Montag, 4. August 2008

Wir haben nichts genossen

Bei Dussmann in der Friedrichstraße auf einmal immer kleiner werden wie der Elephant in einer Short Story von Haruki Murakami. Nur schneller. 1,67 -- 165 -- 1,63 und immer so weiter. Nach einigen Sekunden schon nur noch ganz knapp über den Tisch schauen können, auf dem die Neuerscheinungen liegen. Links Clemens Meyer, rechts Juli Zeh.

Sich beherrschen zu müssen, um keine Angst zu bekommen vor den anderen Leuten, denn immer mehr Menschen drängen sich um die Tische, stoßen sich gegenseitig an, schieben sich die Rolltreppe nach oben und schreien sich gegenseitig abgehackte, knappe Sätze in die Ohren, die wie Kommandos klingen. Hoch zu den Ratgebern. Nur noch kurz zur Kunst. Ab nach unten.

Der Versuchung nachgeben, ein paar Minuten auf der Toilette die Augen zu schließen. Unsichtbare Hände trommeln gegen die Tür. Sich beruhigende Worte vorsagen. Abend etwa. Sonne, Brunnen und Licht. Sich zu erinnern versuchen, was man hier eigentlich will. Suchen, finden und ganz schnell bezahlen.

Vor der Tür weglaufen vor dem Stand mit den Billig-CDs. In die nächste Seitenstraße und kurz stehen bleiben. Atmen. Die Hände zusammenpressen, den eigenen Pulsschlag zählen, wie er sich langsam beruhigt und wieder größer werden, wachsen, lächeln und nach Hause gehen

Immer nach Hause.

Freitag, 1. August 2008

Die B. wird offensiv (Anfang Juli, Teil 3)

Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass wer A sage, auch B sagen müsse. Tatsächlich kann, wer einmal A gesagt hat, natürlich auch einfach G sagen oder Z, oder etwas ganz anderes, also etwa „ich finde, du solltest jetzt einfach nach Hause gehen.“. Sehr populär ist das allerdings nicht.

Der Adressat dieser Äußerung reagierte daher auch etwas verstimmt. Eigentlich reagierte er sogar ziemlich angesäuert, und was er der B. so ganz genau erwiderte über vertane Zeit und die Natur der Frauen im Allgemeinen, darf daher an dieser Stelle nicht wiedergegeben werden. Nach einigem Hin und Her jedenfalls zog er ab.

Offenbar hatte er sich den Ausklang des Abends anders vorgestellt. Beim Kennenlernen offensive Damen, so scheint es, wecken bei manchen Herren Angstgefühle, bei anderen aber den Glauben, die restliche Bekanntschaft werde nicht minder forsch verlaufen, und insbesondere hinsichtlich des Zeithorizonts scheint die Offensive der B. außergewöhnliche Erwartungen geweckt zu haben, die trotz des abrupten Endes des gemütlichen Beisammenseins auch am nächsten Tage fortgewirkt haben müssen, denn bereits gegen zehn Uhr morgens klingelte das Telephon.

Man habe – so der wieder besänftigte Anrufer – am Vorabend vielleicht etwas vorschnell die weitere Bekanntschaft abgebrochen. So nette Menschen träfe man ja nicht jeden Tag. Falls die B. beleidigt sei - nun, dann könne er auch nichts dagegen tun. Wenn sie indes an einer Fortsetzung der Bekanntschaft interessiert sei, so möge sie einfach anrufen.

Für einfach nur reden oder so sei der Anrufer indes zu alt.

Dienstag, 29. Juli 2008

Der entschwundene Garten

Schmal und ziemlich langgestreckt war der Garten meiner Großmutter, und je weiter man sich vom Haus entfernte, umso struppiger wurde der Rasen. Ganz hinten, wo früher, als mein Vater noch klein gewesen war, Hühner gehalten worden waren, taten sich sogar handtellergroße kahle Stellen auf, und das Gras war so gelb wie Stroh. Zwei- oder dreimal pro Jahr mähte ein hiermit beauftragter Bauer hier hinten, niemals wurde gesprengt, und das Obst der drei, vier verkrüppelten Apfelbäume reifte vergeblich der Fäulnis und den Wespen entgegen, die schwer, satt und schwankend vor Gärung über den Früchten kreisten.

