Dienstag, 22. Juli 2008

Die B. wird offensiv (Ende Mai, Teil 1)

„Ihr kommt ja wenigstens auch mal vor die Tür.“, stöhnt die B. und beklagt ihre Internierung in einem Büro, welches sie allabendlich eigentlich nur zum Schlafen verlässt. Sie, so behauptet die B., treffe beruflich keine männlichen Leute, weil das entweder ihr Chef abwickele, oder ohnehin nur Verträge in vielfach abgeänderter Fassung hin- und hergeschickt würden. Privat dagegen existiere sie aus Zeitmangel faktisch nicht mehr, und das Internet habe sich als ein für die Partnersuche völlig ungeeigneter Ort erwiesen, an dem normale und ungebundene Leute männlichen Geschlechts schlicht nicht verkehren.

„Ha!“, widerspreche ich. Ich komme zwar einigermaßen herum, erkläre ich der B. Indes treffe ich mit großer Ausschließlichkeit vorwiegend alte, dicke Leute in schlechten Anzügen, deren Libido nicht zu denjenigen Dingen gehört, die man sich einmal aus der Nähe ansehen will, und junge, überaus ehrgeizige Leute, die mich aus irgendwelchen Gründen merkwürdig finden und nie ansprechen. Diejenigen aber, die Kontakt aufnehmen, sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verrückt und wollen mir im 8.50 von Berlin Tegel nach Frankfurt am Main aus einem Buch von Coelho vorlesen, oder im ICE meine Füße photographieren.

Auch bei ihr, stimmt die D. zu, sei das nicht viel anders. Der letzte Herr, der sie am Rande einer Tagung angesprochen habe, habe bei einem von ihrer Seite absichtslosen Kaffeetrinken aus heiterem Himmel den Wunsch geäußert, sie einmal unbekleidet zu betrachten und versprochen, dabei einige Meter Abstand zu halten. Ein anderer habe sich nach einem längeren Gespräch auf einem Empfang nie wieder gemeldet, nachdem sich herausgestellt hatte, dass sie nicht evangelisch sei.

„Ihr sucht ja auch nichts.“, schneidet die B. weiteren Referaten das Wort ab. Sie allerdings werde nun ihre Strategie vollkommen ändern. Sie werde jetzt offensiv. „Noch offensiver?“, fragt die D., die schon den Versuch der Anbahnung per Internet als geradezu schamlos direkt erachtet hatte. Die B. nickt.

Sie werde, führt die B. aus, neue Kleider kaufen, die tiefausgeschnitten zu sein haben, und – so habe sie es beobachtet – direkte Kontaktaufnahmen eher fördern als dezente, rosafarbene oder weiße Blusen. Sie werde jeden anstrahlen, der halbwegs gut aussehe, und sobald einer zurücklächele, auf ihn zuschreiten und ihn in Gespräche verwickeln. Sie werde immer dann, wenn sie ein weiteres Treffen angenehm fände, nach Telephonnumern fragen und Termine anbieten.

Und wenn es dann nicht hinhaue, dann schwöre sie der ganzen Veranstaltung ab.

Montag, 21. Juli 2008

Taxifahren

I. Ortsunkundiger Taxifahrer

Die aufzusuchende Straße, so die J., sei eine große und außerordentlich belebte Straße Taschkents gewesen. Indes seien die örtlichen Taxifahrer zumeist Menschen mit sehr, sehr schlechter Ortskenntnis, und der mit dem Transport beauftragte Mann habe keine Ahnung gehabt, wo das Ziel sich befinde. Dies sei darauf zurückzuführen, dass alle Taschkenter Taxifahrer vom Lande kommen und Taschkent gar nicht kennen.

In Taschkent suchen die Taxifahrer vom Lande ihr Glück. Noch viel mehr Glück als in Taschkent vermuten die Taxifahrer aber in Deutschland, von dem in Taschkent sehr verschwommene Vorstellungen herrschen, und so habe besagter Taxifahrer vom Land die Gelegenheit beherzt beim Schopfe gepackt und der J. einen Heiratsantrag gemacht.

Vor, während und nach dem Heiratsantrag sei der Taxifahrer richtungslos durch Taschkent gefahren und habe ab und zu Passanten gefragt, wo der Zielort zu finden sei. Sie könne zu Fuß gehen, habe die J. den Taxifahrer zu stoppen versucht. Dieser aber habe sie nicht aussteigen lassen, sondern seinen Heiratsantrag konkretisiert.

