Freitag, 17. Februar 2012

Handwarme Mittellagen

Dann aber - morgens so gegen 12.00 Uhr auf der Friedrichstraße - gefällt mir der Film auf einmal doch nicht mehr so gut, obwohl in Was bleibt alles passt, wenn Hans Christian Schmid kunstgerecht eine Familie impodieren lässt, die binnen eines Wochenendes an ihren Wahrheiten zerfällt.

Die Schauspieler - allen voran der großartige Lars Eidinger - spielen sozusagen ordnungsgemäß. Die Ausstattung des Hauses der Eltern, eines Verlegers und seiner depressiven Frau, die nach 30 Jahren auf einmal ihre Medikamente absetzt, passt bis ins letzte Detail. So wohnen Eltern eben, und so sind ihre Kinder, der erfolglose Zahnarzt und der Bruder, der Berliner Schriftsteller mit der versägten Ehe und dem Sohn, dem einzigen Enkel Zowie. Auch die Dialoge passen, die Beziehungen untereinander wirken nachvollziehbar und zwingend, und doch fehlt etwas, nicht objektiv und nach den Regeln der Kunst, aber mir, mir ganz persönlich, denn so lauwarm ist das alles, so mittelgroß und mitteltragisch und egal, dass ich auf dem Weg zum Bus den Film schon so ein wenig vergesse.

Was bleibt
Deutschland, 2012

Samstag, 11. Februar 2012

Gummibänder

Wenn ich von einer Tüte - einem Gefrierbeutel etwa - das Gummiband abnehme und stopfe es in mein Glas mit den ganzen Gummibändern zurück, dann - und nur dann - denke ich bisweilen an den H.

Ansonsten habe ich wenig Anlass, an den H. zu denken. Der H. war nämlich schon zu Zeiten unserer gemeinsamen Schulzeit nicht gerade ein enger Freund. Wir waren öfter unterwegs, das schon, wir haben viel zusammen gefeiert, wie es eben so geht, wenn man miteinander zur Schule geht, aber mit 16 existieren bekanntlich nicht so arg viele Brücken zwischen Leuten, die Bücher großartig finden, und Leuten, die finden, dass der Mensch nur in Turnhallen und auf Sportplätzen er selbst sein kann.

Der H. gehörte ganz klar zur zweiten Kategorie: Er ritt und ruderte, er spielte Basketball und Tennis, er bolzte, er jagte, er tat quasi alles, wofür man Muskeln, ein gutes Auge und Ausdauer braucht. Im 19. Jahrhundert wäre er zur Armee gegangen und ein Held geworden. Im ausgehenden 20. Jahrhundert wollte er Tiermedizin studieren, was um ein Haar an seinen desaströsen schulischen Leistungen gescheitert wäre. Vom H. erzählte man sich nämlich nicht ganz ohne Grund, er sei eigentlich so eine Art Analphabet, und übertrieb dabei nur ein ganz bisschen. Das Abitur hat er dann am Ende auch nur dank einer ganz energischen Intervention seines Großvaters bekommen, der den Direktor der Schule anrief, um ihn daran zu erinnern, was die Nation in den letzten sieben Jahrhunderten der Sippe verdankte, der der H. entsproß.

Inzwischen ist der H. schon seit fünf Jahren verheiratet. Damals (das war so circa 1997) war der H. aber noch als Student mit einer Dame liiert, die ich nicht kannte, von der man mir aber viel erzählte. Die Dame war diversen Freunden nämlich als ein wenig grobschlächtig aufgefallen, und obwohl als Tochter eines Wirtschaftswundermaschinenbauunternehmers wohl situiert aufgewachsen, ein wenig sehr sparsam veranlagt; manche würden wohl auch geizig sagen, und noch andere Leute behaupteten schlicht, die Dame habe in Sachen Geld und Besitz generell einen Knall.

Dass diese Dame, obwohl von zu Hause deutlich besser ausgestattet als der H., grundsätzlich ihn zahlen ließ, fand der H. dabei vermutlich noch fast selbstverständlich. Auch der Einkauf entlang annoncierter Sonderangebote fiel wohl noch in die Kategorie eines studentischen Spleens. Die Sache mit den Gummiringen aber schlug eines Tages dem Fass den Boden aus, und das kam so:

Irgendwann so gegen Ende der Semesterferien beschloss die Freundin des H., ihre Küche aufzuräumen, und der H. sollte helfen. Der H. half gern, der H. war und ist als gutmütig und hilfsbereit bekannt. Zusammen mit der Freundin ordnete und sortierte der H. also einen ganzen Vormittag ein wüstes Konsortium aus leeren Gläsern, Tüten, halb geöffneten Gewürzpackungen und all den Dingen, die sich in Küche so finden.

