Sonntag, 6. Mai 2007

Nikotinfreies Lamento

Leider, meine sehr verehrten Leserinnen und Leser, werde ich voraussichtlich im kommenden Jahr endgültig den Geist aufgeben und begraben werden, wo zwar nicht der Pfeffer, aber die Gräser wachsen, denn diese, wie man weiß, sind verantwortlich für ein Siechtum, das nun auch vor dem Allerheiligsten, vor der modestinen Substanz selbst sozusagen, nicht halt gemacht hat. Tränende Augen, Geräusche in der Lunge, als schleife da eine Fahrradkette rasselnd über die Bronchien, das undamenhafteste Niesen der Welt: Petitessen, Ärgernisse geradezu homöopathischer Natur, ach, dies jedoch sprengt nun endgültig den Rahmen dessen, was ich Natur einerseits und Immunsystem andererseits nachzusehen geneigt bin:

Mit dem Rauchen ist es nun aus.

„Sie müssen doch merken, wenn sie keine Luft mehr bekommen.“, kanzelte mich der Mittwoch morgen nach ganztags aufrecht liegend verbrachtem Feiertag aufgesuchte Allgemeinarzt ab. „Sie werden das allergische Asthma nicht mehr los, wenn sie weiter rauchen.“, beendete er eine 16 Jahre umfassende Raucherkarriere mit einem einzigen Satz und entließ mich fassungslos, die letzte, halb angebrochene Schachtel in der Tasche.

„Das geht nicht!“, überlegte ich kurz - aber wahrheitsgemäß - zu erwidern, verwarf den Gedanken dann doch als kindisch, und schleppte mich sehr langsam und sehr kurzatmig erst in die Apotheke und dann nach Hause. Alle zwanzig Meter legte ich eine kurze Pause ein. Alle hundert Meter lehnte ich mich ein bißchen gegen die Wand, und daheim begab ich mich sofort ins Bett, denn im Liegen ist der Bedarf an Atemluft am geringsten.

Nach dreißig Minuten ging es los. In der Küche, so blies es mir die Sucht in die Ohren, lag meine Tasche, in der Tasche lagen Zigaretten, das Feuerzeug auf dem Esstisch, und der Aschenbecher stand ordnungsgemäß auf dem Balkon. Genussvoll – wenn auch nur in Gedanken – zog ich den weißen Rauch tief in die Lungen. Bei der Simulation des Rauchvorgangs indes musste ich husten, der unappetitliche Inhalt meiner Lungenflügel drängte sich nach und nach bröckchenweise durch die Speiseröhre nach oben, und ich verzichtete vor diesem Hintergrund darauf, die Vision einer einzigen, einer göttlichen, einer wahrhaft dionysischen Zigarette in die Tat umzusetzen.

Am Abend wurde es schlimmer. Die Welt bestand – obschon ich die Wohnung bis Samstag nicht verließ – ausschließlich aus Rauchern und lag voller Zigaretten. Nichts Großartigeres hatte die Menschheit mir zu bieten als eine einzige Zigarette, und mit schmerzender Lunge, einem Husten, der am Leibe jugendlicher Rekruten für ein Dutzend Wehrdienstuntauglichkeitsbescheinigungen ausgereicht hätte, lag ich übellaunig, aber nichtrauchend, im Bett.

Wer mich ansprach, lief fortan mit blutenden Bisswunden durch die Stadt. Mein Körpergewicht steigt von Stunde zu Stunde. Weder ein Biergartenabend noch ein Nachmittag auf dem Helmholtzplatz vermögen mein Wohlgefallen zu erregen. Auf meiner Stirn steht der kalte Schweiß und fragt, ob ein kurzes, angenehmes und asthmatisches Leben einem langen unerfreulichen Dasein ohne Zigaretten nicht vorzuziehen sei.

Was mich der Heuschnupfen nächstes Jahr kostet, wissen wohl nur die Götter. Rechnen Sie also mit dem Schlimmsten. Und legen Sie mir - sollte es eintreffen - eine Schachtel Zigaretten aufs Grab.

