Sonntag, 4. März 2007

Du und ich im Garten Eden

Nach dem Mittag werde ich ein bißchen schlafen, und du schläfst neben mir. Ein alter Mann wirst du sein, mit hängenden Backen und schlaffer Haut. Vielleicht wirst du schnarchen. „Mein Guter, mein Bester“, werde ich dir am Bart zupfen, damit du aufwachst, und du wirst lächeln, als sei ich noch jung. Vielleicht siehst du mich dann manchmal so, wie ich einmal war, du alter Mann ohne Brille in der Nachmittagsdämmerung um vier.

Bevor es dunkel wird, willst du in den Garten. Du harkst die Blätter von den Beeten, und freust dich über die Knospen und Triebe der Büsche und Stauden. Die zeigst du mir und stützt deine Hände auf die Knie, wenn du dich wieder aufrichtest. Du bist zu schwer geworden für deine Muskeln und Gelenke.

Mit einem sehr, sehr alten Hund sitze ich im Wintergarten und schaue dir zu. Von hinten siehst du manchmal aus wie der junge Mann, den ich vor fünfzig Jahren im ersten Semester kennengelernt habe, und ich lächele bei der Erinnerung an den Abend, als dein Freund H. mich zu dir brachte, weil er meine Freundin kennenlernen wollte. Daran erinnere ich mich gut. Die Feuerzangenbowle. Deine Gitarre, das eiskalte Bad, und die braune Couch, mit der du bis Berlin umgezogen bist.

An das, was gestern, vorgestern oder letztes Jahr passiert ist, erinnere ich mich nicht mehr. Vielleicht hat mein Gehirn schon ein paar Löcher, ein bißchen Zeitmottenfraß, ein bißchen mürben, braunen Verfall. Vielleicht lohnt sich das Behalten aber auch nur nicht, weil gestern, vorgestern, letztes Jahr, wenig passiert ist, was ich aufheben will. Wenn du im Garten die Beete harkst, erzähle ich die alten Geschichten dem Hund. Was alles passiert ist, und der Hund gähnt.

Dass wir Königskinder waren, leuchtend in den Nächten der Stadt, flüstere ich dem Hund in die Ohren. Die Kälte und der gleißende Dreck und die großen Zeiten unter dem Rad. Unsere blutende Haut in Fetzen, aber wenn ich zu lange erzähle, steht der Hund auf und trinkt ein bißchen Wasser.

Wenn es dunkel wird, kommst du ins Haus. Die Schuhe stellst du neben die Terrassentür und wäschst dir lange die Hände, die sich langsam ausbeulen. Knoten an den Gelenken hast du, als würden deine Knochen langsam weich und schöben sich hin und her. Ab und zu, wenn wir beisammen sitzen, streichele ich dir über die Hände und ängstige mich vor dem ersten Morgen ohne dich.

Tee werde ich kochen und Kuchen schneiden, den ich selbst gebacken habe. Vielleicht schlage ich Sahne. Du deckst den Tisch und wirst den Kuchen loben. „Meine Liebe, meine Schöne.“, wirst du mich nennen, als sei das noch wahr, und vielleicht küssen wir uns sogar noch, wenn keiner hinsieht. Auch nicht der Hund.

Vielleicht gehen wir später spazieren, zwei sehr alte Leute, langsam, die Straße entlang, wo es gut beleuchtet ist und die Wege glatt. Vielleicht koche ich abends Früchtetee und schmiere Brote, weil du das selbst nicht mehr gut kannst. Du wirst Witze machen, als nähmest du das leicht.

Am Abend gehen wir zu Bett. Ich werde mich nicht mehr ausziehen vor dir, und nur noch selten in den Spiegel schauen, wenn ich mich umziehe, um die alte Frau nicht zu sehen mit dem fleckigen, bleichen Fleisch voller Dellen. Im Nachthemd lege ich mich zu dir ins Bett, denn du bist warm, und ich friere jede Stunde, jede Nacht und überhaupt immer.

Nachts höre ich dir zu. Die Dämonen sind tot, weiß ich, und kann doch nicht schlafen. Sanft streiche ich dir übers Haar, dass du nicht erwachst, und halte manchmal besorgt meine Hand vor dein Gesicht, und atme auf, wenn du noch atmest.

