Montag, 18. Oktober 2010

Journal :: 17.10.2010

Ich bin müde. Ich bin vormittags drei Stunden durch Mitte gelaufen und habe dem Stiefsohn unseres Besuchs Berlin gezeigt. Ich habe zu wenig geschlafen und hätte gern noch ein bißchen länger gefrühstückt und dabei Zeitung gelesen. Ungelesen liegt die Süddeutsche neben dem Sofa und wartet auf eine ruhige halbe Stunde.

Jetzt aber wird es dunkel in der Schaubühne. Die Bühne wird durch Leuchtstäbe illuminiert. Die Bühne selbst ist überflutet, das scheint gerade modern zu sein, im Prinz von Homburg vor ein paar Monaten im Deutschen Theater sah das auch schon so aus, nur rot und nicht schwarz, und Was Ihr wollt spielte in einer Arena aus Schlamm.

Auf der Bühne stehen ein paar Stühle im U. Auf den Stühlen sitzen Othello und Desdemona, Cassio und Jago sitzen nebeneinander, und im Laufe des Abends wird die Bühne mal gekippt, mal begibt man sich zu Heimlichkeiten zwischen die durchsichtigen Wände aus Leuchtstäben, und auch wenn Desdemona ein wenig blaß bleibt, auch wenn die Musik sich bisweilen einen Moment zu lange gefällt, nimmt die Geschichte um Ausgrenzung und Rivalität, falsche Freunde und echte Liebe mich mit. Ich schelte Othello für seine Gutgläubigkeit, ich ärgere mich über den törichten Rodrigo, ich hasse Jago aus ganzem Herzen und werde dann doch für Sekunden zum Intriganten iauf der Bühne, der mit feinnerviger, gieriger Sensibilität für die Schwäche Othellos spielt, siegt und doch alles verliert. Als Desdemona werde ich sterben.

Kalt ist es dann, als ich spät vor der Schaubühne stehe. Der Lehniner Platz ist so weit weg von daheim in diesem viel zu frühen Winter, und zu Hause schlafe ich ein, um etwas Fremdes, Verworrenes zu träumen, das nach Zimt und Muskat riecht, nach Benzin und dem Staub von Bahnhöfen am anderen Ende der Welt und wünsche mir, halb schon erwacht, ich wäre mehr gereist in den letzten zwei Wochen.

Journal :: 16.10.2010

Ein Himmelbett. Donnerschlag. Ich besitze seit dem 16.10.2010 um vier Uhr nachmittags ein Himmelbett für Katzen. Ich habe das Himmelbett nicht selbst gekauft, ich hätte diese Anschaffung auch eher nicht so getätigt, aber ein alter Freund des J. besucht uns samt seinem Stiefsohn, dessen Mutter mit solcherlei Tierzubehör handelt und bringt unseren lieben Haustieren das Himmelbett mit. Es ist riesengroß. Ich habe keine Ahnung, wohin mit dem guten Stück.

Der Besuch strengt mich an. Der Studienfreund vom J. ist aus dem Ruhrgebiet und so ungefähr das, was man mit der Phrase mit dem weichen Kern und der rauhen Schale umschreibt. Unsere gemeinsamen Interessen belaufen sich auf glatt null, und weil der Freund vom J. auch keine Anstalten macht, durch das, was man so gemeinhin und zu Unrecht leicht abwertend als "small talk" bezeichnet, die etwas angestrengte Atmosphäre zu glätten, verordne ich mir Höflichkeit, lächele freundlich und freue mich auf meinen eigenen Besuch. Ich habe die I. und den S. eingeladen. Sie kommen um sieben.

Der Freund vom J. ist zu diesem Zeitpunkt unterwegs und besucht eine Exfreundin. Der - wirklich reizende - Stiefsohn ist bei uns, wir plaudern ein bißchen, ich koche, und als mein Besuch erscheint, bin ich mit Kochen fertig. Es gibt eine Blumenkohlcreme mit Pinien, ganz wenig Ingwer und etwas mehr Zitrone, Entenbrust mit Feigensenf und Feigen, Polenta und einen Käsekuchen. Den Käsekuchen essen wir ganz schnell und gehen dann -der S., die I. und ich - ins Kino. Den Stiefsohn nehmen wir mit. Der J. trifft sich mit seinem Besuch.

Wider Erwarten ist der Film ziemlich gut. Es geht um facebook, nein, es geht eigentlich um Freundschaft, um Verrat, um Macht, um Geld, und weil der Drehbuchschreiber rasante, sehr präzise Dialoge kann, mag ich den Film ziemlich gern. Wie immer, wenn in Filmen die properen Unis der Ivy League auftauchen, beneide ich die Studenten ein wenig. Ich habe an Bruchbuden studiert, meine Kommilitonen waren zu einem gar nicht so kleinen Teil bodenlose Rindviecher und selbst an den (ziemlich angesehenen) Lehrstühlen, an denen ich gearbeitet habe, war die Ausstattung mehr so lala.

Zu den mir alles in allem nicht nachvollziehbaren Kommilitonen meines Studiums gehörte einmal die Exfreundin des Besuchs, eine schon Mitte der Neunziger Jahre schwer hysterische Frau von kaum nachvollziehbaren, aber schwer erträglichen Stimmungsschwankungen. Meine Abneigung beruhte schon damals auf Gegenseitigkeit, und so bin ich sehr erstaunt und ein bißchen verärgert, als diese Frau nach dem Kino in Begleitung von J. und seinem Besuch auf einmal bei uns auftaucht. Was das soll, zische ich dem J. zu. Sie habe sich nicht abschütteln lassen, zischt der J. zurück. Nun gut, sage ich mehr zu mir als zu ihm und atme tief durch. Trinken, höre ich. Wir sollten etwas trinken.

In der Cocktailbar ein paar Häuser weiter schickt man uns weg. Wir haben - so hat es der Besuch beschlossen - den Stiefsohn dabei, in der Bar wird geraucht, und der Stiefsohn ist erkennbar keine 18. Er ist, glaube ich, ungefähr zwölf. Die Exfreundin des Besuchs hebt an, mit dem Doorman zu diskutieren. Offenbar nimmt sie wirklich an, die unglaublich verqualmte Bar sei ein geeigneter Aufenthaltsort für das Kind. Der J. zieht sie förmlich von der Tür weg.

In einer Weinbar etwas weiter finden wir einen rauchfreien Tisch. An hebt eine unglaubliche Diskussion, nein, eher so eine Art Monolog der Exfreundin, den niemand versteht. Sie gerät in emotional offenbar recht aufgewühltes Fahrwasser, es scheint um facebook zu gehen, wobei die Haare in der Suppe, die andere Leute irritieren, offenbar nicht diejenigen sind, die ihr missfallen. Ich kapituliere. Es ist auch egal.

Schwer erschöpft gehen der J., der Stiefsohn und ich nach Hause. Der Besuch, so kündigt er an, komme später nach. Ich schlafe traumlos den Schlaf einer tiefen Erschöpfung.



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