Sonntag, 31. August 2008

Sein und Bewusstsein

Man sagt, schon seit geraumer Zeit hätten die Herren Marx und Hegel ihre bekannten Streitigkeiten beigelegt, und zwar habe der Herr Professor Hegel auf voller Linie gesiegt. In Erfüllung einer alten Wette habe der Herr Marx auf einen der wackeligen Marmortische des Café Europa steigen und angelegentlich dieser Dialektik, von der man jetzt soviel hört, zugeben müssen, dass der Materialismus ein Quark, und das Bewusstsein der Leute die ganz und gar entscheidende Größe für eigentlich alles sei. Geklatscht und gejubelt hätten, sagt man so, die Gäste des Café Europa, die von den lästigen Streitereien weniger der beiden alten Herren als ihrer Claqueure schon reichlich angefressen gewesen seien, und insbesondere der Ober Alfred, ein schon recht runzliger Herr mit Fliege um den Hals und stets weißem Hemd über dem schwarzen Kragen sei so gerührt gewesen, dass ihm fast die Kaffeetassen heruntergepurzelt seien von seinem Tablett. Dies, so sagen sogar die ältesten anwesenden Gäste, passiere ansonsten eigentlich nie und deute so recht eigentlich das Epochale an der ganzen Sache an, wie ja das Kellnerwesen überhaupt das Verhältnis von Sein und Bewusstsein am besten auszudrücken in der Lage sei.

Hätten nämlich beispielsweise, so hört man diesbezüglich aus allbekannten Kreisen bisweilen nicht ganz ohne Schadenfreude, die Anhänger des Herrn Marx recht gehabt, so wären etwa, um ein ganz beliebiges und vollkommen beiläufiges Thema anzusprechen, die Berliner Kellner, geprägt von ihrem Kellnersein, auch etwa so wie der Ober Alfred. Ganz so wie dieser im Regelfall freundliche ältere Herr würden auch die Berliner Kellner hinter oder vor ihren Tresen stehen, die Blicke schweifen lassen über den Raum, und wenn einer etwas haben möchte, so kämen sie gelaufen.

So wie der Ober Alfred hätten dann zwar auch die Berliner Kellner ihre Vorlieben und Abneigungen. Auch würden sie – ganz wie der Herr Ober Alfred – längst nicht jeden mit Namen begrüßen und wären durchaus unterschiedlich freundlich. So wie aber etwa die Kellnerin aus dem Café *** am Helmholtzplatz, die annähernd bewegungslos, versonnen vor der Espressomaschine steht, Sonntag morgens um halb zwölf und den Mund zu einer demonstrativen Geste des Schmollens verzieht, ruft ein zunehmend hungriger Gast nach Bedienung, so sähe, bestimmte das Sein das Bewusstsein und nicht umgekehrt, niemand die Berliner Kellner mehr mit leeren Hände zwischen den Stühlen herumstehen, sorgfältig darauf bedacht, dem Blickkontakt mit potentiellen Kunden auszuweichen.

Dass – um im vorerwähnten Beispiel zu bleiben – das Roastbeef-Sandwich aus ist, hätte auch ein Ober Alfred vermelden müssen. Dass die Nüsse vom alternativ ausgewählten Gorgonzola-Sandwich nicht abgekratzt werden könnten, hätte ein zu wahrem Kellnertum reformierter Berliner Kellner vermutlich nicht mit derselben schnippischen Betonung mitgeteilt. Dass aber in irgendeiner anderen Galaxie die Bedienung mit einem zu Tode gekränkten Blick die Frage „Haben sie denn irgendwas anderes zu Essen?“, quittiert: Das ist unwahrscheinlich. Dass die nicht mehr vorhandenen Speisen auf der Kreidetafel neben dem Eingang einfach stehen bleiben – nun gut, die Kellnerin kann nicht gleichzeitig die Kaffeemaschine hypnotisieren und die Tafel ändern.

