Montag, 27. November 2006

Kleiner Gesang vom nächtlichen Altern

Ist alles eins
Was liegt daran,
Der hat sein Glück,
Gar seinen Wahn.
Was liegt daran!
Ist Alles eins,
Der hat ein Glück!
Und ich fand keins.

Arnold Schönberg Op. 45,
Text von Jakob Haringer

Ob das jetzt alles war, überlegt es in dir, nachts um halb drei, während ein Stockwerk tiefer das Kind schreit und du nicht schlafen kannst. Ob in den vierzig, fünfzig oder mehr Jahren, die noch vor dir liegen, noch etwas kommt, auf das es sich zu warten lohnt. Ob hinter dem Wellenkamm der nächsten Woche, hinter dem Schaum vom nächsten Jahr noch einmal etwas Neues sitzt und sich die Haare kämmt beim Warten auf dich. Ob noch einmal eine neue Stadt über dir zusammenschlägt wie ein Meer aus Glas und Steinen, und dich an ihre Mauern wirft, und dich verschlingt, um dich neu zu gebären. Ob du noch einmal geliebt werden wirst, wie ich es mir nicht vorstellen kann bei alten Leuten: Ob noch einmal jemand sich kopf- und bedenkenlos ausliefern mag an dich, ob du noch einmal deinen Herzschlag an ein fremdes Gesicht heften wirst, und ob du dich noch einmal heimgekommen in eine fremde, blutige Haut hüllen wirst.

Vielleicht ist es aber auch so vorbei, wie bei vielen Leuten, die du kennst. Vielleicht ist alles, was da noch an Neuem kommt, nur die Wiederholung im Spätprogramm. Vielleicht ist das da draußen jetzt die letzte Runde, und wir alle tot, so tot wie die weißen, verwesten Frauen mit den Dauerwellen morgens in der Bahn. Vielleicht sind wir nur das schönere Elend. Vielleicht liegt alles, was für dich bestimmt war, bereits hinter dir, und wenn du daran denkst, nachts, wenn das Kind schreit, und du nicht schlafen kannst:

Dann war es nicht viel. Dann war es nicht genug, und kein Trost, dass es genug vielleicht gar nicht hätte sein können, so wie du bist, nachts um halb drei, und manchmal auch tagsüber.

Sonntag, 26. November 2006

Reklame

Den Kapitalismus, dem ich ja bereits viele schöne Stunden verdanke, habe ich mir ja immer als eine Frau vorgestellt. Eine schon leicht abgetakelte Diva, grell geschminkt, künstliche Fingernägel, und so ein irre vollgestopftes Boudoir, in dem sie ihre Liebhaber empfängt. Die Liebhaber in dunklen Anzügen sitzen dann auf den Plüschsofas herum, halb angewidert, halb fasziniert, und die alte Diva verspricht ihnen alles Mögliche, lügt, dass sich die Balken biegen, und wenn sie von einem der Anzugmänner genug hat, schmeißt sie ihn halt wieder raus. Da sitzt er dann vor der Tür, leicht lädiert, bankrott bis zu den Ohren, schnieft ein bißchen, und kommt vielleicht eines Tages wieder.

Wie das halt so ist, reden natürlich alle möglichen Leute schlecht über die schrille Dame, besonders Professoren und so, und weisen ihr alle möglichen Vergehen nach. Tatsächlich hat sie natürlich die eine oder andere Leiche im Keller. Außerdem ist sie launisch, wahnsinnig ungerecht, hat eingewachsene Fußnägel, und zu welchen Leuten sie nett ist, verstehen nicht einmal ihre besten Freunde. Warum, fassen sich regelmäßig ernsthafte Denker seriöser Wirtschaftsfakultäten angesichts ihrer jeweiligen Liebhaber an den Kopf, ausgerechnet der?

Tatsächlich belohnt die alte Dame mit ihrer Hingabe so gut wie nie die scheuen Rehe, sehr selten die klugen, aber unfrisierten Köpfe. Nahezu niemals schäkert sie mit den Feuerköpfen mit Brillen auf der Nase, und wen schon die Musen küssen, den zieht Madame Marktwirtschaft schon aus Prinzip nicht auf ihr Lotterlager.

Ein bißchen Mühe müsse man sich schon geben, erwidert sie gern ein wenig pikiert, wenn man sie fragt, warum sie eigentlich den Maler X habe fast verhungern lassen, und den Autor Y gezwungen habe, sein Geld als Briefträger zu verdienen. Madame, so sagt man in gewöhnlich wohlunterrichteten Kreisen, lasse sich ja gern ein wenig umwerben, und Werbung sei es, die auf Seiten der Kunst meistens fehle, denn allzu stolz sind die Dichter, und vielleicht gefällt ihnen Madame auch schlicht nicht genug.

