Donnerstag, 13. August 2009

Elektrolyse

Dienstag abend schlagartig eingeschlafen. Hinter der Pforte des Schlafs zurück ins Bad. Diesmal vor dem Spiegel Bilder auf meiner Haut bemerkt: Kleine Grotesken, farbig und ornamental wie im Inneren florentinischer Paläste. Für einen Moment recht zufrieden gewesen mit meinem Aussehen, aber dann doch erst skeptisch, verzweifelt sogar ob des Termins am nächsten Morgen um zehn. Ich würde mich sorgfältig bedecken müssen, wurde mir klar. Man sollte etwas gegen die Bilder tun.

Unmittelbar danach auch schon die Klinik erreicht. Ein wenig industriell, riesige Blöcke aus Beton. Gleichwohl alles sehr sauber, mintgrün und weiß, und auch die Schwestern und Ärzte rosig und frisch und allesamt haarlos. Vermutlich ist das steriler. Der Empfang war freundlich und professionell.

Eine kurze Verwirrung umgibt den Prozess der Desinfektion. Es muss etwas schiefgelaufen sein, denn irgendwie zog es mich in der Schleuse kurz nach oben, dann ließ der Sog nach und ich fiel hart auf ein Bett. Aus irgendwelchen Gründen zog das medizinische Personal mit farblosen Stiften alle Bilder sehr sorgfältig nach.

Schließlich wurde ich zur Elektrolyse geführt. Die Ärzte sangen mehrstimmig wortlose Lieder, das Licht ging an, und mehrmals führte man mich um einen schneeweißen Trichter. In der Mitte klaffte ein Loch. Mehrere Personen schnallten mich fest. Von der Decke fielen Seile. Befestigt und mit kleinen, rosa Stöpseln in den Ohren zog man mich hoch. Lampen flackerten, es klingelte und brummte, und als ich mit den Füßen in die Öffnung geriet, kribbelte meine Haut, wurde heiß, riss (glaube ich), und im Hintergrund lachten die Ärzte und Schwestern ausgelassen und laut und etwas albern.

Schlagartig aufgewacht. Zurück ins Bad. Die Bilder immerhin wunschgemäß allesamt verschwunden.

Dienstag, 11. August 2009

Rauche, Mädchen, rauche

Am Samstagabend habe ich gar nicht so arg viel geraucht. Drei oder vier Zigaretten vielleicht auf dem Sommerfest, das der J. und ich um elf verlassen haben. Zwei oder so vor dem Visite ma tente. Die letzte - das weiß ich ganz genau - habe ich halb geraucht ausgedrückt. Gut hat sie nicht geschmeckt, obwohl der Abend so schön war: Warm und leuchtend auf den Stühlen vor der Bar. Dazu ein Martini auf Eis.

Am Sonntag mochte ich nicht rauchen. Manchmal ist das so, eher selten, und dann ekeln mich alle meine Aschenbecher ein bißchen, sogar der weiße, rechteckige aus Porzellan und mein Lieblingsaschenbecher aus javanischem Messing. Den ganzen Tag hatte ich nicht einmal Lust aufs Rauchen, und als ich draußen war, mit dem M., der M. und dem J. im Mauerpark zum Karaoke, hatte ich nicht einmal Zigaretten mit. Montag habe ich auch nicht geraucht. Heute eine, weil ein Kollege nicht allein rauchen wollte. Geschmeckt hat sie nicht.

Das ist ja großartig, Frau Modeste, höre ich es nun schon aus dem Netz rauschen. Mit dem Rauchen aufzuhören, ist ja sehr populär. Indes: Nichts auf Erden gibt es einfach so und ohne bittere Dreingabe. Denn hier, meine Damen und Herren, sitze ich, löffele Kartoffelsuppe, sortiere mich nach meiner wie üblich etwas zu späten Heimkehr aus dem Büro vor vierzig Minuten und nichts fällt mir ein. Nichts. Heute bleibt dieses Blog leer. Dabei war gestern und heute nicht weniger los als sonst. Dabei habe ich letzte Nacht sogar etwas besonders Bizarres geträumt. Aber ohne den weißen Rauch, ohne das Knistern von Tabak, ach: ohne die langsamen, trägen Züge fällt mir nichts ein, was zu erzählen sich lohnt. Vielleicht schmeckt es morgen wieder.

Sonntag, 9. August 2009

Die Anderen

Ab und zu spreche ich mit Leuten, die sich beruflich mit Politik beschäftigen, und die Gespräche verlaufen dann oft ein wenig ungut: Ich sage, was ich über irgendetwas denke, und mein Gegenüber verweist auf die Anderen. Die Anderen, die das, was ich will, nicht wollen. Die Anderen finden etwa, wie ich bisweilen höre, Arbeitsplätze seien wichtiger als Ökologie. Sie finden Protektionismus gut. Sie sind stolz auf deutsche Autos. Sie haben mehr Angst vor Kriminalität als vor einem Polizeistaat. Alle diese Annahmen teile ich nicht, aber wie man mir sagt, komme es auf meine Überzeugung nicht an. Die Anderen seien nämlich zahlenmäßig viel, viel stärker als Leute, die ähnlich denken wie ich, und deswegen seien Leute wie ich als Wähler im Grunde zu vernachlässigen.

Dies allein wäre nun an sich unproblematisch. Es gehört zum Wesen einer Demokratie, dass Minderheiten sich selten durchsetzen. Zum Problem wird der Glaube an die Anderen aber durch die Annahme, die Anderen seien ein bißchen blöd. Diesen Hinweis höre ich öfters, etwa, wenn ich das Niveau der politischen Auseinandersetzungen als einen der Gründe benenne, weshalb ich mich mit Politik ungern beschäftige. Mir ist - neben der Abwesenheit wirklicher Diskussionen - zudem die Inszenierung von Politik unangenehm, das Anbiedern, die Schauspielerei, der Politiker (im besten Fall ein Visionär, im schlechteren der unbegabte Leiter einer Behörde) sei eigentlich ein Jedermann und unterscheide sich nicht von seinen Wählern. Ich leide bei derlei Bildern stets ein wenig an der mit Händen zu greifenden Herablassung, die aus solchen Szenen spricht. Die Anderen, sagt man mir, wollen das aber so. Die Anderen wollen Politiker zum Anfassen (wie man so sagt), die auch in der Schrebergartenkolonie eine gute Figur machen. Die Anderen merken dabei angeblich nicht, dass man sie sehr sichtbar nicht als Gesprächspartner auf Augenhöhe betrachtet.

Für die Politik bedeutet dieser Glaube an die Beschaffenheit der Anderen eine große Versuchung, der sie keineswegs standhält. Gilt der größere Teil der Bevölkerung als dumm, so muss und kann das politische Handeln ihnen gegenüber nicht mehr verteidigt, diskutiert und gerechtfertigt werden. Wer glaubt, seine Wähler seien zu dumm, um überzeugt zu werden, wird um so mehr Kinder tätscheln, markige Rede halten oder derlei Dinge mehr. Nimmt man an, der Rest der Bevölkerung sei möglicherweise normal intelligent, aber zu klein, um Wahlen zu entscheiden, so wäre es unökonomisch, die Diskussion mit diesen Leuten zu führen.

Politik wird durch das Axiom der Dummheit der Anderen damit ein unernstes Geschäft, ein bißchen wie Waschmittelwerbung oder das Self-Marketing von Fernsehschauspielern. Diese dem Ernst der zu klärenden Fragen letztlich unangemessene Leichtigkeit ist dem politischen Betrieb nun aber nicht peinlich. Aus irgendwelchen, von außen schlecht durchschaubaren Gründen, ist man vielmehr stolz auf die Annahme, Wahlen würden durch Manipulation dummer, eher ressentimentgetriebener, jedenfalls ein wenig subalterner Menschen gewonnen. Es mag sein, dass hierbei ein gewisses Überlegenheitsgefühl mitspielt, und wie immer, wenn eine These für denjenigen, der sie vertritt, sehr angenehm ist, wird am Glauben an die Dummheit der Anderen auch dann festgehalten, wenn er sich in der Praxis nicht bewährt, und die Anderen nicht dankbar, sondern ablehnend reagieren, wenn die Politik ihre vermeintlichen Affekte bedient: Statt das Axiom von der Dummheit der Anderen fallenzulassen, nimmt der politische Betrieb an, man sei ihr entweder noch nicht weit genug entgegengekommen, oder die Anderen hätten - dämlich wie sie sind - die Erfüllung ihrer Wünsche durch die Politik nicht verstanden. Das ist dann der Zustand, in dem das Schlagwort vom Vermittlungsproblem fällt.

Dass es aber möglicherweise die Anderen in dieser Form nicht gibt, dass die Mehrheit der Leute, die wählen gehen, großmütiger, mutiger, weltoffener und kreativer sind, als ihnen die Gewählten und ihr Tross zutrauen, dass Leute oft dann klug reagieren, wenn man ihre Klugheit anspricht: Dass bezeichnet der Betrieb gern kopfschüttelnd (aber Modeste!) als ein wenig naiv.

Ich glaube aber trotzdem, dass es stimmt.

