Sonntag, 20. März 2005

All The Perfumes Of Arabia

Als ich noch ziemlich klein war, lud mich meine Mutter einmal bei einem meiner Onkel ab, der sein Geld verdiente als ein Strafverteidiger in einer reizenden Barockstadt, in der zu seinem Glück auch schlechte Menschen ein gutes Leben führten. Es war Hochsommer, ich saß im Garten herum und versuchte einmal täglich, das Pferd der Nachbarn zu besteigen oder wenigstens mit Fallobst zu füttern. Jeden Abend gab es stundenlang Unmengen Essen und mein Onkel führte mit meiner Tante lange Gespräche über Dinge, die ich nicht verstand. Aufstehen durfte ich trotzdem nicht.

Einmal die Woche fuhr meine Tante zu irgendeiner Veranstaltung in die Stadt, und mein Onkel und ich aßen allein vorbereitete Speisen, die ich wärmen durfte. Ich deckte also ziemlich unsachgemäß den Tisch, mein Onkel erschien und fragte nach Verlauf und Gestaltung des Schulunterrichts. Anschließend erzählte er ein paar antiklerikale Witze und lachte, dass die Fensterscheiben klirrten.

Eines Abends kam der Onkel spät und ernst. Er aß langsam und lachte so gut wie gar nicht, und am Ende lehnte er sich zurück und erzählte von einem Prozess, in dem ein Mandant überraschend gestanden hatte, seine Geliebte umgebracht zu haben. Es war eine lange und verwickelte Geschichte, insbesondere verstand ich nicht, wieso ein Mann, der schon eine Frau hatte, noch eine weitere brauchte, nur um ihr dann die Hände um den Hals zu legen und zuzudrücken.

Das Zudrücken schilderte mein Onkel ganz genau. Und wie der Mörder die Tote ausgezogen und gewaschen hatte. Und wie die Frau am Ende doch noch gar nicht tot gewesen war, und der Mandant sie noch einmal töten musste, damit sie ruhig war und sich nicht mehr bewegte und schrie. Dies alles erzählte mein Onkel stundenlang. Mit einer für seine Verhältnisse sparsamen Gestik vollzog er all die Bewegungen, die der Mandant auch vollzogen haben muss, nur ohne Opfer natürlich. Als er die Fäuste zusammendrückte, um zu zeigen, wie fest der Mörder zugedrückt haben muss, um das Zungenbein zu brechen, konnte man die Knochen auf seinem Handrücken sehen.

Jahre später, ich war vielleicht 17 oder 18, stand ich mit einem Freund auf einem Hochstand im Wald. Es war frühmorgens, die Nacht war vielversprechend, aber tatenlos verlaufen. Ich war müde, und die Welt leuchtete in unberührter und schweigender Reinheit, als der Freund anlegte und schoss. Als er sich neben dem Wild hinkniete, den Fangschuss verteilte und schließlich das Wild aufbrach, stand ich hinter ihm. Er griff kräftig zu, mit ungebremster Kraft führte er das Jagdmesser und strahlte schwitzend und befleckt, als wir zum Wagen gingen. Ab und zu sah er mich an und lächelte dann ein bißchen unsicher und leicht verschämt.

Mein Onkel behandelte meine Tante stets mir Respekt und einer spürbaren Distanz, die sich als ein ironisches Lächeln in seinen Mundwinkeln festgefressen hatte. Mein Freund von damals lächelte mich nie so an wie den toten Rehbock, und so mag es wohl sein, dass die Liebe, das Beisammensein unter Gleichen, nie den selben Grad an Intensität erreicht, nie die Leidenschaft und das ungebrochene, runde, volle Gefühl.

Vielleicht gibt es die vitale Besinnungslosigkeit der Begeisterung, des Rausches nur in Zusammenhang mit dem fließenden Blut und jenen Handlungen, die vor dem seichten Fluss von Intellekt und Ironie bestanden. Vielleicht ist das, wovon die Liebe uns ein schattenhaftes und verzerrtes Abbild liefert, das Verlieren unser selbst, den lustvollen Untergang im Absoluten, nur der ferne und gebrochene Abklatsch eines Wesens, das unmittelbarer und wahrer war als wir es sein werden, weil es näher ist an den Quellen, von denen wir uns weit entfernt haben. Vielleicht ist das Glück eine schwarze und düstere Angelegenheit, vor der wir zu recht zurückschrecken.


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