Mittwoch, 26. August 2009

Heiraten

"Oh nein!", sage ich und verkneife mir das Lachen. Immerhin geht es um die Schwester der K., deren Freund ihren Heiratsantrag abgelehnt hat. "Oh doch.", nickt die K. zur Bestätigung und lacht nun selber. Die Szenerie sei, entschuldigt sie sich bei der abwesenden Schwester, einfach zu komisch gewesen.

Wieso die Schwester nicht einfach abgewartet hat, bis ihr Freund von selber fragt, weiß die K. leider auch nicht. Vielleicht hat er sich allzu lange Zeit gelassen, möglicherweise hat die Schwester auch gedacht, er warte nur auf einen beherzten ersten Schritt seiner Freundin, aber wie auch immer: Sie kaufte einen Ring. Sie kaufte Champagner. Sie lotste ihren Freund auf die Pfaueninsel, die leider nicht leer war letzten Sonntagmorgen, und irgendwo zwischen den Schlösserattrappen Friedrich Wilhelm IV. fiel sie auf die Knie.

"Das ist ja schon eher ungewöhnlich.", kommentiere ich diesen seltenen Akt der Emanzipation und kaue mein Pad Thai besonders gründlich, damit auch eine halbe Portion reicht. Ich will zwar nicht heiraten, aber so fett, dass ich auch niemals heiraten könnte, möchte ich nun auch nicht werden.

Der Freund der Schwester stand wohl eher etwas hilflos vor seiner Freundin und sah sich um. In einiger Entfernung sahen andere Spaziergänger neugierig zu dem Paar herüber. Er versuchte sie aufzuheben, aber sie schüttelte entschlossen den Kopf. Es gebe etwas zu besprechen. Dann zückte sie den Ring.

Nun sind die Schwester und ihr Freund nicht erst seit gestern ein Paar, und vermutlich kennt er die Neigung seiner Freundin zu unkonventionell energischem Auftreten. Ihre Schwester, behauptet die K., sei nämlich generell eher etwas forsch. Einen Heiratsantrag hatte er gleichwohl offenbar nicht erwartet, denn er wich angstvoll einige Schritte zurück, schüttelte erst einmal, dann ganz oft den Kopf, und dann ging er einfach weg.

Den Champagner hat die Schwester dann allein getrunken. Wie auch immer es ihr gelungen ist, diesen Affront zu verzeihen: Man bleibt bis auf Weiteres ein unverheiratetes Paar. Den vorsorglich reservierten Festsaal hat sie abgesagt.

Dienstag, 25. August 2009

Am Strand

Strand ist ja nichts für mich. Man kann sich das im schlechtesten Fall nicht übel genug vorstellen: Man liegt also auf einer Liege, lauter dicke, rote Menschen trampeln an einem vorbei, trinken knallbunte Getränke, und ab und zu kommt eine fiepsige Animateurin, die künstliche Fröhlichkeit verspritzt. Abends gibt es Aufläufe, billiges, paniertes Fleisch, Schaumspeisen und Leute, die sich in kurzen Hosen schlecht benehmen. Da kann man natürlich überhaupt nicht hin.

Im besten Fall ist ein Strand nur langweilig. Die ersten drei Tage ist das sehr okay, man ist müde, döst, starrt das Meer an und liest Bücher nicht in Häppchen aus dreißig Minuten, sondern ein paar Stunden am Stück. Das Hotel ist so ruhig wie eine Palliativstation mit gut sedierten Patienten. Das Essen wird sorgfältig zubereitet und serviert: Ich bin kein großer Freund von Buffets. Kinder gibt es maximal vier oder fünf, die irgendwo verträumt herumsitzen und mit kleinen Schäufelchen Burgen bauen und schweigen. Alle andere Leute sind gepflegt und ziehen sich ordentlich an, wenn sie etwas essen. Niemand betrinkt sich.

Nach zwei Tagen beginnt man, viel Sport zu treiben. Nach drei Tagen wird man etwas unruhig. Na, denkt man, jetzt müsste mal - es passiert aber nichts. Dann fährt man irgendwohin und besichtigt weiße Schlösser und verfallende Kirchen, antike Stadtkerne oder fremdländische Basare. Abends plant man bei einem Glas Wein den Ausflug des kommenden Tages, während irgendjemand Harfe oder Klavier spielt, und wenn man erleichtert, der Langeweile zu entkommen, wieder nach Hause fährt, hat man alles vergessen, was man über die Schlösser, Kirchen und Innenstädte erfahren hat, und fühlt sich wahnsinnig energetisch aufgeladen und erfrischt.

Mit einer gewissen Besorgnis allerdings betrachte ich den Umstand, dass nichts, was es auf Bali gibt, so subjektiv nach Besichtigung schreit. Es mag eine Schande sein, das zuzugeben, aber tatsächlich interessiert mich die Kultur der Leute vor Ort eigentlich nicht so besonders, und in meinen Augen sehen die meisten dieser Tempelanlagen schon ziemlich ähnlich aus. Immerhin esse ich gern. Ich hoffe, die Balinesen können gut kochen. Vor lauter Sorge habe ich sehr, sehr viele Bücher bestellt, möglicherweise zu viele Bücher, um sie aufpreislos durch die halbe Welt zu schleppen, und vielleicht nehme ich nun doch den Rechner mit, um im Hotel ein paar Geschichten aufzuschreiben. Strand ist ja eigentlich nichts für mich.

Donnerstag, 20. August 2009

Neu und lesbar

Andere Leute lesen das doch auch, denke ich und zwinge mich durch die Leseproben der Bücher von der Longlist für den Deutschen Buchpreises. Die ausgewählten Bücher, stelle ich fest, interessieren mich nicht die Bohne.

Vermutlich liegt's an mir, sage ich mir. Bestimmt sind die Bücher super, und nur meine Vorurteile gegen die Gegenwartsliteratur hindern mich daran, mir etwa aus dieser Liste ein dickes Päckchen für den demnächst stattfindenden Urlaub auf Bali zusammenzustellen. Bestimmt warten irgendwo Perlen auf mich, an denen ich auf den eingefahrenen Gleisen meiner Lesevorlieben einfach vorbeifahre, und doch bringe ich es einfach nicht über mich, mir bei amazon irgendetwas auszuwählen und mitzunehmen. Gerade, stelle ich fest, erscheint mir das alles nicht reizvoll, was in den letzten Jahren geschrieben worden ist, und so frage ich, sehr verehrte Damen und Herren, wiederum Sie:

Hat Sie eine Neuerscheinung beeindruckt? Oder können Sie vor irgendwelchen Lieblingen des Feuilletons nur warnen? Was soll eine wirklich diesmal ziemlich erholungsbedürftige Frau auf Bali am Strand lesen, der die Politeia zu mühsam, Krimis zu langweilig, Familiengeschichten zu oft dagewesen, Problemliteratur zu abscheulich und Paolo Coelho und Konsorten zu flach erscheinen?

Montag, 17. August 2009

Herzlich willkommen!

Sie, meine lieben Reisenden, mögen diese Stadt. Sie sitzen gern vor den Cafés am Hackeschen Markt. Sie mögen die Restaurants am Kollwitzplatz, von denen ich mich immer frage, wer da eigentlich hingeht, und Sie besuchen Orte und Attraktionen, von denen ich vermutlich gar nichts weiß oder noch nie da war. Im Reichstag beispielsweise war ich nur beruflich und auf dem Fernsehturm am Alex noch nie.

