Sonntag, 30. März 2008

Selbstermahnung

Vielleicht sagt dir nächste Woche einer, du seist krank, sehr krank, und dann kämen sie über dich mit pistaziengrünen Tüchern über dem Mund und spitzen, blitzenden Geräten. Vielleicht würden sie dir Schläuche in den Leib stecken, Flüssigkeiten würden ein- und ausgeleitet, eine Operation bliebe wirkungslos, eine weitere würde nur schaden, und in vier Wochen säßest du einem Arzt gegenüber, der dir sagt, dass du stirbst.

Früher oder später, würdest du antworten, sei das ja bei uns allen der Fall, und der Arzt würde nicht einmal den Mund verziehen angesichts des zugegeben dünnen Witzes. Denn er und die anderen sterben vielleicht auch – wie du – in einigen Wochen. Indes ist der Tod des Arztes zu diesem Zeitpunkt wenig wahrscheinlich, und deiner so gut wie sicher.

Ob er Fälle kenne, die geheilt worden seien, fragst du, und der Arzt schüttelt den Kopf. Ob man jemals von einer solchen Heilung gehört habe, willst du wissen, und er unterbricht dich etwas brüsk. Machen sie sich nichts vor, warnt er dich – wovor auch immer – aber natürlich gebe es immer Hoffnung, und ein Fall sei stets der Erste.

Dann fährst du nach Hause.

Der Taxifahrer wird laut irgendetwas ins Headset brüllen, was du nicht verstehst. Auf dem Bürgersteig rechts und links von der Straße gehen Leute herum, tragen Tüten und Taschen, und probieren in Geschäften Kleidungsstücke an, die sie tragen werden, wenn du tot bist, und das alles vorbei. Schöne Frauen, so schön, wie du niemals gewesen bist, werden von Männern angelächelt, die sie anrufen werden, wenn man dich beerdigt, und während du langsam verstehst, dass es das war, endgültig und ohne Wiederkehr, wirst du dir wünschen, noch einmal so, wie jetzt, so wie heute, am Schreibtisch zu sitzen. Das sei das Glück gewesen, wirst du dir sagen: Noch einmal eine Stunde der Sorglosigkeit, satt und müde am Sonntagabend. Ein Glas Wein vor dem Bad, gute Musik, und nichts, was du ändern würdest, im Großen und Ganzen, wenn du wüßtest, dass dies der letzte sorglose Sonntag wäre, und nächste Woche wärest du krank und in acht Wochen tot.

Sonntag, 16. März 2008

Nachtmahl

Wenn jetzt, denke ich, und schließe die Augen noch etwas fester, einer käme. Wenn also jetzt einer daherkäme, die Straße aufwärts von Mitte Richtung Norden, und käme die Treppe hoch, langsam, mit Taschen in beiden Händen, und stünde gerade in diesem Moment vor der Tür: Wenn er einen Schlüssel besäße, oder bräuchte gar keinen Schlüssel, weil ihn das mürbe Holz der Tür nicht hielte, dann käme er gleich, ach, in einer Minute zu meinem Bett.

„Meine liebe Modeste“, würde er sagen und ein bisschen knistern mit den Tüten in den Taschen und ginge dann erst einmal in die Küche, um auszupacken. In der Küche würde er Schränke öffnen, Schubladen aufziehen, Gläser würden klirren, Metall aneinander stoßen und vielleicht würde ich ihn hintereinander ein paar Türen aufstoßen hören auf der Suche nach Zucker oder Salz.

Gut gelaunt wäre der Mann in der Küche, vielleicht würde er sogar leise singen, ein bisschen lachen über irgendetwas, was ich nicht sehen kann, hier im Schlafzimmer und mit geschlossenen Augen. Vielleicht würde ich dösen, ein paar Minuten an den Schlaf verlieren, und wach werden, weil in der Küche Sahne geschlagen wird, oder Töpfe klirren.