Montag, 26. Februar 2007

Die gläserne Stadt

Über Nacht aber ist die Luft dichter geworden als du. Massiv drückt dir der Sauerstoff von innen und außen gegen das Fleisch und schmerzt beim Atmen, als zögest du Steine scharfkantig durch deine Lungen. Schau mich nicht an, brüllst du aus Angst den fremden Leuten in der Tram nur in Gedanken entgegen. Würdest du laut, die Fremden würden dir noch tiefer ins Fleisch starren, noch schärfere Blicke werfen, und dir die Haut zerschneiden mit der Kraft ihrer Augen. Da sitzt du dann, und die M 1 fährt dich nach Mitte.

Die Stadt scheint dir seltsam entfärbt. Jemand hat etwas aus den Gesichtern der anderen Kunden bei Dussmann entnommen. Das, was du sehen kannst, scheint dir sonderbar leer. Wie immer reichen die Fremden Bücher über die Theken und nehmen Tüten zurück, als sei das normal, aber du weißt Bescheid. - „Da wünsche ich ihnen viel Spaß beim Lesen!“, lächelt der Kassierer und macht sich Notizen. Wenn du weg bist, weißt du genau, wird er melden, was du gekauft, und wann den Laden verlassen.

An der Mittelstraße stolpert eine fremde Frau mit zerschlissenen Tüten betrunken oder behindert den Linden entgegen. Das bist ja du, erschrickst du und wechselst die Seite. Mit kaum maskiertem, gierigem Blick sieht dir die Trunkene nach. Für heute bist du entkommen. „Was haben sie mit mir vor?“, könntest du fragen, aber die Frau ist schon weg. Ganz normal, ohne Fallen und Stolpern, weißt du, schreitet die Fremde fern deiner Blicke die Straße entlang.

Wenn keiner da ist, lachst du ein bißchen, und stößt mit dem Fuß eine leere Verpackung die Straße entlang. Ob man dich prüfen will, durchblätterst du deine Gedanken. Ob die Stadt echt ist, oder eine Attrappe, und die wirkliche Stadt lebt und lächelt fernab von dir, hinter Glas, hinter Stäben, hinter einer Wand vielleicht, getrennt und unerreichbar für dich, warum auch immer.

Sonntag, 25. Februar 2007

Feinstaub und Liebesleben

Bedauerlicherweise, meine Damen und Herren, hat das Leben für meinen geschätzten Gefährten, den reizenden J., vor kurzem jeden Sinn verloren. Ach, all das Denken und Trachten des J., all sein – zugegeben begrenzter – beruflicher Ehrgeiz richtete sich auf ein einziges Ziel, und hart ist, oh Publikum, denn J. nun traurig, halt- und ziellos durch Berlin taumeln und mit verzweifeltem Blick die Wagen am Straßenrand mustern zu sehen.

„Der nicht.“, hört man ihn murmeln. „Der auch nicht mehr.“, und so in einem fort beklagt mein geschätzter Gefährte das baldige Ausscheiden der schönen, der alten, der massenweise feinstaubemittierenden Kraftfahrzeuge aus dem Berliner Straßenverkehr, und wenn man sehr nah an den J. herangeht, hört man ihn manchmal auch in vollkommen verkehrsfernen Situationen etwas von dem nun verlorenen Traum seiner Jugend röcheln: Der 72er Porsche.

Silbern sollte er sein mit beigefarbenen Sitzen, notfalls auch dunkelgrün, und in langen, mühseligen Stunden in der Universitätsbibliothek, in den unendlichen Fluren der Behörde als ein Rechtsreferendar, stetig, wenn auch schweigend, trieb die Sehnsucht nach einem solchen, dem J. als Krone kraftfahrzeugtechnischen Stilempfindens erscheinenden Wagen den Gefährten meiner Tage um.

Nun aber ist alles aus.

Alle Stadien der Trauer durchlief der J., und als einer jener Männer, die ihren Knabenträumen wahrhaft treu geblieben sind, kann und will der J. die Feinstaubrichtlinie nicht akzeptieren, sich nicht anfreunden mit dem drohenden Fahrverbot innerhalb des Berliner Rings für diese Fahrzeuge, plant Petitionen, gerichtliche Klagen auf Gewähr von Ausnahmegenehmigungen, Massendemonstrationen auf dem Alexanderplatz, und als letzten, allerletzten Ausweg die Anmietung einer Garage außerhalb des Berliner S-Bahnrings, Kauf und Verbringung des ersehnten Zuffenhausener Fahrzeugs in diese Garage, nächtlich-lustvolle Fahrten durch Brandenburger Alleen, und so werde ich, meine Damen und Herren, manchen Sonntag mit Tee und Torte vergeblich auf den J. warten, der währenddessen weit entfernt in obskuren Vororten zärtlich die Kühlerhaube seines Porsche mit einem weichen Tuch poliert.

„Der Porsche oder ich!“, werde ich wettern, wenn der J. Stunden über Stunden später wieder bei mir erscheint. Wegen Vernachlässigung der eigenen Freundin zugunsten eines Haufens Blech, voneinander entzweit durch die Feinstaubrichtlinie, wird der geschätzte Gefährte die dann nicht mehr gemeinsame Wohnung dauerhaft verlassen müssen.

Und schuld ist niemand anders als die Europäische Kommission.

Freitag, 23. Februar 2007

Charlottenburg soll schöner werden

Letzte Woche zum Beispiel: Berlinale, Zoo-Palast, vorher am Savignyplatz ein Glas Wein trinken, und auf einmal sieht man mehr alte Leute, als sonst das ganze Jahr, denn wie die Welt weiß, kommt im Prenzlberg jeder an seinem 45. Geburtstag in die Wurst, der es nicht rechtzeitig schafft, sich irgendwo westlich vom Zoo anzusiedeln.

Gründe, Charlottenburg vor Erreichen seines 45. Lebensjahres aufzusuchen, kenne ich dagegen keine. Das Essen ist teuer und schlecht, mein Eisbecher letzte Woche vor dem Film bestand zum Beispiel vorwiegend aus Dosenfrüchten und Sprühsahne, und für die paar Geschäfte in der Fasanenstraße, in denen es gutaussehende Sachen zu kaufen gibt, braucht man nicht durch die halbe Stadt zu reiten. Charlottenburg, mit einem Wort ist ein Ort, den aufzusuchen man vermeiden sollte. Charlottenburg ist eine No-Go-Area des guten Geschmacks.

No-Go-Areas aber gehören nach Ansicht politisch interessierter Menschen zu dejenigen Dingen, die es eigentlich gar nicht geben sollte. Jeder sollte sich überall wohl fühlen, hört man so, und deswegen habe auch ich mich entschlossen, auf Einladung des großartigen und nicht genug anzupreisenden EXOT-Magazins

am 23.03.2007
um 19.00 Uhr
in der Weekend-Gallery
Schlossstraße 62
14059 (!!!) Berlin

meinen Beitrag zur Aufheiterung Charlottenburgs zu leisten. Ich lese dort mit den Herren Christian Bartel, Tilmann Birr, Olaf Guercke und Anselm Neft voraussichtlich vorwiegend komische Texte und freue mich, wenn Sie kommen.

(Wenn Sie nicht kommen, weil Sie in Leipzig weilen, freue mich einen Tag früher über Ihre Anwesenheit bei dieser Lesung.)

Donnerstag, 22. Februar 2007

Schreckschraube

Haben Sie, meine sehr verehrten Damen, sich eigentlich schon einmal gefragt, warum die Presseorgane, die sich der Abbildung der weiblichen Anatomie verschrieben haben, eigentlich nie nackte Fünfzigjährige photographieren? Oder warum weder die Spieler der Fußballbundesliga noch die Vorstandsvorsitzenden international operierender Konzerne auf dem Höhepunkt ihrer Karriere in zweiter Ehe welterfahrene Damen zu sich nehmen, die schon einiges erlebt und noch mehr gesehen haben? Und sind auch Sie zu dem Ergebnis gelangt, dass das weibliche Verfallsdatum offenbar eine feststehende, kosmetisch nur unwesentlich zu verändernde Größe darstellt, und der Zenit weiblicher Attraktivität deutlich vor Erreichen des 30. Lebensjahres anzusiedeln ist? Und fragen auch Sie sich manchmal, wann der Zeitpunkt gekommen ist, ab dem Ihr geschätzter Gefährte Sie möglicherweise angenehm, keinesfalls aber mehr so attraktiv wie die Damen in der Zeitung finden wird, und wahrscheinlich beginnt, Sie – wenigstens in Gedanken – mit „Mutti“ anzusprechen?