Er würde, bot der Taxifahrer an, nicht bei der J. wohnen. Alles, was er wolle, sei die Heirat als solche. Nach erfolgter Eheschließung werde er sich auf eigene Faust durchschlagen. Er werde arbeiten. Die J. werde von dieser Ehe keinerlei Nachteile haben.

Da auch keine Vorteile ersichtlich waren, lehnte die J. ab.

II. Auch ortsunkundiger Taxifahrer

„Wo ist denn die *** Straße?“, fragt mich der Taxifahrer vor dem Frankfurter Flughafen. „Kennen sie sich hier nicht aus?“, frage ich ein wenig besorgt um meinen Termin in runden dreißig Minuten. „Jaja ....“, antwortet der Taxifahrer wenig überzeugend und fährt los.

„Er will mir nicht helfen!“, erläutert der Taxifahrer zehn Minuten später auf der Autobahn nach Wiesbaden den Inhalt mehrerer geräusch- und temperamentvoller Telefonate. „Mein Chef will mir nicht helfen!“, jault er auf, gibt noch etwas mehr Gas und fährt in eine Richtung, von der ganz offensichtlich auch er nicht weiß, wo sie hinführt.

„Nehmen sie den Plan!“, befiehlt er. Ich weise das Ansinnen zurück. Ich weiß nicht einmal in Berlin, wo irgendwas ist. Meine Unkenntnis, wo sich Orte befinden und wie man sie aufsucht, ist legendär.

Verzweifelt brüllt der Taxifahrer etwas später von der Straße aus russische Bauarbeiter und hessische Hausfrauen um Hilfe an. „Ich bringe sie dahin“, weist er mein Anerbieten zurück, ein anderes Taxi zu rufen.

Zwanzig Euro mehr als auf dem Rückweg braucht der Taxifahrer bis zum Zielort. „Ich hole sie ab!“, drängt er mir die Rückfahrt auf. Ich würde mich melden, behaupte ich fälschlicherweise und steige aus.

III. Ortskundiger Taxifahrer mit festen Vorstellungen

„Haben sie Kinder?“, werde anscheinend nur ich regelmäßig von den Taxifahrern Berlins gefragt. „Sie sollten Kinder haben.“, erwidern dann einige Taxifahrer meine verneinende Antwort. Nur ein Taxifahrer allerdings entgegnete:

„Wieso nicht? Finden sie niemanden oder sind sie unfruchtbar?“

Samstag, 19. Juli 2008

Hinterm Spiegel

Merkwürdigerweise funktioniert das sogenannte Schöntrinken bei mir selbst ausgezeichnet, und so stehe ich um kurz nach sechs nach ungezählten Gläsern Sekt und Wein vor dem Spiegel im Bad und grinse mich an. „Ist doch alles halb so schlimm.“, versichere ich meinem Abbild und gefalle mir für ein, zwei Minuten ganz gut.

Mein so gelobtes Spiegelbild macht lustige Faxen mit der Zahnbürste im Mund. Der Kater springt erst auf die Waschmaschine, dann auf den Beckenrand, und schnuppert ein bisschen am Wasserhahn. Die Tochter der Nachbarn steht auf dem Balkon und singt der Morgensonne ein Ständchen, und ich versuche mich vergeblich zu erinnern, was ich gesagt habe, den ganzen letzten Abend, und was die anderen, ob ich großen Mist erzählt habe, oder nur so mittelunzusammenhängendes Zeug, und gehe schnell zu Bett, bevor die Nachbarstochter vom Gesang zum Geschrei übergeht, bevor der ungestreichelte Kater ärgerlich wird und mit den Pfoten haut, und bevor sich mein Spiegelbild verzerrt, ausbeult, böse wird, zum Fürchten fremd, und ich die Augen schließen muss, aus Angst, die Vettel im Spiegel griffe nach mir und zöge mich hinter das Glas.

Montag, 7. Juli 2008

Egal

Ich weiß nicht, sage ich und betrachte eingehend das Innere derjenigen Hand, in der ich nicht den Hörer halte. Ich weiß nicht, wiederhole ich, ob das eigentlich normal ist, wenn man sich dermaßen egal wird, so gleichgültig, wie einem sonst nicht einmal die Leute in der Bahn sind oder die dicke Frau, die an der Warschauer Straße Zeitungen verkauft.

Zumindest so ein gewisses Grundinteresse, sage ich, sollte man doch für sich aufbringen, auch wenn man selbst und alles, was damit zusammenhängt, nicht so besonders aufregend sein sollte, und ohnehin so gut wie jeder weiß, was nun die nächsten fünfzig Jahre passiert, es sei denn, es kommt etwas dazwischen, und wie es dann weitergeht, weiß man auch.