Möglich wäre sogar, richtig zu schlafen, zu träumen, und erst zu erwachen, wenn es noch Essen riecht, nach Wärme, nach Früchten und nach Fleisch. Vielleicht würde ich sogar erst dann wach, wenn die Schlafzimmertür sich öffnete, und hielte doch die Augen geschlossen. Nur den Mund würde ich öffnen, und die wohltemperierte Sommerlichkeit einer Tomatensuppe schmecken, die Kühle und Sauberkeit von Sahne. Eine leinensteife Serviette. Kaltes, glattes Metall, und auf jeder Gabel genau ein Stück von der Entenbrust, ein bisschen, aber nicht zu viel Zitronenzeste, die Körnigkeit von Pfeffer. Kartoffeln, deren eigene speckige Glätte überginge in die geliehene Üppigkeit zerlassener Butter, und ganz kleine, ganz runde Erbsen, süß und straff vor Frische.

„Einen Wein?“, würde ich gefragt, und wählte doch, nur eine Neigung des Kopfes, kaltes, klares Wasser. Schweigen würde der Mann auf meiner Bettkante, höchstens ganz leise darüber sprechen, wo das Gemüse gewachsen, wo die Ente geschwommen ist, die auf dem Teller liegt, den ich nicht sehe, denn noch immer hielte ich die Augen fest geschlossen.

Löffel für Löffel schöbe man mir ein Sorbet auf die Zunge. Kirsch oder Himbeer. Champagner würde man mir reichen, ganz vorsichtig Schluck für Schluck, und liefe mir doch ein kleines, schlängelndes Rinnsal über den Mund: Der Mann auf meiner Bettkante tupfte mir die Feuchtigkeit sorgsam vom Hals.

„Schlaf gut, Modeste.“, würde er flüstern, am Ende, noch ein, zwei Minuten meinen Schlaf bewachen, und ginge dann, leise, unhörbar für mich, die Treppen hinab, die Straße hinunter, und überließe mich anderen Träumen.

Sonntag, 9. März 2008

Von fern

Ob auch, frage ich mich, eine Katze, die nie eine Maus gesehen hat, nachts von fliehenden, wuselnden, weißen Mäusen träumt? Ob ein Yorkshire Terrier mit Schleifchen im Haar träumt, wie er vor Zeiten, groß, grau und struppig, die Wälder durchstreifte? Ob auch ich, nachts, ganz selten und noch vor dem Erwachen vergessen, mit einem Schwert in der Hand, vielleicht auch nur einem roh behauenen Stein, den Feinden hinterherhetze oder selbst gejagt werde von riesigen, feuerspeienden Tieren?

Und ob vielleicht eines Tages in vielen Jahren, wenn wir selbst ein Dutzend Mal und mehr zu Staub zerfallen und aus Erde auferstanden sind, ein Anderer des Nachts an meinem Schreibtisch sitzt? Meine Furcht in seinem Nacken, es könne nicht reichen, was er da tut? Fliehend im Traum vor der verrinnenden, nicht zu stundenden Zeit, und auf dem Bildschirm vor ihm flimmern Worte in einer Sprache, die längst vergangen sein wird: Chiffren für nichts als für nächtliche Angst. Bögen und Striche. Runen, Zeichen aus Licht, Fliegenbeine, fremde, schwarze Girlanden, und zerronnen zu nichts, wenn er erwacht.

Mittwoch, 27. Februar 2008

Gesellschaftsspiele

Ertappt:

1. Nimm das nächste Buch in deiner Nähe mit mindestens 123 Seiten.
2. Schlage Seite 123 auf.
3. Suche den fünften Satz auf der Seite.
4. Poste die nächsten drei Sätze.
5. Wirf das Stöckchen an fünf Blogger weiter.

