Samstag, 28. Februar 2009

Was hat der Berti im Auto gesagt?

Irgendwann so eher in der zweiten Hälfte des Films sitzt also der Berti – Freund und Auftraggeber des Privatdetektivs Brenner (wieder gespielt von Josef Hader) – im Auto. In einem fremden Auto, und zwar hinten, auf der Rückbank. Ein paar Einheimische (der ganze Film spielt in einer ziemlich abgelegenen Gegend der Steiermark) haben ihn mitgenommen, und weil es zu einer Faschingsfeier geht, sind alle, bis auf den Berti natürlich, wüst verkleidet. Fürchterlich sehen die Einheimischen aus und viel spricht dafür, dass das auch unverkleidet so wäre. Alle miteinander wirken leicht deformiert, ein wenig brutal, billig, plump und grell, und so fahren sie also zum Löschenkohl, einem durch den gleichnamigen Wirt betriebenen Landgasthof, berühmt für seine Hendln, um da mal so richtig zu feiern. Immer mehr Leute setzen sich ins Auto, so viele, dass man kaum glauben kann, dass das geht, und dann sagt der Berti irgendetwas, von dem ich annehme, dass es sich auf die Situation in dem herzlich überfüllten Wagen bezieht.

In diesem Moment aber habe ich nicht aufgepasst. Vielleicht hat der J. zu meiner Linken etwas gesagt, vielleicht die C. auf dem Sessel rechts ihre wahrlich grässliche und zudem abstrus teure Burritotasche kommentiert, die sie sich vorm Kino in dem Tapas-Laden rechts unten in der Kulturbrauerei mitgenommen hat, und so ist mir entgangen, wieso die Steirer den Berti aus dem Wagen werfen. Ein blaues Auge hat er auch, als er sich auf der Straße wiederfindet und geht zum Löschenkohl über die verschneiten Straßen durch den Wald sodann zu Fuß.

Angekommen wird es dann wahrhaft finster. Oder vielmehr bunt. Sehr bunt und sehr laut dazu. Wer schon immer eine gesunde Abneigung gegen die robuste Seite des Landlebens hegte, wo die Alleinunterhalter die Hendlstation rocken, wird hier vollauf bestätigt. Wer auch immer den Film ausgestattet hat, hat das Landleben mit ebenso großer Präzision wie - wie ich vermuten darf - Abneigung studiert. Zumindest hinsichtlich der Schankräume darf man sagen: Das Portrait ist voll und ganz gelungen. Wer unter den Besuchern dieses Films zudem Fleischspeisen gegenüber ein gewisses Grundmisstrauen hegt, wird wohl gleichfalls zustimmend nicken, selbst wenn in der Knochenmahlmaschine des Gastwirts Löschenkohl gerade einmal nur Hühnerreste und keine menschlichen Überreste zerkleinert werden, um dann abtransportiert und anderen Hühnern zum Verzehr vorgeworfen zu werden.

Weil es sich bei dem – sehr, sehr lustigen und schön grotesken – Film um einen Krimi handelt, geht es bei dem ganzen Treiben zunächst einmal um die Frage, wo der Leasingnehmer eines Wagens abgeblieben sei, und ob der Privatdetektiv Brenner ihn für besagten Berti findet. Sodann geht es um eine eher zufällig aufgedeckte Erpressung, es geht um mehrere Tote, einen unfähigen Erben und seine derb-attraktive Frau (die großartige Brigit Minichmayr aus der Volksbühne). Am Ende aber geht es um die Liebe, um eine Frau, die der Gastwirt Löschenkohl liebt, um die Vergeblichkeit dieser Liebe wie jeder anderen auch, um die blutige Suche nach dem Ankommen in fremden Armen und den Opfern, die es kostet, geliebt zu werden oder zumindest: Sich geliebt zu glauben.

Dass am Ende alle leer ausgehen, bedarf da kaum noch einer Erwähnung, denn die Liebe wird niemanden retten. Nicht einmal im Film.

