Dienstag, 30. November 2010

Journal :: 26.11.2010

Als die Eltern vom J. fahren, bin ich ein wenig erschöpft. Ich mag das nette, ältere Ehepaar aus einem Dorf bei Hannover, der Besuch war auch kurz und nicht so besonders strapaziös, aber ein wenig müde bin ich doch. Ich würde ganz gern eine halbe Stunde einfach nur so auf dem Sofa sitzen und gegen die Wand starren, aber statt dessen fange ich an, eine Erbsen-Kokos-Suppe zu kochen, Roastbeef zu parieren und eine Cumberlandsauce zu rühren. Auf dem Herd steht eine Portweinreduktion und füllt den ganzen Raum mit Duft.

Ob auch ich einmal so werde, wenn ich alt bin, frage ich mich und weiß nicht einmal genau, was "so" in diesem Zusammenhang eigentlich bedeutet. In einem Punkt aber weiß ich, dass ich nie so werden will: Immer, schwöre ich mir und löse Johannisbeergelee in dem Portwein auf und reibe Orangenschale von einer straffen, saftstrotzenden Frucht. Immer will ich mir selbst am Wichtigsten sein und am Nächsten. Nie will ich meinen Freund oder meine Kinder oder sonst irgendwen so brauchen, dass ohne diese Menschen meine Tage leer wären und grau. Immer will ich für mich selbst ein Fest sein und feiern, und alle, die ich liebe, sollen mir wichtig sein, ohne dass mein Leben und mein Glück ohne diese Menschen nicht funktionierte.

Sonntag, 28. November 2010

Journal :: 25.11.2010

N*ckte Leute treffe ich im Wachzustand ja eigentlich nie, und selbst wenn dem so wäre, würden sie nicht vor mir tanzen. Im Schlaf mit leicht erhöhter Temperatur und nach zwei Bechern Glög vom Weihnachtsmarkt sieht das aber schon ganz anders aus, und so sitze ich auf einer Art Ottomane auf einer Veranda und sehe sehr entspannt mehreren außerordentlich hübschen Tanzenden zu, durchaus undefinierbaren Geschlechts, wie sie sich langsam umeinander drehen. Einige der feingliedrig-länglichen Gestalten tragen Salbkegel auf dem Kopf, und es ist völlig unmöglich, sie zu zählen. Manchmal scheinen es nur drei zu sein, bisweilen wogen zehn oder mehr. Zu meinen Füßen liegt unser vor 14 Jahren verstorbener Hund und hechelt in der Hitze. Unweit fließt der Nil Richtung Norden. Dazu läuft, glaube ich, Phoenix. If I Ever Feel Better.

Ganz gelegentlich huschen schwarze, flinke Gestalten geduckt über den Boden. Vielleicht sind das Tiere, mutmaße ich. Affen möglicherweise, vielleicht - auch wenn ich das nicht sehen kann - Totenkopfaffen, und wenn ich nicht hinschaue, verschwinden Dinge, die die Affen mitgenommen haben, offenbar Richtung Fluss. Ein gläserner Armreif. Ein halbgefülltes Glas mit etwas Kaltem, sehr Aromatischen, Lychee und Pfeffer vielleicht, vielleicht auch etwas Limone, ein blitzender Löffel auf einem Schemel, mein iPhone und eine Schüssel aus fein durchbrochenem Silber voll rötlicher, haariger Früchte.

Irgendwann - Stunden mögen vergangen sein - löst sich eine Gestalt aus der Gruppe der Tänzer und kommt zu mit. Auf Zehenspitzen, kaum berühren die Füße den Boden, nähert sich mir die bräunliche Silhouette. Gespannt neige ich mich nach vorn und richte mich auf zur Begrüßung. Doch nicht zu mir kommt die schlanke Gestalt. Nicht zu mir beugt sie sich nieder. Auf meinen Hund fällt der Schatten, nach seinem Kopf strecken zwei Hände sich aus, greifen kraftvoll um die Kinnbacken des schwarz-freundlichen Tieres und ziehen, ziehen, bis der Kopf sich löst und auf den Boden gleitet. Erstaunlicherweise blutet es nicht.

Keinen Schrecken verspüre ich und nur wenig Ärger. Langsam, als sei das nicht wichtig, richte ich mich auf und beuge mich nach dem lebendigen Kopf meines Hundes. Stochernd setze ich den Hals wieder an die richtige Stelle, drücke hier ein wenig und dort ein wenig mehr, lasse zufrieden los, als er einhakt, und dann lehne ich mich wieder zurück. Die Tanzenden tanzen. Die Affen stehlen Glöckchen, Früchte und flache Schalen voll Milch, und mein Hund hechelt träg in der Sonne. If I Ever Feel Better.

Freitag, 26. November 2010

Journal :: 24.11.2010

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich Tschick mag. Die von Wolfgang Herrndorf im Roten Salon vorgelesenen Passagen sind gut, keine Frage. Ich würde sehr gern weiterlesen (das Buch liegt vorerst ungelesen bei mir daheim), ich würde mir noch lieber immer weiter von Herrndorf vorlesen lassen, aber ob ich das Buch mag, weiß ich trotzdem nicht so genau, und erst Stunden später, als die charmante Frau Casino nach Hause gefahren ist, und auch Mek und K., als ich mit dem J. noch eine halbe Stunde in den Nebeln der Bar 3 gesessen habe, irgendwann auf dem Weg heim durch die dunkle, aufgerissene Greifswalder Straße, da fällt mir ein, dass ich Tschick vielleicht nicht so mag, weil ich solche Jungs wie den Erzähler Mike nicht so mochte, als ich 14 war, weil sie nur die Tatjanas mochten, die schönsten Mädchen der Welt, und nicht so ganz normale Mädchen wie mich.

Sehr, sehr albern ist das, so ein nachträgliche Vorwurf, schelte ich mich später und putze meine Zähne. Vollkommen klar ist es doch, dass jeder Junge mit 14 das schönste Mädchen der Welt heiraten will, und dann wird er dreimal zurückgewiesen, scheitert drei Jahre später bei der zweitschönsten Frau der Oberstufe, und dann sucht er sich die Freundin, die er halt so bekommt. Die schönen Frauen schminkt er sich ab, bis er 45 ist und ziemlich erfolgreich.

"Eine blöde Kuh bist du!", sehe ich mir fest in die Augen. Es ist keine Kategorie für ein literarisches Werk, ob man solche Leute mag, wie die, von denen ein Buch handelt, schärfe ich mir ein. Wo käme man andernfalls hin mit Richard III.? Aber gesessen hat es doch, diese Jahre irgendwann früher, wenn ein paar Romanauszüge reichen, um in die Haut eines kleinen Mädchens zurückzufallen, an das ich mich ungern erinnere, weil es ein bißchen sperrig war, ein bißchen trotzig, ein bißchen bockig, nicht so sehr hübsch und ganz bestimmt kein Mädchen, an das irgendwer wehmütig denkt, irgendwann später.

Mittwoch, 24. November 2010

Journal :: 22.11.2010

Mit meinem kleinen Cousin und den Frauen lässt es sich nach wie vor nicht so gut an. Ein bißchen mag das an den Frauen liegen, die Sportlichkeit vielleicht mehr schätzen als einen sehr dünnen, sehr blassen, aber dafür ziemlich klugen Jungen, der gut Schach spielt, aber unglücklicherweise immer dann, wenn es darauf ankommt, einewenig vorteilhafte Figur mit leichten Artikulationsproblemen abgibt. Auch ist es generell wenig erfolgversprechend, sich ausgerechnet in seine Arbeitsgemeinschaftsleiterin zu verlieben, die die Anfänger-AG im Strafrecht unterrichtet, und auch wenn das Mädchen mit vielleicht 24 oder so nicht Dezennien, sondern nur ungefähr vier Jahre älter ist als der Kleine: Die Chancen stehen schlecht.

Dabei ist das Mädchen an sich sicherlich nicht dermaßen belagert, dass ein hartnäckiger Bewerber ganz aussichtslos bliebe. Klein sei sie, berichtet mein Cousin, circa 1,60 hoch, dabei auf reizende Weise pausbackig, angetan mit einem roten Mäntelchen mit weißen Punkten, gelben Gummistiefeln, und sie möge Frösche und Affen. "Affen!", wiederhole ich, runzele ich die Stirn und überlege mir, was es wohl zu bedeuten haben mag, wenn ein Mädchen Affen mag. Möglicherweise, so kombiniere ich, ist man hier mehr dem Possierlichen zugewandt, als ich es für angemessen und geschmackvoll halte.

Von einem Freund hat mein Cousin bisher nichts gesehen. Das wundert mich nicht. Mädchen mit einer Vorliebe für Affen und Frösche sind jetzt vielleicht nicht so wahnsinnig gefragt, und dass kleine, dicke Frauen nicht so richtig hoch auf der Toplist der gefragten Damen stehen, weiß ich selbst aus langjährig-leidvoller Erfahrung. Auch die schwarzen Kirschaugen und die dunklen Locken, von denen man mir berichtet, reißen es da wohl nicht mehr so heraus in der Breitenwirkung, und so sitzt das Mädchen meistens mit einer oder mehrerer Freundinnen statt Heerscharen anbetender Kollegen in der Mensa. Seit mein Cousin weiß, wann sie Essen geht, sitzt er meistens in gemessenem Abstand auch an den Futtertrögen der Mensa Nord und starrt die AG-Leiterin so dezent an, wie das halt möglich ist, wenn ein Weltwunder in der Mensa sitzt und isst.

Weil das Mädchen offenbar kein Fleisch isst, isst nun auch mein Cousin vegetarisch für den Fall, dass sie sich vor Fleischessern ekelt. Kürzlich verzehrte mein Cousin also einen Blumenkohlbratling, als das Mädchen - ebenfalls mit einem solchen Bratling versehen - an ihm vorbeiging. Neben ihr ging ihre Freindin. "Hallo L.", grüßte die AG-Leiterin. Mein Cousin würgte ein "Hallo!" zurück. Dann starrte er auf sein langsam erkaltendes Essen.

Eine Tischreihe entfernt nahm das Mädchen Platz. Mein Cousin sah sich nicht um. Mit geschlossenen Augen verfolgte er jeden Laut des Mädchens, ihr Lachen, ihre Gespräche, das leise Schaben des Bestecks, und als sie bei der Quarkspeise angelangt war, stand er auf und ging langsam an ihr vorbei. Die Augen hatte er dabei immerhin wieder geöffnet. "Hallo L.", grüßte das Mädchen nochmal, mein Cousin beschleunigte puterrot und mit heftigem Herzklopfen und wurde erst wieder langsamer, als die Mensa hinter ihm lag.

Es wird nicht einfach mit meinem Cousin und den Mädchen, stelle ich fest und gebe lauter gute, tantenhafte Tipps, an die sich nur hält, wer sie nicht braucht, wie ich mich vage entsinne.

Dienstag, 23. November 2010

Journal :: 21.11.2010

Die Hölle sind nicht immer die anderen. Die Hölle, das ist man selbst. Zumindest Johnny Marco (gespielt von Stephen Dorff), Schauspieler in Sofia Coppolas neuem Film, ist eine Eine-Person-Hölle vom Feinsten, gefangen in Langeweile und Eintönigkeit, die ganz allein in Johnny Marco selbst ihren Ursprung hat und nirgendwo sonst.

Dass es Johnny an nichts fehlt, nicht an Erfolg, an Frauen, nicht an Komfort, macht die Sache nicht besser. Er treibt ziellos durch seine Tage, nichts entzündet seine Leidenschaft, er will nichts haben, nichts erreichen, er will nirgendwo hin. Johnny Marco ist angekommen, und am Ziel ist nichts. Fast wünscht man ihm ein kleines Problem, etwas Beherrschbares, vielleicht den Wunsch, einmal Hamlet zu geben oder eine unglückliche Liebe zu einer verheirateten, sehr ehrbaren Frau, aber alles, was einer wie Johnny sich wünschen könnte, scheint er zu haben.

Johnny Marco hat eine Tochter, eine hübsche, begabte Elfjährige, so frühreif, wie KInder halt sind, deren Eltern nicht erwachsen werden, und dieser Tochter ist er ein zugewandter, freundlicher Vater, aber auch das hilft nicht weiter. Die Sonne scheint, das Chateau Marmont ist ein Hotel, das genau richtig abgeschabt erscheint und genau richtig bequem. Ein kurzer Ausflug nach Italien - Johnny erhält einen Preis - zeigt eine Ecke des Wahnsinns, der sich an Berühmtheit festmacht, aber auch das führt nirgendwo hin. Johnny ist müde, aber selbst das vermag er kaum zu artikulieren. Ein kurzer Ausbruch am Telephon, als er seine Tochter im Sommercamp abgeliefert hat, die kühle Verständnislosigkeit am anderen Ende der Leitung, und schließlich führt der gemächlich mäandernde Weg des Johnny Marco irgendwo in die Weite. Er lässt seinen Ferrari am Straßenrand stehen und geht davon. Kann sein, er kommt wieder. Wo soll er auch schon hin, wo er ein anderer wäre als er ist, und aus dem Film voll der schönen, trägen Bilder von den glänzenden Oberflächen der Welt schlendern auch wir heim, ein kurzes Stück Straße, zurück in unser Leben, das nicht so komfortabel ist, auch nicht so leer an Leidenschaften und Zielen, und doch klafft vielleicht dort, wo der Kern im Fruchtfleisch sitzen sollte, ein schwarzes Loch und eine ziehende Sehnsucht, es möge etwas anders sein als es ist. Vielleicht sind das wir.



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