Freitag, 4. Mai 2007

Ein Festival des Selbsthasses an einem Samstag im Mai

Wie ich der einschlägigen Fachpresse entnehme, sollen Oberschenkel – jawohl: dieses Stück Bein zwischen Knie und Rumpf – keinesfalls konisch geformt sein. Walzenförmig ist das Bein der Zukunft, eine sehr dünne Walze allerdings, und ganz gleich hat sein Umfang kurz unter dem Hüftknochen zu sein im Verhältnis zum Umfang knapp vor dem Knie. Entspricht ein Bein aber nicht dieser weltweit anerkannten Norm, dann, o unglückliche Beinbesitzerin, dann ergeht es Ihnen wie mir, und zunehmend gedrückt schleppen Sie sich an einem Samstag durch die Geschäfte und versuchen, Ihre Beine in sehr, sehr schmale Hosenbeine zu bugsieren, in denen – und das ist das Schlimmste – andere Leute wirklich gut aussehen. Die C. zum Beispiel, die mit immerhin 1,68 gleichwohl in Größe 34 passt, und – um dem Fass den Boden auszuschlagen – nicht einmal verhungert aussieht dabei, sondern einfach gut.

Klein, fett und hässlich schleppe ich meine Körpermassen der shoppenden C. durch Charlottenburg hinterher, zupfe resigniert an einigen herumhängenden Jackenkleidern, die an dünnen Leuten super aussehen, und die ich nicht einmal zugeknöpft bekomme, und kaufe vor lauter Verzweiflung, und um auch etwas gekauft zu haben, ein Kostüm, von dem der J. drei Stunden später behaupten wird, es sei zu eng.

„Größer gab’s das nicht.“, werde ich ächzen und die Kostümjacke auf mein Sofa werfen. Mich selbst würfe ich gern hinterher, indes liegt dort bereits der J. und schüttelt den Kopf über den blödsinnigen Einkauf. „Wegschmeißen!“, werde ich schluchzen, und das Kostüm im Schrank verstauen für später, wenn ich wieder schlank sein werde, was – wie wir alle wissen – niemals eintreten wird.

In Mitte will man mir auch nichts verkaufen. Die C. kauft ein Kleid, das es in meiner Größe dermaßen nicht gibt, das sich nicht einmal das Anprobieren lohnt, und mit hängenden Ohren, schniefend vor Heuschnupfen und Enttäuschung laufe ich heim. Die C. shoppt weiter.

„Die wollen mein Geld nicht.“, jammere ich dem J. vor und betaste meine Arme und Beine. „Blödsinn.“, schüttelt der J. den Kopf und spricht von Hosenanzügen, die mir besser stünden als die begehrten zarten, femininen Kleidchen, und meiner himmelschreienden Dummheit, wider besseren Wissens stets nach Kleidungsstücken zu greifen, die für einen Frauentyp entworfen worden sind, den der J. schonungsvoll als „anders gebaut“ bezeichnet. Verachtungsvoll kneife ich mit geschlossenen Augen in meinen Speck, bis es schmerzt und die Nägel rote, schmerzende Stellen hinterlassen. Hässlich sieht das aus, denke ich, aber auch irgendwie egal.

Manchmal wär’s gut, fünfzig zu sein, denke ich und schaue dem J. beim Musikhören zu. Wenn es erst einmal egal ist, ob man schlank ist, weil dann ohnehin die anderen an der Reihe sind, schön und geliebt zu sein, die jetzt gerade einmal geboren sind oder demnächst eingeschult werden. Auch nicht schlecht wäre es, irgendwo zu leben, wo die schönen, die beneideten, die zarten und zierlichen Frauen ihre Zartheit und Zierlichkeit genauso wenig herumzeigen könnten, wie ich mein Fett herumzeigen muss, und alle stäken in riesigen, unförmigen, vielleicht schwarzen Gewändern. Den Tschador haben dicke Frauen entworfen, sage ich laut, aber der J. hört mir nicht zu, sondern nickt im Takt der Musik aus seinen Kopfhörern, die, so denke ich mir, von lauter blitzdünnen, biegsamen und wohlgekleideten Frauen gesungen wird, die Größe 34 tragen, eisgekühlten grünen Tee trinken und Frauen wie mich mitleidig auslachen, wenn sie mit ihren Freundinnen einkaufen gehen und dicke Frauen sehen, die verzweifelt Kleidungsstücke über die Stangen schieben in der Hoffnung, es gäbe das Begehrte auch in Größe 40 oder so, aber das ist natürlich alles Quatsch.