Einige Vorlieben, meine lieben Reisenden, haben Sie und ich gemein. Auch Sie mögen beispielsweise den Wochenmarkt am Kollwitzplatz und photographieren aus ungeklärten Gründen dort Stände, an denen es Brot zu kaufen gibt, Würste oder Fisch, und sicher sind Ihre Freunde zu Hause sehr, sehr begeistert, wenn Sie Bilder mitbringen, auf denen lauter Artischocken abgebildet sind. Ich würde Sie gern einmal fragen, ob es dort, wo Sie herkommen, eigentlich keine Wochenmärkte gibt, aber ich habe es am Samstagmorgen meistens eilig und für längere Gespräche daher eigentlich keine Zeit. Übrigens machen Sie mich wahnsinnig, wenn Sie so ganz, ganz langsam über den Markt schlendern und nie etwas kaufen außer vielleicht ein Stück Seife oder so, weil Sie mit einem Steinbutt oder einem Huhn ja ohnehin nichts anfangen könnten in Ihrem Hotel.

Dass Sie ein wenig Geld in diese Stadt bringen, finde ich natürlich toll. Umfangreiche Erfahrungen in unterschiedlichen Regionen haben mir nämlich die Erkenntnis vermittelt, dass Städte, in denen viel gearbeitet wird, schlecht sind fürs Gemüt. Denken Sie nur etwa an Stuttgart, Brüssel oder Frankfurt am Main. Da hebt sich Berlin natürlich sehr vorteilhaft ab. Städte, in denen kein Geld zirkuliert (Görlitz zum Beispiel oder Bremerhaven), sind aber auch kein guter Ort zum Leben, weil es da an den Dingen einfach fehlt, die man halt so braucht für ein glückliches Leben. Eine ordentliche Pâtisserie etwa. Gute Bars. Läden, in denen schöne, gut angezogene Menschen mit Geld um sich werfen. Da lobt man sich doch Berlin, wo ziemlich viele Mittel unter die Leute gebracht wird, die nicht hier, sondern sonstwo verdient wurden. Bitte geben Sie daher angemessen viel Geld aus, und zwar ausschließlich für irgendwelchen unnützen Krempel. Sie werden es nicht bereuen.

In einigen Punkten kann ich Ihr Tun und Treiben allerdings nur verurteilen. So werfen Sie Straßenmusikanten immer wieder etwas in den Hut. Beispielsweise die Zwei-Personencombo, die gestern wieder vor dem Mao Thai stand, bis die Kokosmilch flockte, gäbe endlich Ruhe, behielten Sie Ihr Geld für sich, und auch die Frauen, die Hein spielt so schön auf dem Schifferklavier auf der Zieharmonika intonieren, gehören abgeschafft und nicht entlohnt. Geben Sie besser möglichst geräuschlosen Bettlern milde Gaben, die einfach so dasitzen. Das wird eine erzieherische Wirkung auf Straßenmusikanten ausüben. Bitte geben Sie auch den Obdachlosenzeitungsverkäufern nichts, die sind auch immer so laut.

Überhaupt Ruhe: Ich will an dieser Stelle gar nicht Ihre Kinder thematisieren, die ich super finde, weil sie ausschließlich nach Berlin kommen, um zu feiern und ganz viel zu trinken. Ich finde das völlig nachvollziehbar, denn schließlich ist die Ausrichtung von Festen fast das Einzige, was hier wirklich gut funktioniert, und wenn ich dahin gehe, wo auch Ihre Kinder tanzen, weiß ich, dass es laut wird, und begebe mich meistens sogar extra dahin. Gar nicht gut finde ich es aber, wenn Sie selbst lärmen, etwa als übergewichtiger Teil eines Junggesellenabschieds, als sogenannte Kollegensause oder weil Sie und ihre Freunde glauben, die Berlinerinnen, eingeboren oder zugezogen, hätten auf Sie nur gewartet. Wer auch immer Ihnen eingeredet hat, die Frauen Berlins gingen auf Einladungen trinkfreudiger Männergruppen zum Bier gern ein: Er hat Sie belogen.