"Mit der Geburt beginnen wir zu sterben, und das Ende setzt mit dem Anfang ein" (Manlius) - ein Gemeinplatz, dem man beim Heiligen Bernhardt und bei Pierre de Bérulle ebenso begegnet wie bei Montaigne. Ebenso hat es die sehr alte Vorstellung des Weiterlebens in einer traurigen und grauen Unterwelt und die jüngere, weniger volkstümliche und strengere eines moralischen Gerichts wiederaufgenommen. (1)

Es hat schließlich die Hoffnungen der Heilsreligionen wiederangefacht, indem es das Heil des Menschen der Fleischwerdung und der Auferstehung Christi überantwortete.


Fahre fort, wer mag.

Sonntag, 17. Februar 2008

Sonntagsleser

Die Hamburger, weiß die Berliner Fama, zeichnen sich insbesondere durch einen ganz unvergleichlichen und in der Bundesrepublik einzigartigen Kleidungsstil aus. Sie tragen Barbourjacken, auch wenn das gerade sonst keiner tut. Sie mögen Twinsets. Sie tragen - ich habe das selbst gesehen - selbst nachts um drei und stockbetrunken ein dezentes Make Up und Perlenketten. An den öffentlichen Angelegenheiten ihrer Heimatstadt nehmen sie rege Anteil, selbst dann, wenn beide Kandidaten aus einigen hundert Kilometern Entfernung nahezu ununterscheidbar sein sollten.

Auch der politisch interessierte Hanseat muss aber nicht den ganzen Tag wählen gehen. Nachmittags

am 24.02.2008
um 16.00 Uhr


hat der Hamburger seine Wahl längst getroffen, und da es ohnehin, sagt man, mäßig spannend sein wird, wer die Wahl gewinnt, besteht ausreichend Gelegenheit, sich zum

Kaffee.Satz.Lesen
Baderanstalt
Hammer Steindamm 62
Hamburg


zu begeben, wo neben einigen, sicherlich großartigen Autoren auch ich einen Text verlesen werde, der sich zur Abwechslung einmal nicht mit mir beschäftigt, sondern ganz und gar ausgedachte Menschen zum Gegenstand hat, die teilweise autofahren, und teilweise sterben.

Flyer0208

Ich würde mich freuen, wenn Sie kommen.



Benutzer-Status

Du bist nicht angemeldet.

Neuzugänge

nicht schenken
Eine Gießkanne in Hundeform, ehrlich, das ist halt...
[Josef Mühlbacher - 6. Nov., 11:02 Uhr]
Umzug
So ganz zum Schluss noch einmal in der alten Wohnung auf den Dielen sitzen....
[Modeste - 6. Apr., 15:40 Uhr]
wieder einmal
ein fall von größter übereinstimmung zwischen sehen...
[erphschwester - 2. Apr., 14:33 Uhr]
Leute an Nachbartischen...
Leute an Nachbartischen hatten das erste Gericht von...
[Modeste - 1. Apr., 22:44 Uhr]
Allen Gewalten zum Trotz...
Andere Leute wären essen gegangen. Oder hätten im Ofen eine Lammkeule geschmort....
[Modeste - 1. Apr., 22:41 Uhr]
Über diesen Tip freue...
Über diesen Tip freue ich mich sehr. Als Weggezogene...
[montez - 1. Apr., 16:42 Uhr]
Osmans Töchter
Die Berliner Türken gehören zu Westberlin wie das Strandbad Wannsee oder Harald...
[Modeste - 30. Mär., 17:16 Uhr]
Ich wäre an sich nicht...
Ich wäre an sich nicht uninteressiert, nehme aber an,...
[Modeste - 30. Mär., 15:25 Uhr]

Komplimente und Geschenke

Last year's Modeste

Über Bücher

Suche

 

Status

Online seit 7731 Tagen

Letzte Aktualisierung:
15. Jul. 2021, 2:03 Uhr

kostenloser Counter

Bewegte Bilder
Essais
Familienalbum
Kleine Freuden
Liebe Freunde
Nora
Schnipsel
Tagebuchbloggen
Über Bücher
Über Essen
Über Liebe
Über Maschinen
Über Nichts
Über öffentliche Angelegenheiten
Über Träume
Über Übergewicht
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren