Mittwoch, 25. Mai 2005

Angorakatze

Das Telephon bleibt stumm, die Mailbox leer, und mein Schreibtisch quillt über vor langweiligen Stapeln Arbeit, die nach Erledigung schreien: Die Welt weigert sich, mich zu amüsieren.

Wäre doch, so male ich mir aus, eine gute Fee schon auf dem Weg zu meiner Wohnung, ginge geradewegs die Straße hoch, stünde vor der Haustür und käme die vier Treppen hoch zu mir. „Was wollen sie?“, würde ich die Fee fragen, und die Fee, wie es die Art der Feen ist, böte mir die Erfüllung dreier Wünsche an.

„Das lässt sich hören.“, würde ich antworten und der Fee einen Tee anbieten. „Genug geschwatzt!“, schnitte die Fee mein gastfreundliches Entgegenkommen ab. Die Wünsche bitte.

Zuerst einmal natürlich würde ich auf die Stapel auf meinem Schreibtisch deuten, und – zack: Wäre die Arbeit auch schon getan. Die nächsten vier Monate hätte ich frei. „Danke liebe Fee.“, würde ich sagen, aber die Fee würde nur ungeduldig auf den Zehen wippen und die nächsten Wünsche einfordern. Testweise würde ich eine deutliche Gewichtsreduktion erwähnen, aber dafür hätte die Fee überhaupt nichts über. Das, würde sie sagen, würde ich mir doch sowieso wieder anfressen über die Tage und Wochen. Ein oder zwei reizende Gefährten, die mir den Sommer versüßten? Ein Bikini, der passt?

Kurz bevor die Fee ungehalten meine Wohnung verließe, fiele mir dann doch noch der zündende Gedanke ein. Eine Angorakatze.

Ich möchte eine Angorakatze sein.

Ich würde in einem großen Haus mit Garten auf dem Lande wohnen, und mehrmals täglich würde ich gefüttert. Ich wäre ein bißchen kapriziös und würde nur ganz bestimmtes Futter essen, und alle paar Wochen hätte ich das Lieblingsfutter über, und meine Halter würden alle möglichen Katzenfutter kaufen oder selber kochen, damit ich wieder fresse. Ein älteres Ehepaar wäre da nicht schlecht. Am Abend zöge ich durch die Felder, und würde die wilden Kater besuchen, die ich mir sehr unkompliziert vorstelle. Gefällt mir ein Kater nicht, so würde ich ihm mit der Pfote auf die Nase hauen und zöge meiner Wege. Am Morgen wäre ich dann wieder daheim.

Ein weiches Kissen hätte ich beim Kamin, und ein Körbchen in der warmen Küche, wo es gut riecht. Bin ich gut gelaunt, so striche ich meinen Haltern um die Beine, ließe mich streicheln, und stünde auf, wenn ich genug hätte. Mag ich keinen sehen, so würde ich mich verstecken, keiner würde mich finden, und aus meinem Versteck würde ich meinen Haltern zuschauen, wie sie durch den Garten laufen und „Modeste, Modeste“, rufen. Ich würde schlafen, wann immer es mir passt, und alle Leute kratzen, wenn ich schlechte Laune hätte.

Das wäre ein Leben.

Die polnische Reise (Teil 3)

„Und?“, steht auf dem Display. „Ist zu öde zum Erzählen.“, tippe ich zurück. „Lies selbst.“

:::

Misdroy

„Nur ein Zimmer?“, fragte die Vermieterin, und bis zum Ende klebte der fragende Blick in unseren Rücken auf dem Weg zum Strand. Wir schliefen zwölf Stunden am Tag, schon morgens aß ich geräucherten Fisch und Rührei, und lief lachend, naß bis auf die Haut, durch den Regen. J². erzählte Märchen, in denen Fische und Prinzessinnen vorkamen. R. hatte in Krakau ein paar Bücher gekauft, und las Mörike vor. Mozart auf der Reise nach Prag.

Am Morgen schien die Sonne, gegen Mittag bezog es sich, und wenn wir am Strand ankamen, packten die Familien ihre Taschen und gingen. Wir saßen auf dem feuchten Sand, schauten weit hinaus auf das Meer und zeigten uns die Stelle, von der aus man nicht mehr würde zurückschwimmen können.

Den abreisenden Nachbarn der Pension kauften wir den Kassettenrecorder ab, erwarben ein paar Kassetten von fliegenden Händlern auf dem Markt. „Stuck in the middle with you“, sang ich, und zog den R. an den Ohren. Die Träger meines Badeanzugs zeichneten mir ein Andreaskreuz auf den Rücken, J². aß den ganzen Tag Sprotten aus einer Holzkiste, die er jeden Morgen auf dem Weg zum Strand kaufte, und von seinen Schultern hing die sonnenverbrannte Haut in Fetzen herab. Am Sonntag packten wir unsere Sachen und fuhren.

„Mach´s gut.“, verabschiedete ich R. in Rostock. „Das ist für dich.“, sagte er, und schob mir ein Buch in die Tasche. R. und J2 schüttelten sich die Hände, und ab Hamburg fuhr auch J² in anderen Zügen. Der Sommer war vorbei.

:::

J² schläft zur Stunden wohl gerade in paar Kilometer entfernt. Wo auch immer R. sein mag, weiß ich indes nicht zu sagen, und das geschenkte Buch aus einem Krakauer Antiquariat habe ich so lange nicht in Händen gehalten. Vor dem Regal schaue ich die Reihen entlang und ziehe das schmale, stark gebräunte Bändchen schließlich hervor.

Auf der ersten Seite hat R. mit einem Kugelschreiber, den er sich von unserer argwöhnischen Vermieterin geliehen hatte, eine Widmung geschrieben:

„Bliss was in that dawn to be alive
and to be young was very heaven“,


lese ich und stehe lächelnd vor der offenen Balkontür.


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