Der Knochenmann
Österreich, 2008

Mittwoch, 25. Februar 2009

Das Leben mit Troll

Leider ist es offenbar einer mir bekannten, wenn nicht sogar befreundeten Dame auch diesmal nicht gelungen, den Mann fürs Leben zu finden. Dabei ließ sich alles gut an: Man lernte sich kennen. Man gefiel sich. Man zog – keine sechs Monate ist es her – sogar zusammen und kaufte gemeinsam einen Küchenschrank, eine Waschmaschine, mehrere Garnituren Bettwäsche und lebte alles in allem recht zufrieden selbzweit. Zwar war der Herr ein wenig stubenhockerisch veranlagt, die Dame glich dies indes auf eigene Faust aus, und am Sonntagmorgen lag man glücklich gemeinsam im Bett und las in der FAS.

Das alles ist nun vorbei.

Vor einigen Tagen erwachte also die Dame des Hauses mit einem Kratzen im Hals. Das Kratzen verstärkte sich, Husten trat hierzu, die Körpertemperatur stieg an, und auf eine Krankschreibung hin blieb die Dame – wir wollen sie R. nennen – zu Hause. Zwei Tage schlief die R. eigentlich den ganzen Tag. Am dritten Tage las sie ein bisschen in herumliegenden Illustrierten, am vierten fing sie an zu telefonieren, und abends surfte sie ein bisschen im Internet. Unter anderem suchte und fand sie eine Seite, auf der eine ortsansässige Hutmacherin eigene Kreationen feilbot, die ziemlich gut aussahen und gar nicht so teuer waren, wie man es von handgemachten Hüten generell glaubt.

Am fünften Tag fand die R. diese Seite aber nicht wieder. Sie versuchte es mit ein paar verschiedenen Suchbegriffen wie „Hut kreativ Berlin“ oder so, aber die Hüte waren weg und entzogen sich ihren suchenden Blicken. Die R. war enttäuscht und schlief noch ein bisschen. Am Nachmittag aber fielen der R. die Hüte wieder ein. Erneut öffnete sie den Rechner, erneut suchte sie nach den Hüten, und dann fiel ihr ein, dass die Wege des Herrn zwar unergründlich, die Wege der Sterblichen durch das weltweite Netz aber ziemlich gut dokumentiert sind. Sie öffnete also den Verlauf.

Die Hutseite fand sie schnell. Was sie aber außerdem fand, waren zahlreiche Besuche in irgendwelchen Foren, die etwas mit Spielen und Filmen zu tun haben, und manche Foren, deren Besuch gleichermaßen verzeichnet worden war, beschäftigten sich mit eigentlich nichts., zumindest mit nichts thematisch gebundenem. Ihr das Notebook außerdem und eigentlich hauptsächlich nutzender Freund verbrachte seine Freizeit offenbar ganz gern im angeregten elektronischen Gespräch.

„Das ist doch besser als auf irgendwelchen Seiten mit n*ackten Frauen.“, gebe ich zu bedenken. Die Welt habe schon von unangenehmeren Hobbies gehört. – Indes, wird mir entgegnet, sei das noch nicht alles. Denn natürlich habe die R. die Foren unverzüglich aufgesucht und zumindest teilweise gelesen.

Ziemlich schnell fand sie ihren Freund. Der Nickname war der seines alten Plüschhasen, die Daten der jeweils kommentierten Kinobesuche stimmten, und auch die Schilderungen aus dem gemeinsamen Leben spiegelten die Realität halbwegs zutreffend wieder. Der Zurückhaltung, die sie an ihrem Freund immer als eher schätzenswert erlebt hatte, schien dieser im Netz allerdings ganz und gar nicht in derselben Weise anzuhängen: Seine Beiträge als pointiert anzusehen, wurde mir berichtet, sei schon eher euphemistisch. Auch der Begriff der Polemik bringe es noch nicht ganz auf den Punkt. Ihr Freund, so die R., sei vielmehr ein Troll. Ein Forentroll in des Wortes wahrster Bedeutung.

Und mit einem Troll wolle sie nicht ihr Leben verbringen.