Selbstverständlich ist einem auch bewusst, dass die Gleichgültigkeit und die Gleichförmigkeit direkt und unmittelbar miteinander in Verbindung stehen, und man möglicherweise ein etwas interessanteres Dasein fristen würde, wäre es einem nicht gar so schnurz. Möglicherweise wäre es sogar denkbar, statt dieses Lebens ein ganz anderes Leben zu führen, aber wozu man das machen sollte, und ob man etwas mehr Teilnahme dafür aufbringen könnte, ist auch nicht klar, und so belässt man es dabei, liegt also auf dem Bett, Samstags um viertel nach drei, verabredet sich für die nächste Woche - egal wo, such du aus - und schaut den Schatten der Vögel hinter dem grünen Vorhang nach, nichts vermissend, wunschlos, und einfach nur da wie irgendein Gegenstand, ein Hinweisschild auf einen Ort, den es nicht gibt, eine beim Umzug am Straßenrand vergessene Kiste, irgendetwas Beiläufiges, das man vergisst, sobald man es gesehen hat, und vielleicht schon währenddessen.

Samstag, 28. Juni 2008

Bei mir

Die Wände – wenn ich sie hätte – würde ich tapezieren. Lauter Rokokofarben würde ich nehmen. Elfenbein. Pistaziengrün, ein zartes, verschleiertes Blau. An den Fenstern aber würde ich nichts machen. Soll die Farbe vom alten, mürben Holz abblättern und läge wie Borke morgens auf dem Bord. Das Fensterglas wäre ungleichmäßig, aber nur ein bisschen, und die Welt dahinter ein wenig verzerrt.

Blumen hätte ich immer, Pfingstrosen und Lilien, in großen, runden Vasen aus Glas, oder Kelchen aus Silber. Meine Tische wären aus dunklem, ehemals glänzenden Holz, und ein paar Wasserflecken, ein bisschen Wachs vielleicht würde mich erinnern an lange vergangene Feste.

Auf einer Anrichte, so hoch, dass die Katze nicht drankommt, stünde Konfekt. Musik würde ich selten hören, vielleicht an besonders sonnigen Tagen Richard Strauß. Manchmal Wagner, aber das regte mich schon zu sehr auf. Lesen würde ich, den ganzen Tag, Bücher, die ich kenne, eingebunden in Leder oder fadenscheinigen Stoff.

Besuche empfinge ich keine. Klingelte jemand, den ich von früher kennen würde, Freunde aus anderen Tagen: Ich machte nicht auf. Vom Schlafzimmerfenster aus, verborgen hinter Hecken aus Buchsbaum, versteckt hinter kühlen, dunklen Gardinen, würde ich schauen, wer es ist, und lautlos, bewegungslos seinen Rückweg betrachten, bis die Zweige der Weiden hinter dem Haus wieder reglos über dem Wasser hängen, in dem ich nachts den Mond betrachte, der so weiß wäre wie ein Knochen und so stumm wie ich.

Essen würde ich wenig. Runde, rosa Petit Fours vielleicht. Ein wenig Quark mit frischen Aprikosen. Früchte. Kaum Fleisch. Ein bisschen dunkles Brot, süße Butter. Trinken würde ich Tee, Sherry, wenn mir danach ist. Ein kleines Glas Gewürztraminer am Abend. Am Sonntagmorgen frische Milch, die mir jemand vor die Tür stellt, den ich niemals sehe. Überhaupt ginge ich nie einkaufen, und es käme auch niemand zu mir, kein Mädchen, keine Leute, die den Gaszähler ablesen, und erst recht keine Handwerker, die kommen, und den Geruch nach Farbe hinterlassen und nach Schweiß.

Ein Telefon hätte ich nicht. Kein Internet. Keinen Computer. Das wenige, was mir einfiele, schriebe ich auf irgendwelche Zettel und würfe sie weg am Abend, wenn ich aufräume zur Nacht. Nichts würde ich hinterlassen. Niemand käme mir auf die Spur. Und wenn ich verschwinden werde, einfach davonfahren, ohne Gepäck und ohne Fahrkarte, ohne Geld sogar, würde nur die Frau, die die Milch bringt, mein Fehlen bemerken, wenn ich längst schon auf und davon wäre, bei Nacht zum Fluß hinterm Haus, wenn die Wasser schwellen, und die Lais selbst nähme mich auf, auf den Meeren zu fahren.



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