksam behandeln. Ich glaube nämlich nicht an traditionelle Medizin.

Am Ende schaue ich mir Bilder von La Gomera oder Gran Canaria an und fühle mich irgendwie langweilig und alt. "Was machen eigentlich die anderen Leute?", frage ich den J., der gleichfalls mutlos die Schultern zuckt. Wir sind doch nicht die einzigen Leute, die Ende Oktober eine Woche wegfahren wollen, bekräftigen wir uns gegenseitig, dass es da irgendetwas geben muss, was schön sein soll, warm, am Meer, nicht einsam, aber auch nicht voller unangenehmer, hässlicher Leute, und nicht weiter als vier Stunden weg. Gutes Essen wär auch nicht zu verachten.



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