Donnerstag, 6. August 2009

Nett

Nett, denke ich und schaue mir im Weinbergspark die Männer an, wie sie träge auf ihren Decken liegen, Bier oder Bionade trinken und rauchen, telephonieren oder mit kleinen Kindern spielen. Fast alle sind so circa 30. Die meisten sehen okay aus, ganz gut im besten Fall, und im schlechtesten immer noch so, dass es keine Frechheit darstellt, wenn sie das Hemd ausziehen und blinzeln halbnackt in die Sonne. Gute Sonnenbrillen haben die meisten und fast keiner hat Haare auf der Brust, weil man das gerade nicht so trägt.

Reizende Leute, denke ich mir und zünde mir eine Zigarette an. Fast alle hören ordentliche Musik, haben anständige Ansichten über die meisten Dinge im Leben, sind hinreichend klug und wissen ihre vernünftigen Ziele von den unvernünftigen zu unterscheiden. Die meisten sind ein bißchen träge. Wenn sie Frauen treffen, erklären sie sich und ihre Empfindungen, manche machen Musik daraus, einige schreiben ironische Lieder, und wenn man sie einmal trifft, nachts um drei: Sie diskutieren über Gott und die Welt und die Gesellschaft und alle diese Dinge.

Wirklich nette Jungs, gähne ich ein bißchen, weil ich schlecht geschlafen habe letzte Nacht mit zwei tobenden Katzen in der Küche, und frage mich, ob die Männer auf den Decken im Park eigentlich so sein wollen, wie sie sind, oder ob sie heimlich, ganz allein zu Hause vielleicht, davon träumen, die Muskeln spielen und die Kiefer krachen zu lassen, statt zu schreiben oder zu singen Heldentaten zu vollbringen, Frauen ohne viele Worte unanständige Anträge zu machen, und einfach aufzuhören, sich die Haare auf der Brust zu entfernen, und warum sie, falls sie das wollen, das nicht ab und zu einfach tun.

Man weiß sehr wenig über Männer, fällt mir auf, mit meinem doppelten Espresso im Pappbecher im Weinbergspark, und lächele ein wenig ins Leere, denn die netten Jungs lächeln mich nicht an, und ich weiß nicht, ob sie nicht wollen, oder ob sie es nur nicht tun, und wieso eigentlich nicht, am Donnerstag abend zwischen sieben und acht oder auch zu ganz anderen Zeiten.

Dienstag, 4. August 2009

Früchte

Im Stockwerk über dem Atelier ist es still. Unten holt eine ganze Familie ein Bild ab, ein Mann lässt sich offenbar portraitieren und bespricht, wie er gemalt werden will, und die Frau des Malers verpackt mein Bild ordentlich zum Mitnehmen. Schön sieht es aus, eine schlanke Frau in kurzen Hosen, wie sie im Sommerlicht auf der Straße steht und konzentriert mit etwas hantiert, was ein Telephon sein könnte. Nach Hitze sieht das Bild aus, nach dem Sommer in der Stadt, den ich liebe. Nach Asphalt, Benzin und Staub und jenem Zauber, der den Berliner Sommer leuchten lässt, als sei alles möglich und jeder Rausch nur einen Lidschlag entfernt.

Ich könne mich noch etwas umschauen, werde ich aufgefordert, und wandere von Bild zu Bild. Es ist kühl hier, Hochparterre im Gartenhaus, und auch ohne die roten Vorhänge aus Samt sähe der Raum aus wie aus anderen Zeiten. Hier säße ich gern und würde lesen, denke ich mir und ziehe den Dunst von Ölfarben ein, den ich mag und mit etwas verbinde, was weiblich ist, etwas von Federn und Pflanzen, langen Perlenketten und - wer weiß, woher - weichem, grünem Gras.

Gras gibt es hier nicht, aber eine Eberesche steht im Hinterhof und leuchtet durch die alten Fenster. Eine gemalte Frau steht vor mir bis zur Hüfte im Licht, ein Café liegt im kühlen Schatten, aber ein Bild sehe ich, das des Lichts nicht bedarf. Es zeigt keine Menschen, keine Tiere, keinen Raum. Nur ein weißes Tuch, eine Karaffe, halb nur ausgeführt, und rund um das Glas Früchte. Pfirsiche liegen um das Glas herum, samtig manche, manche flach aus den Weinbergen, manche rund, wie sie am Mittelmeer wachsen, beschattet von Zypressen und unweit dem Meer.

Eine Sehnsucht ergreift mich nach diesen Früchten. Eine schwere, schwingende Gier nach der weichen, stumpfen Haut, dem Geruch kurz vor der Fäulnis, dem Übermaß an Süße, das den ganzen Mund füllt, und nach dem klebrigen Saft. Pfirsiche möchte ich essen, denke ich mir (doch das kommt nach Lage der Dinge nicht mehr im Betracht), und dieses Bild, dieses Bild muss ich haben. Nächsten Samstag vielleicht.



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