Hadern Sie mit dieser sicherlich eines Tages eintretenden Entwicklung? Zählen Sie die Tage Ihrer verbleibenden Weiblichkeit? Oder haben auch Sie eines Nachts innegehalten, Ihren schlafenden Gefährten sanft hinter den Ohren gekrault, und beschlossen, auch aus dieser Entwicklung nichts als Vorteile zu ziehen?

Ab Ihrem 40. Geburtstag etwa nie wieder eine Waage zu besteigen, weil es als alte Frau eigentlich egal ist, ob man dick oder dünn übersehen wird? Schon morgens Sahnetorte zu essen, und dann alle drei Stunden Lebensmittel nachzufüllen, bis es wirklich nicht mehr geht? Oder eines Tages einfach zu beschließen, insbesondere Männern nur noch die Wahrheit zu sagen. Männliche Freunde etwa, die sich ja gern einmal an der Schulter einer alten Freundin über ihre Misserfolge bei Frauen ausheulen, schonungslos aufzuklären, warum das so ist? Haarausfall, komische Gesichtsverformungen oder Übergewicht – sonst schamhaft und schonungsvoll verschwiegen – könnte man da einfach mal auf den Tisch bringen, oder in Einzelfällen erläutern, wieso es ohne erheblichen Einsatz finanzieller Mittel überhaupt nie hinhauen wird mit den Frauen. Im Anschluss können Sie sich an der Verzweiflung Ihrer – dann wohl ehemaligen – männlichen Freunde weiden, und bei denjenigen, denen Sie in Ihrem früheren Leben als Frau einmal etwas näher gekommen sind, nochmal nachstoßen und erklären, wieso sich die Annäherung an das jeweilige Exemplar aus Damensicht auch nicht lohnt. Seien Sie skrupellos: Die Herren werden sich schon trösten.

Haben Sie ein in dieser Beziehung amüsantes und eher abwechslungsreiches Leben hinter sich, könnten Sie beginnen, Ihre Memoiren zu verfassen, und allen Männern Ihres Lebens auf diesem Wege noch einmal so richtig einen mitzugeben: Selbst diejenigen, die mit Ihnen seit dreißig Jahen nicht mehr gesprochen haben, werden es lesen. Bezeichnen Sie die Herren ruhig mit ihren realen Namen – bis der Prozess wegen Verletzung von Persönlichkeitsrechten ein rechtskräftiges Urteil nach sich gezogen haben wird, sind Sie voraussichtlich tot. Besonders langweilige Episoden, über die zu schreiben nicht einmal dann mehr Spaß macht, wenn sich sonst nichts mehr tut, verbannen Sie in die Fußnoten.

Beginnen Sie ansonsten, schrill und hexenhaft zu lachen, wenn Ihnen etwas nicht gefällt. Die meisten Menschen finden das unangenehm. Stellen Sie junge, schöne, dumme und eitle Mädchen ein, deren Vorgängerinnen sie schon vor dreißig Jahren nicht ausstehen konnten, und schikanieren Sie sie so lange, bis die jungen Hüpfer Esstörungen bekommen oder sich aus dem Fenster stürzen. Gehen Sie auf die Beerdigung und essen während der Messe Chips.

Nutzen Sie Ihren sauer verdienten beruflichen Erfolg! Essen Sie vor ganztägigen Verhandlungen eine ganze rohe Knoblauchknolle und weiden Sie sich an Ihrer Unentbehrlichkeit für den Laden, den Sie aufgebaut haben. Leisten Sie sich einmal wöchentlich einen Temperamentsanfall, der sich gewaschen hat, und zwar so, dass keiner weiß wann. Genießen Sie, dass man Sie hinter Ihrem Rücken hausintern als die „Großmutter des Vesuv“ tituliert, und die Richter zittern, wenn Sie zu Gericht reiten, um wahlweise die Waffenindustrie, die Atomlobby oder die kommunistische Partei zu vertreten.

Gehen Sie abends zu Bett und sagen Sie sich, Ihr Leben sei schön.



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