Montag, 9. April 2007

Absenz

Über diese Geschichte im befreundeten Kreise kann man nicht schreiben, denn die Hauptperson liest mit und hat sich’s verbeten. Über jenen familiären Vorfall nur aufs Verlogen-Vorteilhafteste, und dann macht’s keinen Spaß. Nicht einmal über sich selbst kann man schreiben, denn bald fragen jene, denen man es schuldet, glücklich zu sein, mit nur leicht gezügeltem Unmut, was nicht stimmt.

Fest gezogen sind die Stricke von Höflichkeit und freundschaftlicher Diskretion. Enger noch das Korsett des Tages, in dem wenig, weniger, ach: kaum noch Zeit bleibt für all das, was angenehm ist, leicht, ziel- und zwecklos.

Vielleicht später wieder, denkst du dir, und weißt doch, dass es vorbei ist. Vielleicht woanders, vielleicht nie wieder, vielleicht nur noch für dich daheim.

Vielleicht auch erst einmal vier Wochen.

Sonntag, 1. April 2007

Die Operation

I.

Kurz vor dem Einschlafen die präzise Vorstellung eines Überfalls. Drei Männer mit pastellgrünen Handschuhen drängen mich in die rechte, hintere Ecke einer Bushaltestelle aus Plexiglas. Einer der Männer legt meinen Bauch frei und desinfiziert die Haut mit einem alkoholischen Spray. Ein anderer holt aus dem Kofferraum eines abgewrackten, dunkelblauen Golf eine Vorrichtung, die einer Autobatterie nicht unähnlich sieht. Lange Schläuche aus mattem, erdbeerfarbenen Gummi hängen von den beiden Querseiten des Geräts nach unten und schleifen über die Gehsteigplatten nach. Leiser Ärger, wozu die Desinfektion dient, wenn dann doch im Umgang mit Schmutz und Keimen eine gefährliche Lässigkeit waltet.

Der dritte Mann tritt näher, zückt ein Messer, schneidet mir mit einer einzigen, beiläufigen Bewegung den Bauch auf, ungefähr eine Handbreit über dem Nabel, und schiebt einen der Schläuche schmatzend in die unappetitliche Masse aus Blut und gelbem talgartigem Fett.

„Nicht bewegen.“, ermahnt er mich und gibt einem der anderen ein Zeichen. „Jetzt?“, fragt der und schiebt ein paar verdächtig selbstgemacht anmutende Schalter nach oben. Auf der Vorderseite des Geräts fängt es an zu blinken, gurgelnd saugt der Schlauch in meinem Bauch und reißt ganze Stücke Talg und schlabberiges, glitschiges Fett durch das Gummi in das vor Anstrengung krachende Gerät.

Nach wenigen Minuten ziehen die Männer den Schlauch aus der Wunde und laufen hastig davon. Zitternd, ein Heftpflaster in der Hand, bleibe ich an der Bushaltestelle stehen, halte mir den Bauch und versuche, mit meinem T-Shirt das restliche Blut von den Rändern der Wunde wegzuwischen.

II.


Nach kurzem, kopfschüttelnden Erwachen erneutes Versinken. Wieder an derselben Bushaltestelle, derselbe blaue Golf, eine weitere Operation mit nunmehr jedoch wesentlich verfeinerter Technik. „Narbenfreier Kreuzschnitt!“, preist der Schlauchhalter mir an, der ohnehin der Gesprächigste des ansonsten verdächtig schweigsamen Trios zu sein scheint. Tatsächlich erfolgt die Bauchöffnung diesmal reibungslos, auch tritt kaum Blut an den Rändern des Schlauchs vorbei aus. Mein T-Shirt bleibt trocken, auch die schmatzenden Geräusche sind diesmal leiser. Kaum mehr vernehmlich füllt sich das Gerät. - „Bis bald.“, klopft der Gesprächige der Drei mir am Ende freundlich blinzelnd auf die Schulter.

III.


Erneutes Erwachen mit einer gewissen Befriedigung über den Fortschritt der Technik. Mit dem rechten Zeigefinger den kreuzweisen Schnitt auf der Bauchdecke nachgezeichnet, im Anschluss hervorragend geschlafen.

Mittwoch, 28. März 2007

Die Heimsuchung (auch: der Couscoussalat)

Die ganze Woche ernähren Sie sich unglücklich und schlechtgelaunt von irgendwelchem Zeug. Hier ein Stück lauwarme Pizza, dort eine Thai-Suppe aus Fertigpaste mit Bambussprossen aus der Dose, und gelegentlich ein fettiges Halloumi unterwegs. Ab Mittwoch aber denken Sie beim Warten auf die Bahn bereits an Speckknödel, am Donnerstag träumen Sie die ganze Nacht von Rinderbraten, Freitag früh haben Sie heftige olfaktorische Halluzinationen, die mit Schnitzeln zu tun haben, und am Freitag abend endlich sind Sie in irgendeiner Küche zu Gast.

Es werde gefeiert, hat man Ihnen gesagt, und es gebe ein Buffet. Alle Gäste brächten etwas mit. Wirklich scheint der Tisch sich zu biegen, aber neben einem Rest Kartoffelsalat, einer Riesenschüssel grüner Büschel mit Parmesanspänen und ohne Dressing, steht, ja, ganz als hätten Sie‘s gewusst: Dreimal der Couscoussalat von Jamie Oliver, dieses stetige, verlässliche Grundrauschen aller Parties aller Leute, die Sie kennen. Einmal leicht verrutscht in einer pastellfarbenen Tupperschüssel, einmal etwas zu knackig in einer handgetöpferten Schale, die aussieht wie ein Exponat der prähistorischen Sammlung, und einmal einfach so in Glas.

Alle drei Salate sind so gut wie unberührt, denn der Couscoussalat von Jamie Oliver ist eine fast völlig geschmacklose, leicht krümelige Substanz. Zwischen den wahlweise kinderzahnharten oder kinderbreiweichen Couscouskörnern liegen Gemüsestücke, irgendwelche schlappen Kräuter versuchen vergeblich, das Ganze zu aromatisieren, und während Sie die letzten Resten der anderen Salate zusammenkratzen, tritt ein anderer Gast neben Sie und spricht die goldenen Worte:

„Du musst unbedingt den Couscoussalat probieren! Das Rezept ist von Jamie Oliver.“

„Jamie Oliver“ intoniert Ihr Mitgast ungefähr so wie ein gläubiger Christ „die Heilige Jungfrau“ betont - halb ehrfurchtsvoll, halb ungläubig staunend ob der Realität der Jungfrauengeburt, nein: des Couscoussalates, und leicht geniert ob so viel Inbrunst drehen Sie sich weg, beißen sich auf die Unterlippe und suchen nach einer angemessenen und doch höflichen Antwort.

„Jamie Oliver ist ein aufgeblasener Fatzke und hat eine komische Frisur.“, fällt Ihnen ein, aber so etwas zu sagen gilt in Gesellschaft bekanntlich als hochgradig kindisch. „Jamie Oliver’s Rezepte bestehen aus steinhartem Gemüse und schmecken nach nichts.“, könnten Sie statt dessen sagen, aber Ihr Mitgast scheint – der Salat weist es aus – ein großer Anhänger dieses Herrn zu sein, der seine Reputation im Fernsehen erworben haben soll, wo man bekanntlich das Essen nur sehen, nicht aber es verzehren kann, und das, so fällt Ihnen ein, mag das Geheimnis des Erfolgs von Jamie Oliver sein. „Mir sagt Jamie Oliver ja wenig.“, hören Sie sich statt dessen sagen und ärgern sich ein wenig über Ihre schrecklich blöde und grauenhaft belanglose Stellungnahme zu diesem blonden Ärgernis der Gegenwart, das zu bekämpfen jeder billig und gerecht Denkende aufgerufen sein müsste. Ach, da stehen Sie in der fremden Küche, suchen nach passenden Worten, kramen in ihrem Gedächtnis nach Begriffen, die einprägsam, präzise und trotzdem vernichtend die nichtssagende Natur der Rezepte Jamie Olivers bezeichnen, aber dann, lange bevor Ihnen das schlagende, das treffende Wort, die endgültige Auslöschung der verderblichen Dominanz von Jamie Olivers Couscoussalat einfallen mag, ist der Mitgast verschwunden, und nur sein Salat ist noch da.



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