Hier aber, so sagen manche Damen und Herren, ist nicht schiere Unfähigkeit am Werk. Vielmehr belegt diese ganz und gar ungenügende Bedienung den Wahrheitsgehalt des Werks vom Herrn Professor Hegel: Die Kellnerin aus besagtem Café nämlich ist – wie dies den Berliner Kellner charakterisiert – eigentlich keine Kellnerin, sondern irgendetwas anderes, was gerade nicht klappt. Der Berliner Kellner identifiziert sich nun aber ganz und gar nicht mit seinem kellnernden Sein, sondern beansprucht die Identität mit einem nicht-kellnernden Bewusstsein. Sehr, sehr allergisch reagiert er darauf, hält auch nur die Außenwelt den Kellner an seiner Existenz statt an seiner Wunschvorstellung fest. Zwar mag es sein, dass aus dieser Wunschvorstellung eines Daseins als Maler, Architekt, Choreograph oder Model schon ziemlich lange und absehbar auch zukünftig nichts wird. Gleichwohl beansprucht der Berliner Kellner, als Maler in temporären Finanzproblemen behandelt zu werden, als the next big thing kurz vor dem Durchbruch, und ein leicht gereizter Ruf nach der Rechnung, vergeblich geäußert zum dritten Mal, wird schon deswegen nicht als Anlass vertragsgemäßer Dienstleistung angesehen, sondern als menschliche Rohheit, als Rücksichtslosigkeit gegenüber einem Mitmenschen, der doch Schonung, wenn nicht sogar Hochachtung verdient hätte für seine kreative Mission, oder zumindest zarteste Rücksichtnahme und Mitleid für einen Zeitgenossen, den widrige Umstände zu erniedrigender Erwerbstätigkeit zwingen.

Entsprechend ist dem Berliner Kellner egal, ob der Gast zufrieden oder überhaupt nur bedient wird. Die Reklamation dessen aber empört den Berliner Kellner. Behandelt der Gast den Berliner Kellner etwa wie einen richtigen, hundsordinären Kellner und nicht wie ein verkanntes Genie? Kann die dicke Frau vor der Tür nicht froh sein, überhaupt etwas zu trinken zu bekommen? Muss es auch noch der richtige Wein sein, und ist es nicht mächtig unentspannt, diesen auch noch innerhalb von dreißig Minuten einzufordern? – Empört steht der Berliner Kellner in solchen Situationen vor dem Gast und fordert mit wilden Blicken Respekt vor einer imaginären Lebensleistung ein. Hätte irgendjemand, so blitzen der Kellner Augen, Gerhard Richter um Kaffee geschickt? Fände es irgendjemand vorwerfbar, wenn Thomas Mann statt eines Streifens Nussbeugel ein Ochsenauge bringt?

Quod erat demonstrandum, behaupten die siegreichen Gäste des Café Europa und schütteln im Triumph des Idealismus hochragende Fahnen.

(Allerdings sei, flüstern manche Unbelehrbare an den schlechteren Tischen, das Bewusstsein der Berliner Kellner zwar mächtig genug, die Qualität ihrer Dienstleistung erheblich zu schmälern. Dass das schiere Bewusstsein einer künstlerischen Existenz die Berliner Kellner zur Verwirklichung der hierfür erforderlichen Leistungen befähige: So weit reiche es dann doch nicht mit der Macht der Ideen.)

Montag, 25. August 2008

Madame Modestes Bildungsreform (Ein Einwurf)

Recht gern lese ich, etwa in der Zeit oder so, ellenlange, sorgenschwere Artikel über das Schulsystem und freue mir ein Loch in den Bauch, dem Bildungswesen der Republik entkommen zu sein. Abgesehen von zwei Staatsexamina habe ich keine Schäden davongetragen, die nicht nach einigen Jahren wieder von selbst verschwunden wären. Denn tatsächlich verhält es sich doch so:

Schule ist schrecklich. Man wird mit lauter Leuten zusammengesperrt, von denen man mit rund zwei Dritteln freiwillig nie sprechen würde. Mit dem Rest wäre man auch so befreundet. In der Grundschule hat man vor den großen, dicken Kindern Angst, die schon einmal sitzengeblieben sind und den aufkeimenden Frust einer im Ansatz gescheiterten Bildungskarriere an denjenigen Sprösslingen auslassen, die Lesen und Schreiben können. Vor den fiesen Kindern versteckt man sich dann in der großen Pause auf der Mädchentoilette, zu dritt in der engen, stinkenden Kabine, während die künftigen Empfänger staatlicher Transferleistungen mit schmutzigen Fäusten gegen die Türen bollern. Im Gymnasium wird das dann deutlich besser, aber angenehm ist etwas anderes.

Die meisten Lehrer sind dumm. So gut wie niemand, der klug und schnell, elegant und witzig ist, findet Gefallen daran, vor einer Horde Minderjähriger zu stehen. Lehrer werden zumeist Menschen, die zu unsicher oder zu unfähig sind, sich in der Konfrontation auf Augenhöhe zu behaupten. Der Versuchung, nach Abschluss der Schule möglichst schnell wieder in selbige zurückzukehren, geben fast regelmäßig nur jene Leute nach, die – oft mit Recht – annehmen, in jedem anderen Lebensbereich vorhersehbar zu scheitern. Ich habe über 13 Jahre sehr, sehr wenige Lehrer getroffen, denen ich zugetraut hätte, auf einem anderen Spielfeld zu reussieren, und diese wenigen waren fast ausnahmslos Frauen der heute älteren Generation, die eine Generation später mit hoher Wahrscheinlichkeit einen anderen Beruf ausüben würden. Wer aus meinem Jahrgang Lehramt studiert hat, ist im Regelfall keine Persönlichkeit, die ein Kind inspirieren könnte.

So gut wie nichts, was man in der Schule erfährt, könnte man nicht auch woanders lernen. Lesen und Schreiben hat mir meine Mutter beigebracht. Fast alles, was ich über Literatur, Kunst, Musik oder Geschichte weiß, weiß ich aus Büchern. Den Rest habe ich zu Hause gelernt, am Esstisch im Gespräch oder an den Tischen anderer Familien, in Museen oder einfach so, im Vorübergehen. Über Naturwissenschaften weiß ich quasi nichts. Daran haben 13 Jahre nichts geändert.

Ansonsten: Mein gesamtes Sozialverhalten stammt von zu Hause. In der Schule hätte ich vielleicht lernen können, wie man auch mit Leuten umgeht, die man für beschränkt und grobschlächtig hält. Indes ist mir dies nie in einer Weise gelungen, die zu überzeugenden Ergebnissen geführt hätte. Wie man eine gute Freundin, eine angenehme Bekannte ist – das wird man in der Schule nicht lernen. Wer zur Freundschaft nicht begabt ist, wird diese Begabung nicht erwerben, nur weil er täglich Menschen trifft, mit denen er sich befreunden könnte.

Spricht damit nichts für, aber alles gegen die Schule, so stellt sich die Frage: Muss eigentlich dermaßen viel Geld ausgegeben werden für ein obsoletes System? Kann nicht jeder einfach so vor sich hin lernen? Reicht es nicht aus, jedes Jahr zentrale Prüfungen zu veranstalten, die jedes Kind absolvieren muss, und wer durchfällt, muss so lange schreiben, bis er besteht? Wieso erhält nicht jedes Elternpaar ein dickes Buch mit dem kompletten Curriculum und gute Tipps über Lehrmaterial, und kann dann sehen, wie es dies in sein Kind hineingebimst bekommt? Reicht es nicht aus, um auch komische Kinder komischer Leute nicht bildungstechnisch komplett verwahrlosen zu lassen, den Bezug etwa von staatlichen Sozialleistungen an das Bestehen der Prüfungen zu koppeln oder einen Idiotenaufschlag von 5% auf die Einkommensteuer zu erheben? Vielleicht werden dann sogar alle viel gebildeter als jetzt, derweil es ja nicht sehr gut zu funktionieren scheint mit dem flächendeckenden Erwerb von Wissen und Fähigkeiten?

Für die Leute aber, die gern zur Schule gehen, kann man ja pro Stadtteil einfach eine dieser Einrichtungen offen lassen. Für die Kinder, die allein nichts anzufangen wissen mit ihrer Zeit.

Sonntag, 24. August 2008

Ich. Dich niemals.

Sich verabschieden, auflegen, und dann vier, fünf, sechs Wochen lang an überhaupt nichts anderes denken. Morgens, noch während der Schlaf langsam schwindet, das Ende zu spüren wie ein heißes, stählernes Messer im Fleisch.

Nach vier Wochen erst die Sonne nicht mehr als schmerzhaft empfinden. Nach drei Monaten morgens erwachen und an irgendetwas denken wie versägte Klausuren oder den Zahnarzt. Nach vier Monaten wieder gefallen wollen, nach acht Monaten wieder gefallen. Nach einem Jahr wieder küssen.

Nach drei Jahren aufhören, jeden mit ihm zu vergleichen. Über ihn sprechen können, ohne dass der Magen sich zusammenzieht. Ab und zu ganz gern an ihn denken. Nach vier Jahren dann ihn einfach so am Flughafen sehen, am Gate von hinten mit einem schwarzen Aktenkoffer, und einfach weitergehen, sich nicht umdrehen, und nicht einmal im Traum – drei Wochen später – mehr sagen als „Hey. Du.

Ich. Dich niemals.“

Sonntag, 17. August 2008

Ein Liger für den Garten

Sehr gern, wenn es sich einrichten ließe, hätte ich auch einen Liger. In dieser Wohnung allerdings könnte ich keinen Liger halten, denn der Bewegungsdrang des Ligers überstiege meiner Wohnung Möglichkeiten, und allein ein ausreichend großzügiges Katzenklo, welches unerlässlich ist für die Haltung von Feliden, sprengte das vorhandene Raumangebot ganz und gar.

Sicherlich wäre ein Garten schön für den Liger. Gartenarbeit würde sich, nehme ich an, erübrigen, besäße ich das Tier. Einen Sandkasten würde ich aufstellen, vielleicht einen Teich graben lassen, und ein bisschen Rasen läge aus. Darauf würde der Liger sich wälzen und läge in der Sonne, vormittags etwa, oder schliefe unter den Büschen.

Unsicher bin ich mir, ob Liger klettern. Vielleicht, falls ja, läge er des Nachts auf den Ästen der Bäume und würde in die Nachtluft brüllen, wenn Liger brüllen, aber auch das weiß ich nicht genau. Bestimmt mag der Liger den Mond.

Da ich nicht viel zu Hause bin, würde ich einen zweiten Liger kaufen, damit der erste Liger sich nicht einsam fühlt. Der zweite Liger sollte eine Ligerin sein und zu zweit würden die Liger spielen, sich jagen, sich mit Tatzen hauen, wenn ihnen langweilig ist, und wenn sie schliefen, kuschelten sie sich eng zusammen, denn hier ist es kälter, stelle ich mir vor, als es Liger mögen.

Zu essen bekämen die Liger frisches Fleisch. Vielleicht würde ich bei einem Bauern Kühe abonnieren, jeden zweiten Tag eine Kuh, die lebendig gebracht würde, damit die Liger nicht erschlaffen, und von der Terrasse aus würde ich den Ligern beim Jagen zusehen. Wenn die Liger satt wären, müsste jemand kommen und die Reste der Kühe aufsammeln, denn die stelle ich mir übelriechend vor.

Grausam und blutrünstig wären die Liger zu Kühen. Sanft und anschmiegsam aber wären die Liger zu mir. Neben mir würden sie liegen und schnurren, wenn ich lese, und sich auf den Rücken legen und die Brust kraulen lassen. Die Liger würden kommen, wenn ich rufe, und wenn ich traurig wäre, würden sie mich trösten.

Theodor würde der eine Liger heißen. Und Maria der andere.

Sonntag, 10. August 2008

Die Sommerdecken seiner Eltern

"Man fängt ja
gar nichts mit der Verwandtschaft an – die
Verwandtschaft besorgt das ganz allein."

Kurt Tucholsky

Nun, meine Liebe, Sie suchen einen Mann. Das Leben mit einem Mann stellen Sie sich recht angenehm vor. Dabei sind Sie nicht naiv. Sie wissen, dass Männer auch Nachteile haben, dass alles auf Erden auch Nachteile hat, und dass das Zusammenleben mit jemandem, der möglicherweise – nein, ganz bestimmt – andere Lebensgewohnheiten hat als Sie, andere Verhaltensweisen für normal hält, und noch andere für wünschenswert, sich nicht immer einfach gestalten wird.

Auch dass Ihr zukünftiger Gefährte eine Familie hat, erscheint Ihnen ziemlich normal. Hätte er keine, Sie wären befremdet. Hätte er ganz merkwürdige Eltern, die beispielsweise komisch tätowiert wären oder rechtsradikal, Sie wären auch nicht begeistert, und dass ältere Leute – wie es die Eltern Ihres geschätzten Gefährten naturgemäß wären – manchmal ein bisschen sonderbar sind, dass nehmen Sie hin. Ihre Eltern, Verehrteste, sind ja auch nicht ohne, und niemand wüsste das besser als Sie.

Was es aber bedeutet, dass Ihr Gefährte Eltern hat, dass erfahren Sie nicht beim ersten Treffen, nicht beim ersten gemeinsamen Weihnachtsfest, und nicht einmal dann, wenn seine Eltern das erste Mal überraschend zu einem vollkommen unpassenden Zeitpunkt bei Ihnen erscheinen. Die ganze Bodenlosigkeit seiner Familie teilt sich Ihnen auch noch nicht mit, wenn Sie jedes Mal, wenn seine Eltern die inzwischen gemeinsame Wohnstatt verlassen haben, riesige Mengen fettiger Speisen verklappen müssen, die Sie nicht essen und überhaupt niemand zu sich nehmen würde, der noch nicht 70 ist und kein Teilnehmer eines Wettbewerbs, bei dem es um den höchsten Cholesterinspiegel Berlins geht.

Dann aber ist es soweit. Denn eines Tages kommen Sie nach Hause, krumm und schief von des Tages Last, und finden einen Benachrichtigungszettel vor, wie Paketdienste sie hinterlassen, wenn keiner zu Hause ist. Mit dem Zettel in der Hand gehen Sie zu den Nachbarn, die Nachbarn überreichen Ihnen ein riesenhaftes, aber verhältnismäßig leichtes Paket, und mit diesem Paket betreten Sie Ihre Wohnung. Sie wundern sich. Sie haben gar nichts bestellt.

Das Paket, wie Sie bei genauerer Untersuchung feststellen müssen, stammt aus einem Hannoveraner Geschäft, welches sogenannte Heimtextilien und Miederwaren führt. In Hannover gibt es so was noch. In dem Paket befinden sich zwei Bettdecken und eine Rechnung. Diese Rechnung sollen Sie bezahlen, unter den Decken sollen Sie schlafen, und weil es nur zwei Menschen auf Erden gibt, die in Ihrem Namen einfach so Hannoveraner Bettdecken bestellen, rufen Sie (nein, eigentlich Ihr Gefährte) auf der Stelle seine Eltern an.

Was das soll, fragt dieser mit der Direktheit, die nur ein Sohn des Hauses aufbringt. Man brauche keine Decken. Man schlafe ausreichend bedeckt, man habe genug Zeug auf den 85 qm, auf denen man sich ohnehin mehr schlecht als recht zusammenquetscht, weil man zu faul ist umzuziehen, und außerdem habe man es nicht gern, wenn über den eigenen Kopf hinweg Anschaffungen getätigt würden.

„Aber sie waren so günstig!“, entgegnet die ganz und gar nicht schuldbewusste Mutter ihrem Sohn. Dies möge zutreffen, antwortet jener. Indes sei nicht alles, was günstig sei, auch willkommen. Nicht einmal jede Aquisition, welche ein hervorragendes Verhältnis von Qualität und Kaufpreis aufweise, müsse deswegen auch getätigt werden, und daher werde man weder die Rechnung bezahlen noch die Decken abnehmen.

Die Rückabwicklung allerdings hat ihren Preis. Denn lang sind des geschätzten Gefährten Arbeitstage, Sie selbst arbeiten eigentlich auch immer, und wenn Sie abends nicht mehr arbeiten, arbeitet auch keine Post. Am Samstag hätten Sie zwar Zeit, aber keine Lust, die sperrige Sendung aufzugeben. Die Eltern sollten das Paket selber abholen und benutzen, dies aber hätte den Nachteil ihres wahrlich strapaziösen Besuchs, und so wuchtet Ihr Gefährte die Bettdecken samt Umverpackung erst einmal auf Ihren Kleiderschrank. So vergehen Wochen. In diesen Wochen bezahlt seine Mutter die Bettdecken bei dem versendenden Geschäft. Ansonsten passiert diesbezüglich nichts.

Am 9. August dann ruft seine Mutter an. Seine Mutter ruft ständig an, möglicherweise ist der Telephonapparat eigens für seine Mutter erfunden worden, aber aktuell hat seine Mutter ein besonderes Anliegen, denn sie wird nach Berlin fahren. Hier wird sie aber nicht ihren Sohn mitsamt seiner widerborstigen Freundin besuchen, denn aufdrängen will seine Mutter sich natürlich nicht. Stattdessen will sie per Bahn mit einer Freundin anreisen und vor Ort eine Ausstellung besuchen, welche sich mit der babylonischen Hochkultur beschäftigt, und nur an kurzen, absichtsvollen Gesprächspausen bemerken Sie, dass seine Mutter eine Einladung zum Tee erwartet.

Nun ist das Teetrinken mit der Mutter des geschätzten Gefährten nur so mittelmäßig amüsant, und so überlegen Sie für einen Moment, nur für eine Sekunde, ob es nicht nett wäre, seiner Mutter anlässlich dieser Einladung bei der Verabschiedung rein zu pädagogischen Zwecken mit dem ernsthaftesten Gesichtsausdruck der Welt das Paket zu übergeben, auf dass sie es im Zug nach Hannover transportiere.

Dann aber verwerfen Sie den Gedanken. Schließlich verschwinden seine Eltern nicht einfach so, das nächste Familienwochenende kommt bestimmt, und wenn die größten Fehler Ihres geschätzten Gefährte, denken Sie sich, 200 Kilometer weit weg in Hannover wohnen,

dann hat sich seine Anschaffung ja im Großen und Ganzen gelohnt.



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