Bis aber der August die Äpfel auf den Rasen warf, saß ich von Juni an im fleckigen Schatten der Bäume und las den ganzen Tag auf dem straff gespannten Stoff einer Liege, die rot war, glaube ich, und ab und zu kam meine Großmutter an den Blumen und den Erdbeeren, den Gurken und den Zuckerschoten vorbei bis zu mir und brachte mir Käsebrote oder etwas zu trinken, Jahr für Jahr. Ferien für Ferien.

Irgendwann aber kam die Großmutter nicht mehr bis hinten in den Garten, weil der Rücken ihr weh tat und die Füße auch. Im Sommer drauf kam sie auch nicht mehr bis zu den Beeten und schickte mich ab und zu nach einem Bund Petersilie oder einer Handvoll Dill. Am Ende dann, zwei Jahre später, setzte der mobile Pflegedienst die Großmutter nur noch auf die Terrasse, wo sie den Blumen zusah, den weiß-roten Tulpen, den Pfingstrosen, dem Rittersporn, den Dahlien zuletzt, und bevor die Astern blühten, war sie tot.

Acht Wochen später gehörte das Haus anderen Leuten.

Vier Jahre wohnten die ersten Käufer im Haus und strichen nicht mal den Zaun. Der Sturm fällte den Nussbaum, und sie taten monatelang nichts, den Stumpf zu entfernen. Dann gingen sie pleite und das Haus stand leer. Zwei Jahre lang hausten dann gleich zwei Familien in dem Haus, die in Unterwäsche durch den Garten liefen und die Nachbarn erschreckten. Nicht ganz vier weitere Jahre gehörte das Haus einer kinderreichen Familie, die auszog, als die Frau den Mann verließ, und dieser anfing zu trinken. Dann gehörte das Haus wieder der Bank, und die fand keinen Käufer.

Das Haus sei zu groß, hieß es in der Bank, für eine Familie und zu klein für zwei. Besonders der Riesengarten sei nicht verkäuflich, hieß es, denn niemand wolle heute so etwas noch haben, und so teilte die Bank das Grundstück in ein großes, auf dem sich das Haus befand, und drei kleine: den hinteren Garten.

Ein Jahr lang tat sich gar nichts. Nun aber, erzählen die Nachbarn, seien Bagger erschienen. Bauwagen stünden auf dem Gelände. Ein provisorischer Zaun werde errichtet, wo stets nur Hecken und Büsche waren. Die Bäume würden gefällt, und wo das gelbe Gras spross, wo die Liege stand, wo die Erdbeeren, die Gurken und die Zuckerschoten wuchsen, würden Fundamente gegossen für drei kleine, viereckige Häuser mit kleinen, viereckigen Gärten, ein bisschen Rasen, ein einziges Beet und kein Baum weit und breit, in seinem Schatten zu sitzen.

Montag, 28. Juli 2008

Madame Modeste Alzheimer

Mich kennt und schätzt man unter anderem für die Fähigkeit, kalte Platten herzustellen, die ganz genau so aussehen wie 1950. Für die Neigung, auch dann nicht nach Hause zu gehen, wenn ich in drei Stunden aufzustehen habe, und ganz generell für einen Leichtsinn, den Phrasenverliebte unter uns als sträflich bezeichnen. Menschen, die mit mir zusammenleben oder arbeiten mögen an mir ansonsten auch die gute Erkennbarkeit meiner Anwesenheit. Mein Büro ist ebenso wie mein Heim ein Hort verborgener Schätze verschüttet unter Unmengen Papier.

In den weiteren Kontext dieser Fähigkeit gehört der Umstand, dass Passwörter, Telephonnummern, sonstige Nummern und andere Sachen, auf die man gut aufpassen sollte, mir öfters entgleiten, gerade waren sie noch da, aber dann ...

Im Regelfall richte ich mir dann neue Accounts ein, rufe bei Banken an, frage Dritte, aber wenn man das nicht machen will, es wohl auch nichts brächte, bei ICQ anzurufen, man gleichwohl seinen Account mal wieder in Betrieb nehmen möchte, dann -

bittet man um Mitteilung der Nummer und des Namens, mit dem man mal irgendwann da teilgenommen hat. Bitte an die E-Mail in der Seitenleiste. Deren Passwort weiß ich noch.