Nach und nach wurde der H. nervös. Die Angewohnheit seiner Freundin etwa, alte Plastiksäcke sorgfältig Ecke auf Ecke zu falten und aufzubewahren. Wer braucht denn 25 alte Billa-Tüten? Auch die Anordnung der Gewürze nach Alphabet wirkt auf die meisten Leute unangenehm extravagant. Als aber die Freundin mehrere Gläser hervorzog, in denenGummibänder verwahrt wurden, muss es zu einer Auseinandersetzung gekommen sein, an deren Ende der H. die Wohnung der dann Ex-Freundin verließ, um nicht wiederzukommen, denn nicht nur, dass die Freundin mehrere hundert Gummibänder in diversen Gläsern nach Größe sortiert haben wollte. Nicht nur, dass auch eine Klassifizierung nach Farben stattfinden sollte, weil die Freundin wohl so eine Art System der farblichen Zuordnung der solcherart verschlossenen Tüten entwickelt hatte. Was den H. aber wirklich schockierte und erst zu Widerspruch, dann zum Streit und schließlich zum Bruch verleitete, war der Umstand, dass die Freundin ihn zwingen wollte, ein weiteres Glas anzulegen, in dem die gerissenen Gummibänder verwahrt werden sollten, welche sie aufbewahren wollte zu einem Zweck, den sie dem H. auch auf mehrfache Nachfragen nicht verriet.

Donnerstag, 9. Februar 2012

Nora I

Nein, sage ich. Alles bestens und der Steigerung kaum mehr zugänglich, um nicht zu sagen: Perfekt. Trotz der Kälte, auch wenn es natürlich schöner wäre, man käme mal vor die Tür, ohne dabei gleich zu erfrieren.

Mit der Frau, die ich mir ausgedacht habe, geht es auch voran. Ich habe sie Nora getauft wie eine Puppe, die ich mit fünf einmal hatte, und sie in den Sommer 2011 gesetzt. Es ist also warm in Berlin, und die Nächte schimmern.

Um auszuprobieren, ob ich das kann, erzähle ich gerade von ihrem ganz vergeblichen Flirt mit einem netten Professor nicht von vorn nach hinten, sondern auf vier verschiedenen Zeitebenen. Alles spiegelt sich, alle Wände der Geschichte werfen Lichter vor und zurück, und auch wenn ich so etwas eigentlich nicht recht gern lese, macht es Freude, Satz für Satz den an sich ganz simplen Gang der Handlung aus allen Richtungen zusammenzubauen, bis - so die Hoffnung - am Ende alle Stränge ineinander verflochten fugenlos von einem kleinen Zusammenstoß von Leichtfertigkeit und Ernst erzählen, der mit einem Missgeschick beginnt und mit Gin Tonic endet.

Dienstag, 24. Januar 2012

Allumfassende Misere

"Diese Dunkelheit.", ächze ich. Die Dunkelheit ist fast das Schlimmste. Man wacht morgens auf und zwischen den Häusern wabert so ein dünnes, milchiges Licht, dass einem komplett die Lust vergeht, jetzt aufzustehen und rauszugehen und sich dieser Lichtlosigkeit auszusetzen, so ein bisschen, wie man Skrupel hat, in schmutziges, brackiges Wasser zu steigen.

Zu alledem weiß ich nichts mit mir anzufangen. Gut, bis letzte Woche habe ich noch ziemlich viel gearbeitet. Das war aber gar nicht übel. Ich bin alles in allem schon eher ein Arbeitstier und halte es schlecht ohne einen randvollen Tagesplan aus. Ich verkomme dann immer relativ fix , so wie früher gegen Ende der Semesterferien, wenn ich irgendwann wirklich alles erledigt hatte und mir nichts blieb außer bis morgens auszugehen und bis mittags zu schlafen. Nach spätestens drei Tagen habe ich mich dann immer irgendwie räudig gefühlt und war froh, wenn das Semester wieder losging. Aus diesem und keinem anderen Grunde habe ich als Studentin nicht einen, sondern vier Wahlfachscheine und drei Grundlagenscheine und noch so ein bisschen Krempel in anderen Fakultäten abgelegt. Manche halten mich bis heute für fleissig; in Wirklichkeit kann ich mich schlicht allein nicht beschäftigen.