Werben Sie also, liebe Künstler, um den kommerziellen Erfolg. Bemühen Sie sich um die alternde Diva mit dem hängenden Hals und den Klauenfingern. Schmeicheln Sie ihr. Bringen Sie ihr Geschenke. Und wenn Sie keine Lust dazu haben, dann beauftragen Sie andere mit dieser Werbung, denn es kann ja nicht angehen, das immer nur die anderen, und nie Sie die Gunst der goldenen Schabracke genießen.

Und um einmal mit gutem Beispiel voranzugehen: Bestellen Sie also noch heute den sehr wohlgestalteten EXOT 4, der lauter unterhaltsame und komische Texte enthält (und einen von mir, der ist aber nicht komisch) und machen Sie außerdem beim fabelhaften Paulus-Projekt mit. Danke.

Dienstag, 21. November 2006

Träume von Schweinen

In meinem Unterbewusstsein, verehrte Leserinnen und Leser, spielen Schweine offenbar eine Rolle, die durch ihr Vorkommen in meinem Alltagsleben keineswegs gerechtfertigt erscheint. Tatsächlich begegne ich Schweinen eher selten, um nicht zu sagen: So gut wie nie, denn das Schwein, Haus- wie Wildschwein, ist eine in urbanen Gegenden eher seltene Erscheinung.

Nachts aber, in den viel zu kurzen Stunden, die ich schlafe, laufen des öfteren ausgewachsene Säue herum, und erst letztes stand ich irgendwo in einem Traum herum, ein großes, massiges, rosafarbenes Schwein saß mir gegenüber und sprang an mir hoch wie weiland unser Hund, der allerdings keinerlei Ähnlichkeit mit einem Schwein hatte, was bei einem Hund ja auch einigermaßen befremdlich gewesen wäre, und sicherlich mindestens zu einer drastischen Minderung des Kaufpreises für den Hund, wenn nicht sogar zur Rückgabe des Tieres und dem Umtausch gegen einen neuen Hund berechtigt hätte, der ungefähr so aussehen hätte müssen, wie es unser Hund tatsächlich getan hat, der deswegen auch nicht umgetauscht werden musste.

Möglicherweise habe ich mit dem Schwein sogar gesprochen. Des Inhalts der Konversation erinnere ich mich nicht mehr, allein – was kann man mit einem Schwein schon groß besprechen, und ob das Schwein geantwortet hat, habe ich gleichfalls vergessen. Irgendwann ging das Traumschwein wieder davon.

Ein paar Tage vorher war bereits ein anderes – oder auch dasselbe – Schwein eine ganze Weile neben mir hergegangen, wurde größer und kleiner, veränderte gelegentlich seine Farbe, blieb allerdings in demjenigen Spektrum der Farbigkeit, die bei Schweinen nicht weiter zu erstaunen vermag, und erregte in mir, die ich im Traum Halterin des Schweines war, durch diese Flexibilität einen gewissen Stolz.

In Wirklichkeit habe ich nie ein Schwein besessen. Ich esse nicht einmal Schweine, nicht einmal im Traum, und vielleicht ist es diese kulinarische Zurückhaltung, die die Tiere zutraulich werden lässt, denn Kühe, denen ich als Esserin zugetan bin, nähern sich mir nie, wenn ich schlafe, aber ich werde das im Auge behalten und Sie, sollte sich dies ändern, laufend über die Entwicklung meiner nächtlichen Tierwelt informieren.

Sonntag, 19. November 2006

Das große schwarze Loch des privaten Lebens

Eine Entgegnung

Soso, denke ich mir, und lehne mich behaglich zurück gegen die weichgepolsterten Wände des Lochs, in der die deutsche Blogosphäre höchst privat ein wenig Zeit totschlägt. Politischer müsste man also sein, dann wäre man auch bedeutender, und bedeutend zu sein, entnehme ich diesen Zeilen des von mir hochgeschätzten Don D., muss eine großartige Sache sein, und überhaupt jeder sollte Bedeutung anstreben, die in der Sphäre des Politischen offenbar eher beheimatet sein soll als im Reich des ganz und gar Privaten. Die Medien, die man so gemeinhin lesen kann, hätten allesamt versagt, und daher nun sei es an der Zeit, als engagierter Bürgerjournalist Missstände anzuprangern, den Datenschutz etwa, die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe und derlei Dinge mehr.