Sonntag, 27. Juli 2008

Die B. wird offensiv (Mitte Juni, Teil 2)

Im Umgang mit männlichen Menschen empfiehlt es sich dringend, zwischen verschiedenen Realitätsebenen klar zu unterscheiden. Im Gespräch äußert so gut wie jeder Herr, die weibliche Offensive zu schätzen, und geradezu darauf zu warten, dass hübsche, freundliche Damen ihn ansprechen. In der Realität dagegen ergreifen – die liebe B. hat es ausprobiert – die meisten offensiv Angegangenen sofort oder etwas später die Flucht.

Eine dies belegende Versuchsanordnung sieht etwa folgendermaßen aus:

Man stelle sich meine liebe Freundin B. in einer Galerie vor. Nicht so eine posh Mitte-Galerie, sondern eher so ein Friedrichshainer Laden mit Bildern, von denen dünne Jungs mit billigen, aber coolen Sonnenbrillen behaupten, sie seien rough und elementar.

Weil die B. sehr selten in Friedrichshain ausgeht, und auch keine Friedrichshainer kennt, steht sie etwas verloren in einer Ecke und tut so, als betrachte sie ein Bild. Ursache ihrer Anwesenheit ist der Künstler, mit dem die B. zur Schule gegangen ist. Dieser jedoch läuft ein bisschen nervös irgendwo durch den Hintergrund und spricht mit anderen Leuten.

Nirgendwo, behaupten maßgebliche Stimmen, werde man schneller kontaktiert als bei der Bildbetrachtung. Entsprechend steht keine 15 Minuten nach Ankunft der B. ein Mann neben ihr, betrachtet gleichfalls das Gemälde und hebt weitere drei bis vier Minuten später an zu sprechen. Das Bild gefiele ihm nicht.

Andere Bilder gefallen ihm allerdings durchaus, und von diesen spricht er weiter. Er kenne viele Künstler und male auch selbst, fährt er fort, und bevor die peinliche Gesprächspause beginnen kann, in der vielen Menschen nichts mehr einfällt und sie das Gespräch mit dem Hinweis auf zu holende Getränke beenden, unterbricht ihn die B. und spricht ihrerseits.

Für Kunst interessiert sich die B. allerdings nicht so besonders. Für Musik scheint sich der fremde Herr nicht zu erwärmen, jedenfalls nicht für dieselbe wie die B. Über Wirtschaft und Politik spricht die B. gern, vermutet auf der Gegenseite ein vergleichbares Interesse und bedauert einige Minuten das versägte irische Referendum. Der Fremde nimmt diesbezüglich eine andere Position ein als die B. Man diskutiert ein wenig, das Gespräch läuft, man trinkt ein bisschen sauren Wein, und die B. erinnert sich ihrer Offensive. - „Ich muss jetzt los, aber wollen wir uns die Woche nicht mal sehen?“, spricht sie sorgsam vorbereitete Worte aus und schaut den Herrn neben sich direkt an. Dieser schweigt. „Ja, gern“, sagt er nach einer kurzen, verdatterten Pause. „Die Woche habe ich aber keine Zeit.“ Anstalten, seine Telephonnumer aufzuschreiben, macht er nicht.

Schade, sagt die B. daraufhin und geht nach Hause.

Einige Tage später fährt die B. mit dem Auto die Holzmarktstraße entlang. Es regnet. Rechts auf dem Bürgersteig geht – ohne Schirm, dafür mit einer gefüllten Tasche – nichtsahnend der Mann aus der Galerie. Eingedenk ihrer Offensivenpläne verlangsamt die B., fährt rechts ran, hält und fährt die Seitenscheibe nach unten.

„Hallo!“, sagt sie. Der Fremde dreht sich um. „Soll ich dich mitnehmen?“, lächelt sie ihn an. „Danke – nein, ist nicht nötig.“, winkt der Mann aus der Galerie ab.

Die B. schwört, er sei etwas schneller gegangen, und habe sich an der Ampel mindestens einmal furchtsam nach ihr umgedreht.

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