Samstag, 21. Februar 2009

Vom Ende der Welt

Anlasslos eigentlich stelle ich mir vor, die Welt ginge unter. Von einem Tag auf den anderen verschwänden Buchstaben, verblassten in den Büchern und würden beim Sprechen auf einmal nicht mehr gefunden. Erst fielen nur wenig genutzte, selten vermisste Lettern ins Nichts. Das „X“ etwa. Oder das „Q“. Dann aber beschleunigte sich der Verfall, das „G“ schwände dahin, eines Tages das „T“, die Vokale gar, und angstvoll liefen die Menschen stumm durcheinander.

Eines Morgens wären alle Katzen nicht mehr da. Die Pferde zerflössen als blutiger Schaum in den Ställen. Die Kühe aber stünden noch Wochen auf den Weiden, schaukelten mit den Köpfen und vergäßen, dass das Gras zum Fressen da, und das Wasser trinkbar sei. Den Menschen selbst verliefen erst die Gedanken wie flüssige Farben im Ausguss. Schmerzlos, weit jenseits von Wort und Gedanken, säßen viele des Nachts in den Ecken und betrachteten glucksend die eigene Hand. Am Tag danach blieben manche liegen und verhungerte binnen Tagen im Bett. Andere vergäßen zu atmen. Manche Herzen schlügen abends um sechs nicht mehr weiter. Die Toten liefen dann noch ein paar Tage herum.

Die Töne blieben aus. In den Oktaven klafften Lücken: Schmerzhafte Momente der Stille. Die Farben der Welt würden verschwimmen, komprimierten zu immer weniger Variationen, und auch der Raum selbst würde mürbe, fadenscheinig und fiele zusammen. Löcher täten sich auf, die keiner mehr sieht, bis am Ende die Erde zittern würde, und die Brandung sich ein letztes Mal an den Steilküsten bricht. Hell würde es werden, sehr hell, wenn alle Zeit ein Ende hätte; und der Geist Gottes schwebte über den Wassern.

Freitag, 20. Februar 2009

Überdruss

Wie man hört, reicht dieses Jahr rezessionsbedingt das Bruttoinlandsprodukt nicht mehr aus, den Frühling zu finanzieren. Das Bundeskabinett berät erfolglos über die Verstaatlichung der Jahreszeiten, von der man sich eine optimierte Bewirtschaftung derselben verspricht. Die Subventionierung im Rahmen des Konjunkturpakets wird - so die Wirtschaftsweisen - erst mit Verzögerung von einigen Monaten Wirkung zeigen, und entgegen der in der Bevölkerung weit verbreiteten Ansicht, auch hieran sei der Klimawandel auf verschlungenen Wegen, die irgendwas mit dem Golfstrom zu tun haben, schuld, geht nach Ansicht von Experten vollkommen fehl.

Man erwartet eine Erholung nicht vor Mitte Mai, möglicherweise erst im Frühjahr 2010.

Dienstag, 17. Februar 2009

Nach Hause

Sich auf der Treppe, auf dem roten Sisal zwischen der Haustür und dem vierten Stock ausmalen, wie das wäre, wenn man klingelt, und es würde aufgetan. Was ich sagen würde, stünde man mit offenen Armen in der Tür, strahlte man mich an, und die Kerzen würden brennen und warmes Brot mit Salz und Kümmel stünde auf dem Tisch.

Wie das wäre, wäre ein Bad eingelassen und Blumen stünden in der leeren Vase auf dem Bord. Der Duft nach deinem schwarzen, lockigen Haar, und der Geruch am Morgen, in der kleinen Kuhle zwischen Schulter und Hals. Liefe Musik. Spräche jemand mit mir über die wundgerissene Schönheit der Stadt, des wiedergeborenen Winters, vielleicht vom wehenden Schnee und striche mir sanft, mit warmen, offenen Händen über das Haar, über den Rücken, und zählte meine frierenden Finger bis zehn, bis ich fast sicher wäre, dass alles noch da und alles in Ordnung wäre, was es auch sei.



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