Ach, liebe Reisende. Viel gäbe es noch zu sagen. So sollten Sie (aber wo gilt das nicht) sich im Interesse eines angenehmen Straßenbildes einfach so kleiden wie immer und nicht wie jemand, der einen Berg besteigt oder eine Morast durchwatet. Seien Sie versichert: Das Dickicht der Städte ist nur so eine blöde Redensart. Wenn Sie S-Bahn fahren, sollten Sie daran denken, nicht unmittelbar hinter der Rolltreppe anzuhalten, um zu überlegen, wo Sie hinwollen, und wenn Sie etwas Typisches essen möchten, nehmen Sie bitte Abstand von Eisbein und Currywurst; das riecht so komisch und sieht auch nicht gut aus. Wenn Sie Leute ansprechen, die nicht berlinern, sagen Sie Ihnen nicht, dass Sie das enttäuscht, und wenn Sie jetzt noch aufhören könnten, auf irgendwelchen beliebigen Plätzen der Stadt aus großen Wasserflaschen Wasser zu trinken, als durchquerten Sie die Wüste Gobi und nicht den Helmholtzplatz, verzeihe ich Ihnen sogar die erhebliche Verkehrsbehinderung, die Sie verursachen, wenn Sie so bedächtig auf einer dieser Fahrradstadttouren durch die Gegend fahren, als säßen Sie das erste Mal seit zwanzig Jahren auf einem solchen Gefährt.

Ansonsten: Herzlich willkommen. Haben Sie Spaß.

Strandbad

Dass es all das noch gibt, denke ich und trinke noch etwas Wasser. Die Tafel hinter dem Kassenhäuschen, auf der die Luft- und Wassertemperatur steht. Das Riesenschach mit den alten Männern und den Buben davor. Die Kette aus kleinen Plastikbojen, die markiert, bis wohin Nichtschwimmer dürfen, und die Strandkörbe, die vielen, bunten Badetücher mit Familien drauf, die Kühltaschen, Schwimmtiere, Bälle und kleine Klappstühle mitgebracht haben. Ab und zu kommen kleine Kinder aus dem Wasser zu einem der Handtücher gelaufen, holen sich irgendetwas, putzen ihre Nasen und stecken sich etwas in den Mund, und dann sind sie wieder weg.

An einem kleinen Häuschen gibt es Pommes Frites, billige Bratwürste, Eis und Süßes. Auf ein paar Plastikstühlen sitzen rotbraune alte Männer und trinken Bier, und im dunkelgrünen Schatten der Bäume sitzen auch wir auf einem Handtuch, lesen Zeitungen, überlegen, wo und wann wir was essen und bestätigen uns, dass es eigentlich nicht so besonders schön ist hier, ein wenig schäbig und unelegant, höchstens mittelmäßig gepflegt, und doch genau richtig für uns an einem Sonntag im August, der so heiß ist wie die Sommer unserer Kindheit vor dreißig Jahren: Irgendwo in einem versunkenen Land.

Freitag, 14. August 2009

Entfernt von jenem Ort

Hey, sage ich. Ich habe doch schon vor Jahren meine Seele irgendwem verkauft, der gerade vorbeigekommen ist, und wenn ich morgens vor dem Spiegel stehe, sehe ich meinen Resten beim Zähneputzen zu. Ich habe irgendwann nachts um vier auf dem Heimweg beschlossen, dass das alles so zu reichen hat für jemanden wie mich, und jetzt beobachte ich, wie die Petrischale sich füllt mir irgendwelchem grünem Schleim, und wenn der Deckel sich hebt, fange ich an zu husten und dann bin ich tot.

Das macht nichts, könnte man sagen, denn nichts, was mich interessiert, wird die nächsten zwanzig Jahre passieren. Wer sich ausgerechnet in mich verliebt, ist selber schuld. Was ich noch imstande bin, kann man auf Papier lesen, das irgendwo abgeheftet wird, und das keiner liest. Schon in Ordnung, sage ich dazu. Und: Passt schon.
Vielleicht auch: Wozu.



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