Die fremde Frau, die ich mir ausgedacht habe, um mich sozusagen an ihrem Amusement zu ergötzen, hat auch nicht so richtig Spaß. Ich schicke sie kreuz und quer durch Berlin, ich mag sie auch ganz gern inzwischen, aber wie bei jedem längeren Text fallen mich die Qualitätsmängel des Konzepts nach zwanzig Seiten an und ich fühle mich irgendwie mies, so einen Schrott zu verfassen. Dabei geht es hier gar nicht um Literatur. Aber weder weiß ich, wie ich die gute Frau am Ende des bisher acht Kapitel umfassenden Konzepts vergeblicher Bemühungen um mehr Lebensfreude wieder verabschiede, noch ist mir klar, wie man den Leser davon abhalten soll, sich genauso zu sehr langweilen wie ich. Dabei ist an Leser überhaupt nicht zu denken, ich schreibe nur so ein bisschen vor mich hin, aber die schiere Existenz des Qualitätsmaßstabes guter Unterhaltung lähmt mich und macht mir schlechte Laune.

Überdies schlafe ich schlecht. Ich kann mich nicht bewegen. Ich wollte Samstag ins reinstoff, aber da war ausreserviert. Im E. T. A. Hoffmann war das Essen dann auch ganz gut, aber natürlich nicht genauso großartig. Vorgestern auf dem Weg zum Fondue bei der M. und dem M. ist mir ein Absatz abgefallen, und ich habe keine Lust jetzt loszulaufen und die reparierten Stiefel abzuholen. Ich war doch schon gestern am Alex, bekanntlich einem der hässlichsten Plätze Europas. Zwei Tage hintereinander ist schon ästhetisch ein bisschen viel.

Verabredet bin ich erst um acht, da liest Jan Brandt irgendwo in Mitte aus seinem ziemlich dicken und ganz guten Roman. Ich habe Appetit auf Ananas, aber keine Lust, jetzt welche zu kaufen und zu schälen. Ich könnte irgendwo hingehen und mit Leuten sprechen, aber wenn man so mies gelaunt ist, wie ich heute, bringt das erfahrungsgemäß nicht viel, und nicht einmal das Internet vollzuschreiben macht gerade besonderen Spaß.

Mittwoch, 18. Januar 2012

Ideal und Wirklichkeit

"Ein Stück Gerechtigkeit, meine Liebe.", kommentiert der K. und balanciert ein großes Stück Camembert auf einem schmalen Stück Baguette vom Teller zum Mund. Es ist kurz nach 10.00 Uhr. Das Fleury ist voll.

"Das soll gerecht sein?", klage ich an und weise mit dem Kopf auf die dünnen, fluffigen Jungs beim Frühstück zwischen den Kissen des Cafés, denen ich beim besten Willen auch nach einem Liter Gin Tonic nicht zutraue, nachts um drei richtig wild zu werden. Ich fürchte, Nina Pauer hat recht. Das allerdings streitet der K. gar nicht ab. Es sei nur mit den Frauen ganz genau dasselbe.

Schon seit Generationen - wenn nicht seit Einführung des Patriarchats - gebe es nämlich auch bei den Frauen eine bedauerliche Abweichung von Wunsch und Wirklichkeit. Der Mann (wenn man denn einmal so pauschalisieren dürfe) träume von Gilda, Marlene, Lulu. An seiner Seite aber wackele faktisch Heidrun mit dem breiten Becken, Doris mit der praktischen Kurzhaarfrisur oder Katrin, die patente Grundschullehrerin durchs Leben. "Verkopft, gehemmt, unsicher, nervös und ängstlich" seien vielleicht die Männer. Phantasielos, breithüftig, praktisch, aber nüchtern seien die Frauen. Das sei auch kein neues Phänomen. Die Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit werde ja nicht erst seit gestern beklagt.

"Es liegt also nicht an der Gesellschaft?", frage ich nach und kratze den letzten Rest Joghurt aus meiner Schüssel. "Ah, was.", kommt es postwendend zurück. Man wolle es ja gar nicht anders. Denn mit einem männlich-wagemutigen Draufgänger, einem Porschefahrer und Herrenreiter etwa, könne man doch faktisch gar nichts anfangen. Würde der Porschefahrer mit einem Babybjörn durch den Volkspark laufen und mittels einer Arbeitszeitverkürzung auf 80% pünktlich seinen Nachwuchs aus der Kita holen? Wäre der hemmungslose Tänzer und Küsser bereit, jeden zweiten Samstag einzukaufen und regelmäßig seine Schwiegermutter von Charlottenburg nach Mitte zum Arzt zu bringen, weil seine Freundin am Dienstag regelmäßig einen Abendtermin hat und das deswegen nicht schafft? Erfahrungsgemäß lassen die Helden der Nacht einen tagsüber ja nicht einmal ausreden und hören überdies selten zu.

"Okay.", sage ich, aber ganz überzeugt bin ich noch nicht. Was der K. vorbringt, so will mir scheinen, hat wenig mit den in dem Artikel angesprochenen jüngeren Veränderungen im Verhaltensmuster des europäischen Mannes, sondern mehr mit einer grundsätzlichen Abweichung von erotischem Wunsch und alltäglicher Brauchbarkeit zu tun.

Im Wesentlichen, meint der K. und zuckt mit den Achseln, sei es genau das. Nur ganz oberflächlich sei der strickjackentragende Melancholiker eine Zeiterscheinung. Schon immer - hier beschreibt der linke Arm des K. eine unbestimmt raumgreifende Bewegung - hätten weder Männer noch Frauen bekommen, was sie sich vorstellen. Auch vor fünfzig Jahren sei ja nicht Cary Grant als Kavalier, sondern mehr so Heinz Ehrhardt als Versicherungsangestellter geheiratet worden, und da seien die blassen, freundlichen Männer, die ziemlich viel über sich nachdenken, doch kein schlechter Tausch. Am Ende bekomme halt keiner, was er will.

"Und das nennst du gerecht.", seufze ich, und der K. lacht. Vielleicht, meint er, sei es ja so sogar viel besser, und ich schweige und frage nicht nach, was er meint.



Benutzer-Status

Du bist nicht angemeldet.

Neuzugänge

nicht schenken
Eine Gießkanne in Hundeform, ehrlich, das ist halt...
[Josef Mühlbacher - 6. Nov., 11:02 Uhr]
Umzug
So ganz zum Schluss noch einmal in der alten Wohnung auf den Dielen sitzen....
[Modeste - 6. Apr., 15:40 Uhr]
wieder einmal
ein fall von größter übereinstimmung zwischen sehen...
[erphschwester - 2. Apr., 14:33 Uhr]
Leute an Nachbartischen...
Leute an Nachbartischen hatten das erste Gericht von...
[Modeste - 1. Apr., 22:44 Uhr]
Allen Gewalten zum Trotz...
Andere Leute wären essen gegangen. Oder hätten im Ofen eine Lammkeule geschmort....
[Modeste - 1. Apr., 22:41 Uhr]
Über diesen Tip freue...
Über diesen Tip freue ich mich sehr. Als Weggezogene...
[montez - 1. Apr., 16:42 Uhr]
Osmans Töchter
Die Berliner Türken gehören zu Westberlin wie das Strandbad Wannsee oder Harald...
[Modeste - 30. Mär., 17:16 Uhr]
Ich wäre an sich nicht...
Ich wäre an sich nicht uninteressiert, nehme aber an,...
[Modeste - 30. Mär., 15:25 Uhr]

Komplimente und Geschenke

Last year's Modeste

Über Bücher

Suche

 

Status

Online seit 7479 Tagen

Letzte Aktualisierung:
15. Jul. 2021, 2:03 Uhr

kostenloser Counter

Bewegte Bilder
Essais
Familienalbum
Kleine Freuden
Liebe Freunde
Nora
Schnipsel
Tagebuchbloggen
Über Bücher
Über Essen
Über Liebe
Über Maschinen
Über Nichts
Über öffentliche Angelegenheiten
Über Träume
Über Übergewicht
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren