Sonntag, 7. Oktober 2007

Die Motivation

Die eine, hört man, hat ihren Freund verabschiedet, weil er sie nicht heiraten wollte. Die andere, weil der ihre so unappetitlich aß. Eine andere hat die Trennung ausgesprochen, weil ihr Liebhaber so selten Zeit für sie hatte, seit er Vater eines Kindes geworden war, dessen Mutter beruflich viel eingespannt gewesen sein soll. Die Trennung meiner lieben Freundin, der X., von ihrem Liebhaber jedoch ist einzigartig bezüglich ihrer Motivationslage, und verdient eine ausführliche, öffentliche Würdigung ob ihrer Originalität. Sie spielte sich nämlich folgendermaßen ab:

Eines Tages, die X. und ihr Liebhaber lagen zu Bett, wurde es ihr langweilig. Langeweile, auch in Gegenwart geliebter Personen, kennt jeder. In Gegenwart von nicht direkt geliebten, wenngleich intim verbundenen Personen, scheint die Langeweile noch etwas häufiger aufzutreten, und so setzte sich die X. auf, verließ das Bett und setzte sich an ihren Rechner.

Neue E-Mails waren keine eingegangen. Auch mit anderen Neuigkeiten sah es schlecht aus, und so schwang sich die X. einfach so von Homepage zu Homepage, las hier ein wenig, und dort ein bißchen, und ihr Liebhaber lag herum und las.

„Was tust du?“, fragte er wohl, und die X. murmelte etwas von „Nachrichten“. „Lass mich mal schauen, was meine Frau macht.“, erscholl es plötzlich aus dem Bett. „Muss nicht sein.“, gähnte die X. „Ach komm, eine Minute.“, schwang sich der Liebhaber aus dem Bett und stand auf einmal neben ihr.

Die - der X. unbekannte - Frau des Liebhabers nämlich hatte kurze Zeit zuvor ein Preisausschreiben gewonnen. Der Preis bestand aus einer Kurzreise, einer Promotion-Tour des veranstaltenden Unternehmens , bei der die Gewinnerinnen – jeweils in Begleitung einer Freundin – auf eine Insel eingeladen wurden. Ihr Tun und Treiben dort wurde live, oder zumindest unwesentlich zeitversetzt, im Internet übertragen, und so konnte man die Frau des Liebhabers sehen, wie sie es sich begleitet von einer reichlich ordinären Freundin lautstark gutgehen ließ.

„Modeste, ich bin fast umgefallen.“, stöhnte die X. Die Frau des Liebhabers nämlich war von erschreckender Beschaffenheit. Groß und massiv wie ein deutsches Mittelgebirge ragte die Frau in den Bildschirm und jodelte ihre Lebensfreude in ungebremster Vulgarität durch das Netz. Ob die Person auf den bewegten Bildern nun die Frau des Liebhabers oder nicht doch sein Bruder sein sollte, war tatsächlich ausschließlich anhand der Ausführungen des Liebhabers auszumachen, der schließlich wissen musste, wen er einmal geheiratet hatte.

Sprachlos saß die X. vor ihrem Rechner. In ihrem Inneren zog sich alles zusammen. Mit Befremden erst, dann auch mit Ekel betrachtete sie den Mann in ihrem Schlafzimmer, der zufrieden ein Bild nach dem anderen per Mausklick vergrößerte. Schelchte Haut hatte die fremde Frau auch.

So also, dachte die X. und betrachtete ihren Liebhaber: So also sah die Frau aus, die dieser Mann geheiratet hatte. Kein Wunder, dass es ihn in andere Schlafzimmer zog. Wahrscheinlich, so erschien es ihr, war es überhaupt nur die Tatsache, dass andere Frauen sich zumindest kurzzeitig seiner erbarmten, die eine Ehe mit dieser ganz und gar unmöglichen Person stabilisierte. Sie, wurde ihr klar, war also dafür verantwortlich, dass dieser Mann mit dieser Frau verheiratet war.

Abscheu ergriff sie. „Kein Wunder, dass du herkommst, wenn das deine Frau ist.“, sagte sie, und der Liebhaber schaute sie erstaunt an. Er liebe doch nur sie, wandte er ein. „Das wundert mich nicht.“, schüttelte sich die X. mit einem Blick auf das unglaubliche Geschöpf auf den Bildern im Netz.

„Nun komm schon.“, zog sie der Liebhaber am Arm zu ihrer Bettstatt. „Lass mich los.“, entzog sie sich seinem Griff. Völlig unmöglich erschien es ihr auf einmal, diesen Mann zu berühren. Den Mann einer solchen Person – es würgte sie ein bißchen.

„Fahr nach Hause.“, dachte sie erst, und dann hörte sie sich laut sagen, dass er seine Sachen packen, sich anziehen und verschwinden solle. - „Was ist denn los mit dir?“, wunderte sich der Liebhaber erst, dann regte er sich ein bißchen auf, wurde traurig, winselte, und am Ende ging er doch.

Die X. werde, sagt sie, ihn nicht wieder anrufen.



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