Lasst Butterkekse um mich sein
Die menschliche Psyche stellt man sich ja laienhaft wie eine Art Konzernzentrale vor, in der der Vorstand in den holzgetäfelten Obergeschossen schon einmal die Kontrolle über das Tun und Treiben in den ausführenden Unterabteilungen verliert, und im Keller wilde Kerle herumtanzen, die den ganzen Tag Gin Tonic trinken und ein ziemlich wüstes Zeug daherbrabbeln. „Die Vorlagen aus dem Unterbewusstsein“, legt der Assistent dem Vorstand dann mit einem entschuldigenden Lächeln die vorwiegend unbrauchbaren Ergebnisse der Kellerkerle vor, „sind mal wieder zu nichts zu gebrauchen.“ – „Hoffnungslos mit denen da unten.“, knurrt der Vorstandsvorsitzende bei der meist eher flüchtigen Durchsicht der Mitteilungen, mit denen die Kellerabteilung den ganzen Laden zu überziehen pflegt, und bedauert den überbordenden Kündigungsschutz, der eine personelle Erneuerung der Kellerkinder leider verbietet.
„Das ist mal wieder völlig unbrauchbar.“, dürfte auch der Kommentar der seriösen Abteilungen des Hauses gelautet haben, als ich mir am Dienstag morgen zu wirklich sehr nachtschlafener Zeit die Augen rieb, um den Zug um 7.35 nach Prag noch irgendwie zu erreichen. Mit verklebten Augen, blind, wie es sich für meine –8,25 Dioptrien gehört, schlingerte ich also ins Bad, stellte mich in die Dusche und versuchte, mich meines Traumes zu erinnern, von dem ich nur noch wusste, dass er wirklich ziemlich irritierend gewesen sein muss. Auf dem Weg zur Bahn verdichteten sich die Bilder dann wieder, und ich sah mich, unbekleidet in der vollen Pracht meines Übergewichtes, auf einem riesengroßen Butterkeks herumrutschen, der sehr steil in einen Raum aufragte, über den ich leider eigentlich gar nichts sagen kann, weil der Butterkeks meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Um das Ganze noch etwas schwieriger zu gestalten, war der Butterkeks feucht und ein wenig glitschig und so monströs, dass die charakteristischen abgerundeten Zacken so groß waren wie meine Zehen, denen sie ohnehin, wie mir auffiel, ein wenig ähnelten. Irgendeine Art von Fortschritt bei der Besteigung des Butterkekses war nicht zu verzeichnen; als eine Art Sisyphos des Trockengebäcks robbte ich über den Keks, und die Hintergrundmusik schien mich gleichsam zu verhöhnen: Dämmerung senkte sich von oben, schon ist alle Nähe fern... erschallte es in dem Raum, in dem der Butterkeks stand, in den erhabenen Worten des Dichters zur Musik von Johannes Brahms, den ich gar nicht so besonders schätze.
„Hat das irgendwas zu bedeuten?“, brüllte, während ich in der U 2 dem Alexanderplatz zustrebte, der Vorstandsvorsitzende seinen Assistenten an und schwenkte ärgerlich die Arbeitsvorlage der Kellerabteilung, und ich überlegte angestrengt, welche Bedeutung Butterkeksen generell oder individuell eigentlich zukommt, wann ich das letzte Mal mit diesen trockenen und eher unerfreulichen Produkten in Berührung gekommen sein könnte, und schloss einen prophetischen Traum, zu derlei Extravaganzen ich ohnehin eigentlich gar nicht neige, angesichts der Unwahrscheinlichkeit der geträumten Ereignisse aus.
„Reißen sie sich gefälligst ein bißchen am Riemen!“, schmierte der Vorstandsvorsitzende auf die Vorlage mit dem Butterkeks und verfügte das Schriftstück zurück in den Keller. Irgendwo ganz unten zwischen den zerfledderten Akten der Registratur und den Kopierern schlugen sich die Sachwalter meines Unterbewusstseins lachend auf die kräftigen Schenkel, während der EC Richtung Prag/Budapest den Ostbahnhof verließ.
[Nachtrag: Einen überaus gutaussehenden und obendrein sehr zutreffenden optischen Eindruck meiner nächtlichen Eskapaden vermittelt an dieser Stelle der anbetungswürdige Herr SvenK.]