Tja, denke ich weiter. Liegt man also daneben, wenn man nicht an den Primat des Politischen glaubt? Wenn man auch nicht die Ansicht teilt, dass es große, wichtige Themen gibt wie die Widerlichkeit des hessischen Ministerpräsidenten Ro*land K*och, und kleine, bedeutungslose wie die Melancholie der glücklichen Liebe, das herzzerreißende Verblassen alter Bilder, und die Trauer morgens um vier, wenn man nach Hause kommt, und auf einmal merkt, dass alles, was wir tun, gleichgültig ist, und den Herzschlag der Welt nicht ändert. Ist es falsch, wenn man es ein bißchen egal findet, ob die private Krankenversicherung jetzt alle Leute nehmen muss, oder nur die, die mehr verdienen als andere? Schadet man der Relevanz der deutschen Blogosphäre, wenn man sich nicht merken kann, wer gerade Bundeslandwirtschaftsminister ist? Wenn man es sehr okay findet, nicht wählen zu gehen, weil der Regierende Bürgermeister von Berlin ein ohnehin eher dekoratives Amt ausübt, und die Frage, wer es innehat, das morgendliche Aufstehen vor Schließung der Wahllokale irgendwie nicht wert ist? Wenn einem Relevanz im Sinne von Einfluss oder auch nur im Sinne des Wahrgenommen-Werdens eigentlich auch ziemlich gleichgültig ist?

Wenn man davon überzeugt ist, dass angesichts der Vielzahl der zu berücksichtigenden Interessen jeder mehrheitsfähige Kompromiss notwendig etwas durchaus Krötenhaftes an sich hätte, und die Welt schon nicht untergehen wird, egal, ob etwas nun sehr oder nur ein bißchen ärgerlich ist? Weil meine Welt in ihren wesentlichen Zügen okay ist, wie sie ist, und es mir jedenfalls nicht wert ist, die Zeit und das Interesse aufzubringen, daran etwas zu ändern?

Warum, denkt man bei sich, ist es nicht einfach eine tolle Sache, dass es den deutschsprachigen Bloggern bei allen subjektiven Einschränkungen offenbar gut genug geht, um das, was das Leben der meisten Menschen viel, viel mehr bewegt als alle Politik, wichtig und ernst nehmen zu dürfen, und zu schreiben, was man mag, was berührt, was wichtig erscheint, was das Leben verändert, und die öffentlichen Dinge nur als ein Thema von vielen zu behandeln, dessen Unterhaltungswert sich ebenso wie seine Relevanz sehr in Grenzen hält in diesem lauen Herbst unseres digitalen Biedermeier.

Dienstag, 14. November 2006

Mein neues, scheues Telephon

Das Fleisch, schrieb der große Frank Wedekind einmal, habe seinen eigenen Geist, und so überraschend dieser Satz angesichts der abendländischen Dichotomie von Leib und Seele auf den ersten Blick erscheinen mag, so banal mutet diese Wahrheit auf den zweiten Blick an, denn - wenn wir einmal ehrlich sind - was auf Erden hätte diesen ganz eigenen Geist nicht? Und was zwischen Himmel und Erde, Hades und Elysium, Kreißsaal und Schlachthof können wir noch wirklich als vollkommen unbelebte, seelenlose Materie betrachten, wenn doch sogar mein Telephon, mein neues Mobiltelephon nämlich, über eine Seele verfügt, eine schüchterne, veilchenhafte Psyche, die ihre Geheimnisse nur dem vertrauten Kenner seines Innenlebens offenbart, nicht jedoch, oh mein geschätzter Leser, einer Banausin wie mir, von deren unkundigen Blick sich das Telephon gleichgültig, verletzt und scheu abwendet.

Dicker als das Bürgerliche Gesetzbuch ist das mir mitgelieferte Handbuch zum Telephon. Geheimnisvoll und undurchdringlich ist es wie die Offenbarung des Johannes, unleserlich wie die Knotenschrift irgendwelcher amerikanischer Ureinwohner, deren Namen ich leider vergessen habe, und so weist auch das Handbuch mich streng von der Schwelle der Erkenntnis. "Dieser Eingang ist nur für mich bestimmt.", versuche ich den Türhüter in Handbuchgestalt zu überreden, aber dieser schüttelt nur kurz, aber verneinend den Kopf. Auch das Internet gibt mir keine vernünftige Antwort, wenn ich Google frage:

Wie kommt man mit einem O2 Xda über WLan ins Internet?

Kann mir hier jemand helfen?



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